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Was Hertha mit dem Alten Fritz verbindet: Preußische Tugenden statt Titel. Ein ironischer Blick auf den „Berliner Weg“
Ein Hertha-Fan reflektiert über die Herausforderungen und Tugenden des Vereinslebens. Die preußischen Werte wie Bescheidenheit und Demut prägen den „Berliner Weg“. Feiern wir Disziplin und Durchhaltevermögen statt Ruhm und Pokalen.
Stand:
Liebe Leserin, lieber Leser, als Ibo Maza am letzten Samstag bereits nach fünf Minuten gegen Fürth das 1:0 erzielte, ertappte ich mich dabei, dass ich sorgenvoll die Stirn runzelte: Oje, wie sollte das weitergehen? Nein, ich habe mir nicht Sorgen um Fürth gemacht, sondern um Hertha. Man kennt es doch: nach einer 1:0-Führung scheinen sich die Spieler damit zu begnügen und schalten mindestens einen Gang runter, der Effekt lässt nicht lange auf sich warten, denn die Gegner arbeiten meist erfolgreich am baldigen Ausgleich. So auch hier.
Das Stirnrunzeln verwandelte sich in eine echte Sorgenfalte. Man altert mit Hertha rapide, wenn man nicht resilient ist. Als das 2:1 für Fürth gefallen war, beschloss ich, meinem Alterungsprozess entgegenzuwirken, indem ich den Fernseher ausschaltete. Ich halte das ja auch nervlich nicht mehr aus! Ich bin ein durch und durch positiver Mensch, aber dieser Verein bringt mich immer wieder an meine Grenzen. Nach dem Spiel hagelte es tröstende WhatsApps von Freunden und Familie, schön, dass sie an mich denken – noch schöner wäre es, wenn sie mir überschwänglich zum Sieg gratulierten – und das nicht nur einmal in sechs Wochen!

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Heute dann die ultimative Erklärung: Hertha sei wohl der einzige Verein in der Liga, der die preußischen Tugenden konsequent verinnerlicht habe, so ein Freund, den ich hier zitieren darf:
„Maßhalten und persönliche Anspruchslosigkeit sind das Gebot, Gemeinnutz geht vor Eigennutz, deshalb verschmäht man seit fast einem Jahrhundert Titel und Meisterschaften. Von Fans und Anhängern werden Bescheidenheit, Demut, innere Läuterung und Glaubensstärke verlangt …“
Nun bekommt auch der „Berliner Weg“ eine zusätzliche, erleuchtende Bedeutung
Seitdem bin ich erleichtert. Das folgt also alles einem inneren, traditionellen Muster! Nun bekommt auch der „Berliner Weg“ eine zusätzliche, erleuchtende Bedeutung. Wir in Preußen haben es ja wahrlich zu etwas gebracht! Okay, Freuden, Feste oder ausschweifende Feiern sind nicht so unser Ding, man kann nicht alles haben. Stattdessen Disziplin, Widerstandskraft, Teamgeist, Durchhaltevermögen.
Dies alles wussten ja unsere bisherigen Übungsleiter auch immer ausnahmslos zu loben, egal wie die Saison ausfiel. Und offensichtlich hat sich unser aktueller Trainer diesen Werten angepasst, obwohl seine Wurzeln ganz und gar nicht preußisch sind!
Mit der Übernahme der Präsidentschaft durch Kay Bernstein hat man sich lobenswerterweise auch von der Großspurigkeit („mehr scheinen als sein“) der vergangenen Jahre verabschiedet („Demut“), was es vielen Menschen einfacher gemacht hat, sich diesem Club wieder verbunden zu fühlen. Und konsequenterweise erleben sie es dann auch regelmäßig, wie ihre Glaubensstärke und Leidensfähigkeit auf die Probe gestellt werden.
Ja, Letzteres durchleben die Schalker und die Kölner Fans zum Beispiel auch immer wieder, aber Erstere haben ihre Steigertradition und die dezidierte Feindschaft zum BVB und Letztere ihre rheinische Frohnatur und die Geheimsprache („Mer stonn zo dir FC Kölle“), die sie an ihren Klub binden.
Was bleibt uns also?
Lasst uns die Tugenden feiern und hochhalten, denn auch sie haben Tradition. Und wenn die anderen mal wieder Karneval und Ringelpiez im Stadion feiern, denken wir an unsere fleißigen, frommen Vorfahren und daran, dass Durchhaltevermögen und Demut unsere Grundtugenden sind.
Und – ob Pokal, Meisterschale oder ähnlicher Tand, wir halten es mit dem Alten Fritz: „Eine Krone ist lediglich ein Hut, in den es hineinregnet.“
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