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Meister und Meisterschüler. Geschwindner und Nowitzki im Einzeltraining.

© Imago

Basketball: „Wir erleben eine Revolution“

Dirk Nowitzkis Mentor Holger Geschwindner spricht im Interview über Rekordschütze Stephen Curry, den perfekten Wurf und die Rückkehr des Offensiv-Basketballs in den Play-offs der NBA.

Herr Geschwindner, die Golden State Warriors haben mit 73 Siegen in einer Saison einen neuen NBA-Rekord aufgestellt, Stephen Curry hat dabei etliche Bestmarken bei den Dreipunktewürfen gebrochen. Was halten Sie von Curry, der in den USA endgültig zum Superstar aufgestiegen ist?

Stephen Curry zuzuschauen, macht großen Spaß. Es ist lange her, dass ein einzelner Spieler so viel Freude gemacht hat. Zum Glück hat Curry auch einen Coach, der ihm alle Freiheiten lässt. Ich gucke mir sein Spiel gerne an, zudem ist er auch noch ein guter Typ.

In den USA wird Curry für seinen „perfekten Wurf“ gefeiert – an diesem Thema arbeiten Sie selbst seit mehr als zwei Jahrzehnten mit Dirk Nowitzki. Ist Stephen Currys Wurf wirklich perfekt?

Der perfekte Wurf ist natürlich eine rein theoretische Überlegung. Es geht darum, mit minimalem Aufwand und möglichst hoher Fehlertoleranz zu werfen. Das sind einfache mathematisch-physikalische Überlegungen, denen sich jeder Spieler annähern kann. Jeder hat bei der Umsetzung große Freiheiten, es gibt in der Praxis zahllose Wurfmöglichkeiten. Aber wer gegen die Physik arbeitet, macht es sich unnötig schwer. Stephen Currys Wurf nähert sich jedenfalls schon sehr der optimalen Flugkurve an, bei der er Seitenfehler und Längenfehler machen kann, der Ball aber trotzdem noch reinfällt.

Sie haben für den 2,13 Meter großen Nowitzki die perfekte Parabel errechnet. Curry ist nur 1,91 Meter groß, wirft aber in einer ähnlich hohen Kurve wie Nowitzki. Wie viel von Ihrer eigenen Arbeit erkennen Sie bei Curry wieder?

Physik ist nicht unsere Erfindung, sondern eine Rahmenbedingung für alle. Eine Sache macht Curry extrem gut: Er spielt nicht gegen, sondern mit dem Ball. Er bleibt fast immer im Rhythmus, auch bei den vermeintlichen Zirkuswürfen. Er prügelt den Ball nicht vor sich her oder zwingt ihn zu irgendetwas. Er tanzt mehr mit dem Ball. Die meisten Verteidiger können kaum noch unterscheiden, ob er noch dribbelt oder längst in der Wurfbewegung ist. Seine Ladetechnik ist wirklich besonders.

Nah an der Perfektion. Stephen Currys Wurf ist kaum zu verteidigen. In den Play-offs wird Curry gerade wegen einer Knöchelverletzung geschont.
Nah an der Perfektion. Stephen Currys Wurf ist kaum zu verteidigen. In den Play-offs wird Curry gerade wegen einer Knöchelverletzung geschont.

© AFP

Die Ladetechnik?

Beim Wurf selbst kann man ja relativ wenig variieren. Der Abwurfpunkt, die Geschwindigkeit, der Winkel – das sind die drei Parameter, die über Treffer oder Fehlwurf entscheiden. Ich kann die Wurfbewegung an sich nicht beschleunigen, aber ich kann den Ball schneller dahin bringen, wo meine Schussbewegung anfängt. Wir nennen das „laden“.

US-Wissenschaftler haben gemessen, dass Curry nur 0,4 Sekunden braucht, um den Ball zu fangen und zu werfen. Ist das etwas, was Nowitzki von Curry lernen kann?

Ein langer Spieler muss bei der Ladeprozedur ganz andere Probleme lösen. Der Abstand von den Fingerspitzen zur Schulter ist viel größer, er hat viel längere Wege. Große Spieler müssen den Ball auch anders schützen als kleine, sie können in der Regel nicht vorbereitend dribbeln, wie Curry das tut. Aber wir arbeiten tatsächlich seit Jahren an genau diesen Dingen.

Was heißt das für Nowitzki?

Dirk bekommt den Ball viel später im Angriff, er muss sich oft direkt drehen und werfen. Manchmal berührt er stundenlang gar nicht den Ball – na gut, ich übertreibe ein bisschen. Ein Playmaker wie Stephen Curry ist hingegen ständig auch während des Spiels in Kontakt mit dem Ball. Der hat natürlich ein ganz anderes Gefühl für das Gerät.

Bei Stephen Curry hat man manchmal das Gefühl, einem Magier zuzuschauen, so traumwandlerisch sicher trifft er auch aus riesigen Entfernungen. Ist er besonders begabt? Oder kann man das lernen?

Natürlich kann man die Technik lernen. Das ist keine ausschließliche Talentfrage. Auch mit noch so viel Talent könnte man die Physik nicht besiegen. Arbeitet man gegen sie, verliert man – egal, wie talentiert man ist. Bei Dirk haben wir von Anfang an überlegt: Was sind seine theoretischen Voraussetzungen? Ein Spieler muss ein sehr komplexes Problem lösen. Wir haben ein Drei-Arm-Gelenk – Schulter, Ellenbogen, Handgelenk. Mit einer Steinschleuder wäre das Ganze mathematisch einfacher.

