zum Hauptinhalt
Walid Regragui wird vom Team gefeiert.

© AFP / GLYN KIRK

Vor dem Viertelfinale gegen Portugal: Marokkos Trainer weiß um die Stärken seines Teams

Marokkos Trainer Walid Regragui ist vor dem Viertelfinale gegen Portugal nicht bange. Er kann sich der Unterstützung des gesamten Kontinents sicher sein.

Der Coach betritt im schwarzen Hoodie die Bühne, die Kapuze über den Kopf und tief in die Stirn gezogen. Als wolle er mit all dem, was ihn hier jetzt erwartet, nichts zu tun haben. Spontan brandet Applaus aus dem Auditorium auf. Offenbar wollen einige Journalisten, bevor die Pressekonferenz zum Viertelfinale gegen Portugal beginnt, sich erst einmal für das aufregende Turnier bedanken, das Walid Regragui ihnen beschert. Sofort reißt Marokkos Coach die Kapuze herunter und lächelt in die Runde. Die ist sein Moment und er will jede Sekunde auskosten.

Obwohl die FIFA-Regularien besagen, dass jeder Medienvertreter nur eine Frage stellen darf, nutzen einige ihre Wortmeldung allein dafür, um dem Trainer sie Ehre zu erweisen. „Sie machen uns stolz, Coach, ich bitte Sie, kämpfen sie weiter, hören sie nicht auf,“ ruft ein marokkanischer Kollege mit tränenerstickter Stimme. Überhaupt ähnelt der Termin am Freitagnachmittag im Medienzentrum „QNCC“ eher einem Ritual zur Heiligsprechung als einer klassischen Fragestunde im WM-Kontext. 

Walid Regragui nimmt die Ehrbekundungen mit der ihm eigenen Nüchternheit zur Kenntnis. Er weiß, seit sein Team am vergangenen Dienstag nach 120 umkämpften Minuten im Achtelfinale den großen Favoriten Spanien aus dem Turnier warf, hat er seinen Platz in den Geschichtsbüchern Marokkos sicher. Mit großer Freude haben er und seine Mannschaft Bilder des Königs gesehen, wie er auf den Straßen der Hauptstadt Rabat im Trikot mit Bürgern nach dem Sieg im Elfmeterschießen tanzte. Die Sozialen Netzwerke laufen über mit Kommentaren von Arabern und Afrikanern, die der Mannschaft für den weiteren Turnierweg Glück wünschen.

Eine Kampfansage an die portugiesische Elf

Doch Walid Regragui will mehr: „Unsere Mission ist noch nicht beendet“, sagt der Coach, „auf uns wartet nun eines der besten Teams der Welt mit einigen der besten Spieler aus den besten Teams der Welt. Aber wir wissen auch: Es kann ein Spiel sein, dass uns noch tiefer in die Geschichtsbücher einträgt. Glauben Sie mir, gegen uns ist nicht einfach zu spielen – und wir haben einen Plan.“ 

Wie schon vor der Partie gegen Spanien redet der Trainer seine Mannschaft auf sehr clevere Weise klein und gleichzeitig groß. Er nennt Marokko den Underdog, Portugal den großen Favoriten. Er erwähnt, dass seinen Kader schon seit Beginn des Turniers von Verletzungen plagen und er nicht sicher ist, ob Kapitän Romain Saiss nach seiner Oberschenkelblessur wieder fit wird. Doch dann schiebt er nach: „Aber selbst, wenn wir körperlich nicht bei 100 Prozent sind, mental sind wir es!“ 

Es klingt wie Kampfansage an die portugiesische Elf, die sich nicht wie die „Löwen vom Atlas“ mit der größtmöglichen Opferbereitschaft unter die letzten Acht kämpfen mussten, sondern beim 6:1-Sieg gegen die Schweiz regelrecht ins Viertelfinale tänzelte.

Doch die Euphoriewelle, die von Gibraltar bis in die Straßen von Doha das Team Marokkos durch diese WM trägt, ist längst in den Köpfen der Spieler angekommen. Trainer Regragui muss in dieser Pressekonferenz eigentlich ständig dieselbe Frage beantworten, die die Kollegen jeweils leicht modifiziert an ihn richten: Wie werden die Spieler mit dem Druck und den großen Hoffnungen zurechtkommen?

Nach dem Sieg gegen Spanien durfte Marokko jubeln.
Nach dem Sieg gegen Spanien durfte Marokko jubeln.

© AFP / JAVIER SORIANO

Die Antwort fällt dem 47-Jährigen nicht schwer: „Wir sind das erste afrikanisch-arabische Team, das es bis in ein WM-Viertelfinale geschafft hat. Wir merken die positiven Vibes, die Unterstützung, wie haben diese Story gemeinsam mit den Menschen geschrieben“, sagt er, „aber wisst Ihr, was viel mehr Wert ist als Geld und Titel: Dass wir es geschafft haben, die Menschen hinter unserem Team zu versammeln und ein Zusammengehörigkeitsempfinden zu schüren. Und diese positive Energie sorgt dafür, dass meine Spieler hungrig nach mehr sind.“

Die Kritik, dass sich seine Elf gegen Spanien sich rein aufs Zerstören verlegt habe, lässt ihn kalt. Meine Güte, wer hat nicht alles schon den Spaniern den Ballbesitz überlassen in den vergangenen Jahren – Spanien, Deutschland, Japan, Argentinien –, wieso sollte da ausgerechnet er als Trainer einer afrikanischen Elf versuchen, das Spiel zu machen? Aber: „Wenn wir gegen Portugal mit derselben Taktik spielen, würden wir einen großen Fehler machen.“

Ganz am Ende fragt dann noch ein Journalist, wie Walid Ragragui es sich eigentlich erklärt, dass keine afrikanischen Trainer bei den Topklubs aus Europa gefragt sind. Er muss schmunzeln, als er die Frage hört: „Fragt doch bei denen nach! Vielleicht ist es eine kulturelle Frage, vielleicht trauen sie es uns noch nicht zu,“ sagt er, „aber es gibt Momente in der Geschichte, in denen sich etwas ändert. Vielleicht merken die Menschen durch unseren Erfolg, dass wir reif sind.“

Während er das sagt, hält er plötzlich inne und spricht dann die Journalisten aus seinem eigenen Land an: „Aber, Moment, was habt ihr denn in den letzten zehn Jahren gemacht? So lange arbeite ich schon als Trainer, aber bin ich euch aufgefallen? Dass ich ganz fähig bin, merkt ihr doch auch erst jetzt, da wir im Viertelfinale stehen. Dabei sind die individuellen Fähigkeiten doch das Einzige, woran ein Trainer gemessen werden sollte, oder? Fähigkeiten sind der einzige Maßstab und ich bin sicher, auch afrikanische Trainer hätten in Europa großen Erfolg. Inschallah!“ 

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false