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© Getty Images/Busà Photography

„Stadtbild“-Aussage von Merz: Was die Zahlen zeigen – und wie sich die Haltung zu Migration verändert hat

Mit seiner „Stadtbild“-Aussage löst Merz heftige Kritik aus. Fest steht: Deutschland ist schon lange ein Einwanderungsland. Was sich verändert hat, ist der Diskurs über Migration, sagen Soziologen.

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Wieder einmal sorgt Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) mit einer Aussage zu Migration für Aufruhr. Bei einem Auftritt in Potsdam sagte er am Dienstag, es gebe im „Stadtbild“ ein Problem.

Angesprochen auf das Erstarken der AfD erklärte Merz, frühere Versäumnisse in der Migrationspolitik würden von der Bundesregierung nun korrigiert. „Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.“

Unklar bleibt, was Merz mit dem Stadtbild meint. Von vielen wird seine Aussage als fremdenfeindlich verstanden. Gerade weil er im selben Satz über Abschiebungen spricht, erweckt er den Anschein, dass Menschen, denen man ihren Migrationshintergrund ansieht, in Deutschland nicht erwünscht sind.

Heftige Kritik aus vielen Ecken

Der Darmstädter Lungenfacharzt und Bundesverdienstkreuzträger Cihan Çelik etwa schrieb in einem Online-Beitrag, man könne Merz’ Äußerungen nicht anders verstehen, „als dass der Bundeskanzler nach Aussehen und Ethnie entscheidet, wer dazugehört und wer ,im Stadtbild’ stört“. An Merz gerichtet fragte er: „Störe ich Sie auch?“

Der Lungenfacharzt Cihan Çelik will von Bundeskanzler Merz wissen: „Störe ich Sie auch?“

© Klinikum Darmstadt

Von der Opposition kommt ebenfalls scharfe Kritik. „Absolut verletzend“ nannte Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge Merz’ Aussage am Donnerstag im Bundestag. „Wie sieht man denn das Problem, außer an der Hautfarbe der Menschen?“, fragte sie und forderte eine Entschuldigung von Merz.

Die Linken-Fraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek sagte dem Tagesspiegel: „Merz’ Aussage offenbart ein zutiefst menschenverachtendes Weltbild: Menschen mit Migrationshintergrund gehören für den Bundeskanzler offenbar nicht dazu, mehr noch, sie sind für ihn ein Problem im Stadtbild.“ Menschen, die entweder hier ihre Heimat gefunden hätten oder hier geboren worden seien, die Teil des Landes und der Gesellschaft seien, werte Merz aufgrund ihres Aussehens zum Störfaktor ab.

„Man kann diese Äußerung nicht einmal mehr als Entgleisung bezeichnen, wenn der Zug sowieso schon nur noch nach rechts fährt“, sagte Reichinnek. „Dass Merz bis heute nicht dafür um Verzeihung gebeten hat, ist schamlos und unbegreiflich.“

Der nächste Skandal sei die Erklärung, er habe dies nicht als Kanzler, sondern als Parteivorsitzender gesagt. „Weder der Kanzler noch der Vorsitzende einer Partei, die sich als demokratisch bezeichnet, sollten eine so offen rassistische Äußerung vorbringen“, sagte Reichinnek. „Sein Job als Kanzler wäre es, marginalisierten und diskriminierten Gruppen Schutz zu bieten, stattdessen gießt er Öl ins Feuer der bereits völlig vergifteten Debatte.“

Reichinnek kritisierte: „Merz gefährdet damit massiv den Zusammenhalt in diesem Land und macht die Union mehr und mehr zur Vorfeldorganisation von Rechtsaußen.“

Deutschland ist schon lange ein Einwanderungsland

Was aber zeigen die Zahlen? Zugewanderte machen einen großen Teil der Bevölkerung aus: Rund 30,4 Prozent der Einwohner haben hierzulande einen Migrationshintergrund, wurden also selbst im Ausland geboren oder haben mindestens ein im Ausland geborenes Elternteil. Etwa die Hälfte davon besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft.

Unter der Bevölkerung mit Migrationshintergrund stellten Menschen mit türkischen Wurzeln 2024 die größte Gruppe, gefolgt von Menschen mit polnischen und russischen Wurzeln.

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Seit den 1990er-Jahren war die Zahl der Zuzüge nach Deutschland fast jedes Jahr höher als die Zahl der Fortzüge, wobei auch deutsche Ein- und Auswanderer in der Statistik berücksichtigt werden. Rund um die Flüchtlingskrise 2015 sowie mit dem Beginn des vollumfänglichen Kriegs gegen die Ukraine erreichte die Zuwanderung nach Deutschland ein neues Hoch.

Die Zahl der Asylanträge wiederum stieg 2015 und 2016 sprunghaft an, sank danach wieder deutlich und erhöhte sich zwischen 2021 und 2023 erneut. Im vergangenen ebenso wie in diesem Jahr geht die Zahl der Asylanträge nunmehr deutlich zurück.

Schaut man sich an, wo in Deutschland die meisten Menschen mit Migrationshintergrund leben, stechen die drei Stadtstaaten hervor. In Bremen lag der Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund 2023 bei 44, in Hamburg und Berlin je bei knapp 40 Prozent. Unter den Flächenländern haben Hessen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen einen besonders hohen Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund.

Auffällig ist, dass in Ostdeutschland erheblich weniger Menschen mit Migrationshintergrund leben als im Westen. Nimmt man Berlin aus, sind es dort durchschnittlich rund 11,3 Prozent, verglichen mit 33,4 Prozent in Westdeutschland (inklusive Berlin).

Wie hat sich die Debatte über Migration verändert?

„Langfristig betrachtet sind die Deutschen migrationsfreundlicher geworden, insbesondere seit den 2010er-Jahren“, sagt Fabian Gülzau, stellvertretender Leiter des Bereichs Forschung beim Sachverständigenrat für Integration und Migration, ein Gremium zur Politikberatung, das vom Bundesinnenministerium finanziert wird.

„Seit 2023 hat die Skepsis gegenüber Migration jedoch zugenommen“, sagt Gülzau. Das gelte vor allem dort, wo die Befragten Nachteile für sich fürchteten, etwa mehr Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt durch Zuwanderer.

Die Haltung zu Migration in der Bevölkerung unterscheidet sich sehr stark, je nachdem, um welche Art von Zuwanderung es geht. Eine jüngst erschienene Studie der TU Dresden zeigt: Wird allgemein nach Migration gefragt, wollen zwei Drittel der Deutschen die „Zuzugsmöglichkeiten für Ausländer“ einschränken. Geht es dagegen um ausländische Fachkräfte, sprechen sich 61 Prozent dafür aus, die Zuwanderung zu erleichtern.

„Der Diskurs über Migration trennt scharf zwischen als nützlich wahrgenommener Migration und Fluchtmigration“, erklärt die Soziologin Magdalena Nowicka von der Humboldt-Universität zu Berlin. In der öffentlichen Debatte stellt sie einen „Tabubruch“ fest, der Unsagbares habe sagbar werden lassen.

Daran habe auch die Politik ihren Anteil: „Der Diskurs zu Migration und die Einstellung in der Bevölkerung bedingen sich gegenseitig.“ Mit Blick auf Merz’ „Stadtteil“-Aussage macht Nowicka deutlich: „Ich denke, das war eine gefährliche, potenziell folgenreiche Formulierung.“

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