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Curry hat in dieser Saison mehr als 400 Dreier getroffen, bei einer unglaublichen Trefferquote von 45 Prozent.

Auch ein Spieler wie Curry hat manchmal schlechte Tage. Gegen Minnesota hat er zum Beispiel letztens null von zwölf geschossen, bevor der 13. Versuch dann drin war. Es braucht eben einen Coach, der mit solchen Situationen klarkommt und Geduld hat. Curry zeigt uns vor allem, dass Basketball im Wesenskern ein Angriffsspiel ist. Die Sportart ist als Offensivspiel konzipiert worden. Nach 24 Sekunden wechselt das Angriffsrecht – und wer besser trifft, gewinnt. Nicht die bessere Verteidigung. Hoffentlich gucken viele Kids Curry zu und verstehen, wie er das macht.

Verändert sich der Basketball unter dem Einfluss von Stephen Curry?

Die Sportart hat sich in ihrer Geschichte schon sehr oft grundlegend geändert. Zurzeit dreht sie sich wieder einmal um, wir erleben eine Basketball-Revolution. In den Siebzigerjahren gab es Spieler wie „Pistol Pete“ Maravich, die ähnlich kreativ und offensiv spielten wie jetzt Curry. Anschließend wurde hauptsächlich Wert auf Physis gelegt, auch bei uns in Europa. Die Kerle wurden immer größer und stärker, aber technisch nicht besser. Gucken Sie sich DeAndre Jordan an, …

… den Center der L.A. Clippers, 2,11 Meter, 120 Kilo, extrem lange Arme …

… der hat statistisch gesehen die beste Wurfquote der NBA, macht aber eigentlich nur Dunkings. Aber aus mehr als einem Meter Entfernung wird es schwierig für ihn. Das hat mit der Sportart Basketball, wie sie eigentlich gedacht ist, nicht mehr viel zu tun.

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Kommt jetzt eine neue Generation von Basketballern nach Currys Vorbild?

Es gibt viele Spieler, die die technischen Voraussetzungen dafür haben. Überall! Das Problem ist, dass es noch nicht genug Coaches gibt, die diese Jungs auch spielen lassen. Wenn man in New York auf einen Freiplatz geht, staunt man, was die Jungs dort mit dem Ball anstellen können. Wie die feuern können! Aber Spieler dieser Art wurden vom System lange nicht gewollt und nicht gebraucht.

Was meinen Sie damit?

Von den Scouts werden oft immer noch Hünen gesucht. Richtige Brecher, mit Hammer und Ramme zum Korb. Man sieht aber, dass jetzt eine neue Generation von Trainern übernimmt. Steve Kerr ist mit Curry und Golden State sehr erfolgreich, weil er wirklich spielen lässt. Und zwar auf höchstem Niveau und für alle sichtbar. Viele Coaches kriegen jetzt mit, dass sie ihre Verteidigungsstrategien ändern müssen. Wenn der Gegner mehr als 40 Prozent von der Dreierlinie trifft, kann ich dagegen aufstellen, wen ich will: Ich werde vermutlich verlieren.

An Curry haben sich in dieser Spielzeit viele Trainer die Zähne ausgebissen.

Man muss die Golden State Warriors praktisch von der Dreierlinie wegjagen, sie näher zum Korb locken. Damit sie nur noch zwei Punkte pro Angriff erzielen können.

Damit wird die grundsätzliche Verteidigungslogik auf den Kopf gestellt: Man erlaubt dem Gegner einen leichteren Wurf und versucht, ihn am schwierigen Wurf zu hindern.

Na klar (lacht)! Einfachste Mathematik ist das. Viele wollen das noch nicht wahrhaben: Wenn Stephen Curry einen Korbleger macht, sind das wenigstens nur zwei Punkte.

Manche Beobachter werfen Curry vor, eine zu große Show abzuziehen.

Curry spielt mit dem Ball. Die Leute wollen doch das kreative Spiel sehen! Und nicht diese Busfahrerei.

Mit dem Wort „Busfahren“ beschreiben Sie gerne Basketball, der in starren Spielzügen und Angriffssystemen durchorganisiert ist.

Wenn das Publikum gar nicht mehr hinschaut, wenn der Aufbauspieler das nächste System ansagt – das nenne ich Busfahren. Wenn die Leute im Publikum sich lieber unterhalten und erst nach 20 Sekunden wieder hingucken – alle sofort in die richtige Ecke, wo der Schütze steht, der dort immer den Ball bekommt. So etwas will natürlich überhaupt niemand sehen.

Anders als im Fußball versucht der Basketball auch immer wieder, mit Regeländerungen Einfluss auf die Entwicklung der Sportart zu nehmen.

Es gab sogar schon Überlegungen, einen Vier-Punkte-Wurf einzuführen oder den Korb zu vergrößern, damit mehr Punkte erzielt werden. Aber jetzt haben die Werfer wieder bessere Quoten, die Ergebnisse fallen wieder höher aus, es gibt wieder NBA-Spiele mit 135 Punkten für ein Team. Für die Spieler der Zukunft heißt das: Wer nicht gescheit werfen kann, hat auf dem Spielfeld nichts mehr verloren.

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