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Alain Prost im Interview: "Wenn ich Vettel wäre, würde ich nicht wechseln"
Der viermalige Formel-1-Weltmeister Alain Prost spricht im Tagesspiegel-Interview über Kritik an Sebastian Vettel, dessen Anteil am Erfolg und die Motivation nach dem vierten Titelgewinn.
Stand:
Herr Prost, Sebastian Vettel hat nun wie Sie vier WM-Titel in der Formel 1 erreicht. Hat Ihnen das etwas ausgemacht?
Eigentlich nicht. Ich habe schon seit längerer Zeit erkannt, dass sich in der Formel 1 ständig alles verändert. Es ist nichts mehr, wie es zu meiner aktiven Zeit war, man kann nichts mehr miteinander vergleichen. Ich hatte eine ganze Menge an Rekorden, dann kam Michael Schumacher und hat sie gebrochen – und jetzt kommt eben Vettel.
Sie haben sich über Vettels vierten Titel gefreut?
Man muss das Ganze wie ein neutraler Zuschauer betrachten und zu sich selbst sagen: Es ist doch gut, einen weiteren viermaligen Weltmeister zu haben, der so gut ist wie Sebastian. Und das alles mit 26 Jahren. Ich habe mit 25 in der Formel 1 angefangen, mit 26 mein erstes Rennen gewonnen. Das sagt doch schon alles über die unterschiedlichen Verhältnisse.
Die Tendenz zum Immer-jünger sieht man in vielen Sportarten. Sind heutige Kinder und Jugendliche viel früher wesentlich reifer, ist heute ein 20-Jähriger schon wesentlich erwachsener als Sie damals?
Nein, grundsätzlich kann man das nicht so sagen. Es ist vielleicht eine andere Form von Reife. Ich wusste mit 20 oder auch 23 auch schon, was ich auf der Rennstrecke machen musste, um Erfolg zu haben. Aber auch, dass ich hart arbeiten musste, um zum Beispiel das nötige Geld bei den Sponsoren aufzutreiben. Als ich mit 25 in der Formel 1 anfing, hatte ich schon mein eigenes Go-Kart-Team, das ich gemanagt habe. Ich hatte in der Formel Renault Europe ein Auto laufen, wo ich mich um das Budget gekümmert habe. Diese Form von Reife hatte ich: ein anderes Leben auch neben der Rennstrecke, Erfahrung im Geschäftsleben.
Das fehlt der heutigen Generation?
Das kann man von den Jungs heute in der Formel 1 nicht erwarten. Dafür kennen sie das professionelle System im Rennsport vom Kart bis in die Formel 1 in- und auswendig, wissen, wie das Marketing funktioniert, wie man mit Managern und Sponsoren arbeitet und umgeht. Das wussten wir damals alle nicht – wir hatten nur die Leidenschaft für den Rennsport an sich.
Hat Sebastian Vettel etwas ganz Spezielles, das ihn besonders macht?
Ja, ich glaube, das hat er. Er hat sich im Laufe der Zeit unglaublich weiterentwickelt. hat große Schritte nach vorne gemacht. Sicher war er von Anfang an gut, aber zu Beginn seiner Karriere gab es einige andere Fahrer, die durchaus auf seinem Niveau zu sein schienen. Die hat er inzwischen weit hinter sich gelassen. Er ist unheimlich schnell wirklich erwachsen geworden und hat die Reife erlangt, von der wir vorhin gesprochen haben. Er hat den richtigen Ansatz, mit den Leuten, mit denen er arbeitet, umzugehen. Sie zu motivieren, noch mehr und noch besser für ihn zu arbeiten. Er hat verstanden, was er für sich braucht, um das optimale Ergebnis zu erzielen, in welche Richtung er mit dem Setup des Autos gehen muss, wie auch die Arbeit im Team ablaufen muss. Er verdient wirklich alles, was er erreicht hat. Dieses Jahr war vielleicht seine eindrucksvollste Saison überhaupt. Man konnte sehen, dass er die ganze Zeit über wirklich alles unter Kontrolle hatte. Und das ist sehr eindrucksvoll.
