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Sport: Zigarillos und Schultheiss

Beim Sechstagerennen bringt sich Berlin in Feierabendstimmung – nebenbei finden noch Radrennen statt

Berlin. „Guck dir das an, diese Prominenten da unten“, ruft ein Mann im grauen Pullover über die Tribüne, „die ganzen Politiker mit ihren Schlipsen.“ Zwei Frauen neben ihm fangen an zu kichern. Über die Lautsprecher wird Schlagermusik eingespielt: „Er hat ein knallrotes Gummiboot!“ Jetzt kommt der Mann im grauen Pullover in Stimmung. „Knallrotes Gummiboot, haha, da können sie die ganzen Politiker reinsetzen.“ Die Frauen fallen sich lachend in die Arme. Haha. Dann heben sie ihre Plastikbecher in die Höhe. Prost!

Willkommen beim Sechstagerennen. 10 000 Zuschauer drängen sich in die Berlin Arena, eine lila und orange angeleuchtete Halle in Prenzlauer Berg. Hier hat schon Robbie Williams gespielt und der Bundeskanzler Wahlpartys gefeiert – hier ist die große weite Welt mit S-Bahn-Anschluss. Pelzmäntel fallen aus den Waggons, Stöckelschuhe klackern über den Betonboden vor der Arena. Es ist Feierabend. Am Eingang gibt es rot blinkende Herzen für vier Euro.

Die Halle ist genau aufgeteilt. Auf den Tribünen sitzt das arbeitende Volk samt Ehepartner, manche Männer sind sogar mit ihrer Aktentasche gekommen. Auch junge Leute sind da, Schulklassen ohne Lehrer. Sie sitzen Seit an Seit mit geschminkten Rentnerinnen, die mit Rasseln und Trillerpfeifen die Radfahrer anfeuern, die unten ihre Runden drehen. In der Mitte der Halle sitzen die Prominenten an nummerierten Tischen. Sie haben mehr Eintritt gezahlt oder wurden von ihrer Firma hierher eingeladen. Auf jedem Tisch steht eine dunkelrot leuchtende Lampe und ein Glasgefäß mit Salzstangen. Es riecht nach Zigarillos und Schultheiss.

„Noch ’ne Runde, noch ’ne Runde“, dröhnt es rhythmisch aus den Lautsprechern. Die Schüler und Rentnerinnen nehmen ihre Trillerpfeifen in den Mund. Eine Glocke bimmelt. Auf der Bahn wird das Tempo angezogen, die Radfahrer treten in die Pedale, sie sind nur noch an der Farbe ihrer Trikots zu erkennen. Der Hallensprecher ruft: „Und jetzt will ich mal das Berliner Publikum sehen.“ Die Menschen erheben sich, klatschen, rasseln. Das Fahrerfeld fliegt vorbei. „Und der Sieger des Großen Preises von Getränke Hoffmann heißt Jens Fiedler“, sagt der Sprecher auf einmal. Das Rennen ist vorbei, ganz plötzlich, aber so richtig scheint das keinen zu stören. Heute Nacht kommen noch der Esso-Partner-Preis, der Autocenter-Berlin- Cup und die Bewag-Jagd. Wieder erklingt Musik: „Olé, olé, olé, we are the champions, olé.“ Das arbeitende Volk holt sich Biernachschub. Oder eine Schmalzstulle.

Noch zwei Stunden bis Mitternacht. Immer mehr Fahrer jagen über die Bahn aus sibirischem Fichtenholz, immer mehr Menschen treffen sich hinter den Tribünen. Dort gibt es einen Showraum – eine Großraumdisko mit vielen jungen Mädchen und vielen älteren Männern. Davor Gewinnspiele, eine Autoausstellung und einen Stand mit Briefmarken aus dem Dritten Reich. „Ich habe auch DDR-Orden“, sagt Verkäufer Jürgen Franke, beugt sich hinter seinen Klapptisch und wühlt in einer Pappkiste. Er ist jedes Jahr hier und hat Sandalen an.

Noch ’ne Runde, noch ’ne Runde. In der Halle läuft die erste Jagd. 36 Fahrer rasen surrend über den Holzboden, zerfallen in bunte Gruppen. Die Regeln des Rennens sind auf den ersten Blick nicht zu erkennen. „Wir haben ein Spitzenquintett mit den Mannschaften 2, 6, 8, 12 und 15“, ruft der Hallenreporter. An der Anzeigetafel leuchten diese Nummern rot auf, dahinter steht die Zahl eins. Wer lange genug auf die Bahn schaut, dem offenbart sich: Es gibt Mannschaften mit jeweils zwei Fahrern, sie wechseln sich ab, einer von ihnen spurtet in den bunten Gruppen auf der Innenbahn um den Rundengewinn, der andere radelt auf der Außenbahn und ruht sich aus. Wenn sie sich abwechseln, schubsen sie sich mit den Händen an. So geht das 45 Minuten lang. Eine Band spielt Musik ein, schneller, immer schneller. Olé, olé, olé.

Plötzlich knallt es. Ein Fahrer liegt auf der Bahn. „Ja, die Jagd hält, was sie verspricht“, schreit der Hallenreporter. Der Fahrer humpelt von der Strecke, Betreuer bringen ihm ein neues Rad. Applaus. Im Innenraum stehen die Politiker längst an ihren Tischen und klatschen im Takt mit. Die ersten Menschen tanzen zwischen den dunkelroten Lampen, prosten sich zu. Die Sportler hasten Runde um Runde, die Stimme des Reporters wird hektischer, die Trillerpfeifen lauter. Am Bahnrand zappeln zehn Schultheiss-Cheerleader. Frauen bringen Caipirinha. Auf den Rängen geht die La Ola.

Ein neuer Tag bricht an, und die lila- orange Berlin Arena fällt in einen kollektiven Feierabend-Taumel. Im Showraum ist die Tanzfläche voll, an den Bierständen warten lange Schlangen. Die Puhdys stürmen auf die große Bühne. „Es ist alles nur eine Frage der Ansicht“, singt der Sänger, und in der Halle gehen die Feuerzeuge an. Fremde Menschen liegen sich in den Armen. Berlins CDU-Fraktionschef Frank Steffel lockert seinen Schlips, isst eine Salzstange und bestellt sich noch ein Bier.

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