
© dpa/Marco Trovati
Vom Schmerz zum Ruhm: Wie Mikaela Shiffrin Skifahren zu ihrer Show machte
Sie wollte die Skiszene verändern. Das ist der US-Amerikanerin mit ihrem 100. Sieg im Weltcup eindrucksvoll gelungen. Dabei war der Weg des Ausnahmetalents nicht immer einfach.
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Bereits vor dem 23. Februar galt sie als eine der größten alpinen Skiläuferinnen aller Zeiten. Doch seit diesem Slalom-Rennen in Sestriere hat Mikaela Shiffrin ihren Erfolg in ewiges Eis geritzt: Die 29-jährige US-Amerikanerin gewann ihren 100. Weltcup. Ein Rekord, den noch keine Frau oder Mann jemals aufgestellt hatte – und der lange als unmöglich galt.
Doch Shiffrin hat sich in ihrer Karriere noch nie groß um solche vermeintlichen unknackbaren Rekorde gekümmert. Mit fließenden Schwüngen wedelte sie um die Slalomstangen, als wäre sie nicht hier, um zu gewinnen.
Alles begann als kleines Mädchen
Sondern, weil Skifahren ihr Spaß macht. Dabei stecken hinter dieser Leichtigkeit mehr Arbeit und Hürden, als manch ein anderer Athlet oder Athletin auf sich genommen hat.
Alles begann bereits als kleines Mädchen. Shiffrin wurde in Vail, Colorado, geboren und stand schon früh auf den Ski. Wie ihr zwei Jahre älterer Bruder Taylor, ebenfalls ein Skifahrer, besuchte sie die Burke Mountain Academy in Vermont.
Ich fahre einfach sehr viel Ski. Ich habe die Energie und Kraft zu trainieren, wenn andere aufhören.
Mikaela Shiffrin, Skifahrerin
Ihre ersten Erfolge auf nationaler Ebene hatte sie bereits 2008: Im Whistler Cup, einem Nachwuchswettbewerb für Kinder im Alter von elf bis vierzehn Jahren, gewann sie Slalom, Riesenslalom und Kombination.
Olympisches Gold als jüngste Slalomfahrerin
Nur vier Jahre später, im Dezember 2012, gewann Shiffrin ihr erstes Weltcuprennen: den Slalom von Åre. Genau ein Jahr später fuhr sie als Zweite in einem Weltcup-Riesenslalom zum ersten Mal einen Podestplatz ein. Ihre Siege häuften sich, bis die damals 18-Jährige bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi Gold im Slalom gewann – als bisher jüngste Läuferin der Geschichte.
Damit war die erste historische Marke gesetzt. Und es sollte nicht die letzte bleiben. Es folgten vier WM-Siege in Folge sowie fünf Gesamtsiege im Weltcup. Sie holte noch eine weitere olympische Goldmedaille im Riesenslalom vier Jahre später in Pyeongchang und eine silberne in der Alpinen Kombination.
Rückschläge auf der Piste und in der Familie
Shiffrin ist außerdem eine von nur sieben Athletinnen, die einen Weltcup in allen Disziplinen gewinnen konnte. Auch ihre 63 Slalomweltcupsiege sind Rekord, ebenso wie ihre insgesamt 15 Medaillen bei Weltmeisterschaften, was vor ihr erst die Deutsche Christl Cranz in den 1930er Jahren geschafft hatte.
Aber so märchenhaft sich diese Statistiken lesen, der Weg dorthin war auch mit vielen Dornen gespickt. Ein großer Einschnitt in ihrem Leben war der plötzliche Tod ihres Vaters im Februar 2020. Er hatte ihr damals mit ihrer Mutter das Skifahren beigebracht und ihr auch das Arbeitsethos mit auf den Weg gegeben: Er war überzeugt, dass es 10.000 Stunden Training brauche, um einen Sport zu perfektionieren.
Shiffrin selbst sagte in einem Interview auf dem Onlineportal von „Red Bull“, dass das ein Grund dafür sei, warum sie so dominant in dem Sport ist: „Ich fahre einfach sehr viel Ski. Ich habe die Energie und Kraft zu trainieren, wenn andere aufhören“, sagte sie.
Ich bin mental blockiert, wenn es darum geht, die nächste Stufe von Tempo und Geschwindigkeit zu erreichen und Kraft in die Kurven zu bringen.
Mikalea Shiffrin, Skifahrerin
Nach dem Tod des Vaters unterbrach Shiffrin ihre Saison auf unbestimmte Zeit, kam 2021 zurück – nur um von der Corona-Pandemie wieder ausgebremst zu werden.