"Es ist nicht in Ordnung, Sebastians Leistung nicht anzuerkennen"
Trotzdem bekommt Vettel immer noch nicht die volle Anerkennung. Es gibt immer wieder diesen Vorwurf, er säße schließlich nur im besten Auto.
Diese Diskussionen werden sich wahrscheinlich nie ganz vermeiden lassen. Aber was wirklich unfair war, waren die Pfiffe bei den Siegerehrungen. Jemandem nicht die volle Anerkennung zu zollen, die Einschätzung seiner Leistung vielleicht ein bisschen zu hinterfragen, das ist eine Sache. Jeder hat andere Lieblingsfahrer und Lieblingsteams. Wenn jemand gewinnt, den man nicht mag, dann kann man ihn meinetwegen ignorieren. Aber ausgepfiffen zu werden, das verdient niemand, das ist einfach nicht korrekt. Es ist respektlos. Und Respekt ist etwas sehr Wichtiges.
Noch mal zurück zu den Diskussionen um das beste Auto. Sitzen nicht die meisten Weltmeister auch im besten Auto?
Ab und zu kann man da sicher mal Ausnahmen finden. Als ich 1986 im McLaren Weltmeister wurde, hatte ich sicher nicht das beste Auto. Aber natürlich habe ich damals auch davon profitiert, dass meine Konkurrenten bei Williams, Nigel Mansell und Nelson Piquet, sich gegenseitig Punkte weggenommen haben. Einmal in seiner Karriere schafft man das vielleicht, wenn die Umstände entsprechend sind. Es gibt da noch ein paar andere Beispiele, auch Kimi Räikkönen 2007 im Ferrari, der vom Streit zwischen Alonso und Hamilton bei McLaren profitiert hat. Aber vier Titel in Serie – das ist etwas anderes. Es ist nie nur der Fahrer oder nur das Team, ist immer das Ergebnis des Zusammenwirkens. Deshalb ist es auch nicht in Ordnung, Sebastians Leistung und die Arbeit, die er leistet, um diesen Erfolg zu erreichen, nicht anzuerkennen.
Michael Schumacher hat Vettel geraten, das Team zu wechseln, um als einer der ganz Großen in der Geschichte angesehen zu werden. Stimmen Sie dem zu?
Wenn ich Sebastian wäre, würde ich das Team nicht wechseln. Man kann nicht nur deshalb wechseln, um das Publikum glücklich zu machen. Das muss andere Gründe haben. Zum Beispiel, dass man glaubt, allmählich bei seinem alten Team die Motivation zu verlieren. Vielleicht geht das Sebastian ja in ein oder zwei Jahren so. Oder er denkt, dass in ein paar Jahren vielleicht Ferrari, Mercedes oder Lotus konkurrenzfähiger sein werden. Auch das wäre ein Grund für einen Wechsel. Ein Fahrer muss dort fahren, wo es für ihn am besten ist.
Sie haben nach dem vierten Titel die Motivation verloren und Ihre Karriere beendet. Hat es Vettel in dieser Beziehung leichter, weil er noch jünger ist?
Das Alter ist nicht so entscheidend. Eher die Zeit, die man in der Formel 1 verbracht hat, mit all dem Druck. Allerdings kann das von Person zu Person unterschiedlich sein. Wenn Sebastian ständig weiter kritisiert und nicht richtig anerkannt wird, dann ist das zusätzlicher Druck und könnte auch dazu beitragen, dass er sich irgendwann die Frage stellt: Warum mache ich das alles eigentlich noch? Andererseits hat er ja anscheinend die volle Unterstützung von seinem Team und seinen Sponsoren. Die Regeländerungen, die im nächsten Jahr kommen, sind sehr gut für ihn und für das Team. Dadurch bekommt er automatisch eine neue Motivation. Und eine neue Möglichkeit, den Leuten zu beweisen, dass er auch unter veränderten Umständen genauso gut sein kann.
Das Gespräch führte Karin Sturm.
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