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Mit breiter Brust. Ishak Belfodil hat in der Rückrunde bereits elf Mal getroffen.

© Jan Hübner/Imago

Hoffenheims Ishak Belfodil: Wandervogel mit besonderem Ansporn

Ishak Belfodil war bei der TSG Hoffenheim zuletzt in überragender Form – sein Freiheitsdrang zeigt sich auf und neben dem Platz.

Die Schalker müssen etwas geahnt haben: Im Winter bemühten sich die Gelsenkirchener um Ishak Belfodil. Hoffenheims Stürmer war damals unzufrieden bei der TSG, nur sechsmal hatte er in der Bundesliga-Hinrunde in der Startelf gestanden. Schalkes damaliger Manager Christian Heidel hatte sich bereits telefonisch bei Hoffenheims Sportdirektor Alexander Rosen nach Belfodil erkundigt – und er wollte weg. „Ich habe gesagt: Überhaupt keine Chance, bleib hier!“, erzählte Rosen später. „Setz dich einfach durch. Du bist gewollt.“ Belfodil blieb. Am vergangenen Samstag traf er auf Schalke zwei Mal und legte einen weiteren Treffer auf, seine Hoffenheimer gewannen 5:2.

Es waren Belfodils Saisontreffer 14 und 15, elf davon hat er in den vergangenen zehn Spielen erzielt. In den letzten vier Begegnungen, alle hat Hoffenheim gewonnen, war der algerische Nationalstürmer an zehn Toren beteiligt, darunter ein Hattrick gegen Augsburg. Vor dem Spiel der TSG an diesem Sonntag gegen den VfL Wolfsburg (15.30 Uhr/Sky) ist Belfodil einer der prägendsten Spieler der Bundesliga. Seine Entwicklung der vergangenen Wochen ist beeindruckend.

„In der Vergangenheit hat sich ja gezeigt, dass die Neuzugänge einfach ein bisschen Zeit und Training brauchen“, sagt sein Trainer Julian Nagelsmann. „Das ist relativ normal bei uns.“ Im Sommer bezahlte Hoffenheim für Belfodil etwa 5,5 Millionen Euro Ablöse an Standard Lüttich, die Belgier hatten ihn in der vergangenen Saison an Werder Bremen ausgeliehen. Dort hatte er in 26 Bundesligaspielen gerade einmal vier Treffer erzielt und auch sonst nicht die ganz große Gefahr rund um die gegnerischen Strafräume ausgestrahlt. Vielmehr wurde ihm vorgehalten, oftmals zu eigensinnig zu agieren, auf wie neben dem Platz.

Belfodil zog also weiter – wieder einmal. Schon in seiner Jugend verließ er früh Elancourt, einen rauen Pariser Vorort, in dem er zwischen Armut und Perspektivlosigkeit aufwuchs. „Der Fußball bietet eine Chance, es allen besser gehen zu lassen. Mein Ansporn war deshalb vielleicht höher als bei anderen talentierten Spielern“, sagte Belfodil in den Hoffenheimer Klubmedien. Er tingelte also von Jugendverein zu Jugendverein, verließ das Pariser Umland, landete mit 16 Jahren in Lyon und im Alter von 18 Jahren beim FC Bologna dann erstmals im Ausland. Auch als Profi hielt es ihn nirgendwo länger: Belfodil wechselte quasi jährlich den Verein, spielte nach seiner Zeit in Italien auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten, bis er schließlich nach Lüttich kam. „Die Zeit hat meinen Charakter geprägt“, sagt Belfodil. „Durch die Erfahrungen schüchtert mich so schnell nichts mehr ein.“

In den vergangenen vier Spielen hat Belfodil sieben Tore erzielt

Mit 27 Jahren hat Belfodil bereits in fünf Ländern und bei neun Profiklubs gespielt. Jetzt wohnt er mit Frau und Kindern im beschaulichen Heidelberg. Ein krasser Gegensatz zur schroffen Vorstadtgegend von Elancourt, mit der Belfodil nach wie vor stark verwoben ist. „Er muss einfach mal eine Art Zuhause finden, er muss fühlen, dass er gewollt ist“, sagt Hoffenheims Sportdirektor Rosen über seinen Angreifer. Im Winter, als Belfodil wieder einmal weiterziehen wollte, ist es den Verantwortlichen der TSG offenbar mit Nachdruck gelungen, genau dieses Gefühl bei Belfodil zu erzeugen.

Für Hoffenheims Offensive, mit 65 Treffern die drittbeste der Liga hinter München und Dortmund, ist er inzwischen ein elementarer Fixpunkt. „Er ist ein sehr guter Spieler mit außergewöhnlichen Qualitäten im Eins-gegen-Eins, mit einem sehr, sehr großen Tempo und einem ganz eklig zu verteidigenden Körper“, beschreibt ihn sein Trainer Nagelsmann. Trotz seiner kräftigen Statur bei 1,91 Metern Körpergröße ist Belfodil kein klassischer Mittelstürmer: Er kommt gerne mit dem Ball am Fuß aus der Tiefe, lässt sich immer wieder fallen oder weicht auf die Flügel aus.

„Aktuell hat er auch die Mitspieler, die seine Qualitäten gut einschätzen können und wissen, wie man ihn einsetzt“, sagt Nagelsmann. Mit Hoffenheims Rekordtorschütze Andrej Kramaric, der zehn seiner 16 Treffer ebenfalls in der Rückrunde erzielt hat, bildet er ein schlitzohriges Duo, das mit Adam Szalai oder Joelinton als drittem Angreifer einen typischen Stoßstürmer umspielt. „Wir spielen immer offensiv und kommen immer zu Chancen“, erklärt Belfodil, warum es für ihn in Hoffenheim gerade so gut läuft wie nie zuvor in seiner Karriere. „Darum ergeben sich für mich immer Momente, in denen ich mich zeigen kann – egal, ob ich im Sturm, dahinter oder außen spiele.“

Belfodils Freiheitsdrang auf dem Feld ist zurzeit eine der größten Waffen Hoffenheims, doch sein Freiheitsdrang abseits davon lässt die Frage offen, ob er auch in der kommenden Saison noch seine Kreise für die TSG ziehen wird. Auch wenn sein Vertrag noch bis 2022 läuft: Interessenten dürfte es sicherlich genug geben – inzwischen auch welche, die mehr zu bieten haben als Schalke im Winter. „Ich fühle mich hier sehr wohl, bin gern bei der TSG und würde gern lange bleiben“, sagt Belfodil. „Andererseits versuche ich schon mein ganzes Leben lang, nach oben zu kommen und mich zu verbessern.“ Und so klingt sein Fazit wie das eines nüchternen Wanderers durch die Fußballwelt: „In diesem Geschäft trifft Business auf Leidenschaft. Die Fußball-Romantik habe ich schon lange verloren.“

Leonard Brandbeck

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