Als sie endlich wieder auf den Brettern stand, hatte sie die nächsten olympischen Medaillen in Peking 2022 fest vor Augen. Sechs Rennen wollte sie fahren, Medaillen holte sie keine einzige. Für die US-Amerikanerin war das eine herbe Enttäuschung, sie fühlte sich danach „emotional müde“.
Traumatischer Sturz mit Folgen
Doch sie fuhr weiter, gab nicht auf und stand im November 2024 dann im Riesenslalom in Killington oben im Starthaus. Das sollte ihr Lauf werden, der 100. Weltcup-Sieg, mit dem sie in die Geschichte eingehen würde.
Doch kurz vor dem Ziel im zweiten Durchgang stürzte sie schwer und zog sich dabei eine Stichwunde am Bauch zu. Knapp zwei Wochen nach dem Sturz kam es zu Komplikationen und sie musste operiert werden.
Genau zwei Monate später fuhr Shiffrin ihr erstes Rennen im Slalom in Courchevel und wurde Zehnte. Damit hatte sie das erste Mal nach einer Verletzungspause nicht direkt ein Rennen gewonnen.
Wie sehr ihr der Sturz vor allem psychisch noch zu schaffen machte, thematisierte sie öffentlich: „Ich bin mental blockiert, wenn es darum geht, die nächste Stufe von Tempo und Geschwindigkeit zu erreichen und Kraft in die Kurven zu bringen“, sagte sie der Associated Press. „Diese Art von mentalem, psychologischem, PTSD-ähnlichem Kampf ist mehr, als ich erwartet habe.“
Ich fühle mich noch nicht ganz ich selbst... aber ich fühle genug von mir selbst, um hier zu sein... und für den Moment ist das genug.
Mikalea Shiffrin, Skifahrerin
Beim Riesenslalom in Sestriere wurde sie nur 25., in den zweiten Durchlauf kam sie gar nicht rein. Auf Instagram bedankte sie sich zuvor noch für den Support ihrer Teammates, die ihr geholfen haben, „die psychologischen Symptome, die mit dieser Rückkehr verbunden sind, zu verstehen und zu verarbeiten“.
Und weiter: „Ich fühle mich noch nicht ganz ich selbst... aber ich fühle genug von mir selbst, um hier zu sein... und für den Moment ist das genug.“

© dpa/Marco Trovati
Dass es mehr als genug, sondern sensationell werden würde, bewies Shiffrin nur zwei Tage später im Slalomlauf: Mit mehr als einer halben Sekunde Vorsprung triumphierte sie vor der Kroatin Zrinka Ljutic in Italien. Dritte wurde Shiffrins Teamkollegin Paula Moltzan.
Zunächst konnte es der Skistar nicht glauben: Sie ließ sich in den Schnee fallen und blickte ungläubig auf die Anzeigetafel. Sie hatte es geschafft, was kein Athlet oder Athletin vor ihr vollbracht hatte: 100 Weltcup-Siege.
2021 sagte sie im Interview mit dem „Spiegel“ noch: „Rekorde sind mir egal. Ganz ehrlich: Ich denke im Wettkampf nicht einmal ans Gewinnen.“ Selbst auf Nachfrage beteuert sie: „Ich will einfach nur perfekte Kurven fahren und so schnell sein wie früher. Das treibt mich an. Der Rest ergibt sich von allein.“
Direkt nach ihrem historischen Sieg zeigte sich das Ausnahmetalent emotional. „Diese Saison war eine große Herausforderung. Das hätte ich nie erwartet. Für mich ist es überwältigend, hier zu stehen.“ Normal sei das für sie immer noch nicht.
Shiffrin möchte das Skifahren verändern
„Eigentlich geht es nicht um den Sieg selbst, sondern um all die kleinen Dinge. Die Herausforderungen, die ich jetzt habe, sind nicht einfach verschwunden. Aber den richtigen Weg zu finden, sich durchzukämpfen und alles in meinem Kopf zu ordnen, und es dann perfekt umzusetzen, das ist das beste Gefühl der Welt.“
Bereits 2014, als sie ihre erste Goldmedaille bei den Olympischen Spielen gewann, kündigte Shiffrin an, dass sie das Skifahren verändern wolle. Es zu einer Show machen wolle, wie der „Spiegel“ schrieb.
Das Statement kam damals nicht bei allen gut an. Aber spätestens seit dem 23. Februar ist klar, dass genau das passiert ist. Sie hat das Skifahren zu ihrer Show gemacht.
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