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Eine Protestveranstaltung in München zum Tod des Pressefotografen Klaus Frings.

© imago

1968 im Tagesspiegel: Zweites Todesopfer in München - Student erlag den Folgen einer Schädelfraktur

Vor 50 Jahren starben ein Pressefotograf und ein Student bei Studentenunruhen in München

Wie hat der Tagesspiegel das Jahr 1968 begleitet? Wir publizieren regelmäßig einen ausgewählten Text aus der Zeitung von vor 50 Jahren – zur Studentenbewegung, sowie zu anderen Themen, die die Stadt und die Welt bewegt haben. Am 19. April 1968 schrieb der Tagesspiegel über den Tod von Klaus Frings und Rüdiger Schreck.


Die Ausschreitungen bei den Demonstrationen während der Osterfeiertage in München haben ein zweites Menschenleben gefordert. Nach dem Tode des Pressephotographen Klaus Frings starb, wie erst gestern bekannt wurde, am Mittwochabend der 27jährige Student Rüdiger Schreck an den Folgen einer Schädelfraktur, die er sich nach Angaben der Polizei in der Nacht zum Dienstag bei der Anti-Springer-Demonstration vor dem Buchgewerbehaus zugezogen hat. Auf welche Weise der Student verletzt wurde, steht noch nicht endgültig fest. Die Mordkommission hat ihre Ermittlungen aufgenommen.

Rüdiger Schreck ist nach den bisherigen Ermittlungen vermutlich zum gleichen Zeitpunkt wie Klaus Frings verletzt worden. Die Kriminalbeamten versuchen nun Zeugen zu finden, die dabei waren, als Schreck zusammenbrach. Ein Sprecher des Münchener AStA sagte, der Student sei "irgendwie am Kopf getroffen worden". Er wurde von Kommilitonen zum Krankenwagen gebracht. Als er im Schwabinger Krankenhaus eintraf, war er noch bei Bewußtsein, konnte jedoch über den Vorfall keine Angaben machen. Nachdem die Schädelfraktur festgestellt worden war und Krämpfe auftraten, wurde Schreck in die neurochirurgische Abteilung des Krankenhauses "Rechts der Isar" gefahren. Die Ärzte konnten sein Leben trotz einer sofortigen Operation nicht mehr retten. Er erwachte nicht mehr aus der tiefen Bewußtlosigkeit.

Kriminaldirektor Häring nimmt an, daß Schreck inmitten der Demonstranten verletzt wurde. Es gebe bisher keinen Hinweis, daß der Student zusammengeschlagen worden sei. "Einiges spricht dafür, daß Schreck nicht durch einen Gummiknüppel verletzt worden ist", betonte Häring. "Wir wollen diesen Punkt aber noch völlig offen lassen, denn wir stehen erst am Anfang der Ermittlungen."

Gestern abend erklärte die Polizei, die bisherigen. Ermittlungen hätten ergeben, daß Schreck die tödlichen Verletzungen wahrscheinlich durch eine geschleuderte Bohle erhalten habe. Nach Zeugenaussagen traf eine etwa 60 Zentimeter lange vierkantige Bohle einen Demonstranten, bei dem es sich wahrscheinlich um Schreck gehandelt hat.

Schreck wohnte seit zwei Jahren in München und studierte im sechsten Semester Betriebswirtschaftslehre. Er gehörte keiner Studentenorganisation an. Freunde schilderten (ihn als sehr ruhig, fleißig und politisch nicht gebunden. Es heißt, er habe sich die Demonstration lediglich ansehen wollen.

Nach Angaben der Polizei war die Schwere der Verletzungen des Studenten zunächst nicht erkannt worden. Rüdiger Schreck wohnte in München zusammen mit seinem Bruder und einem dritten Studenten in einer kleinen Wohnung im Westen der Stadt. Seine Mutter ist Lehrerin in Dankerode im Harz (Sowjetzone). Sein Vater, der von Beruf Ingenieur war, fiel kurz vor Kriegsende. Rüdiger Schreck war am 8. Mai 1960 aus der Sowjetzone nach Berlin geflohen. Als Grund für die Flucht gab er an, er habe sich geweigert, bei der "Nationalen Volksarmee" Dienst zu tun, und daher keine Genehmigung zum Studium erhalten.

 "Schluß mit Gewalt!"

Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Barzel kommentierte den Tod des Studenten mit den Worten: "Nun muß Schluß sein mit Gewalt!"

Der Verband Deutscher Studentenschaften erklärte, das zweite Opfer der Demonstrationen sollte alle Beteiligten zu der Einsicht nötigen, "daß Gewalttätigkeiten die fatalste Form der politischen Auseinandersetzung und immer Produkte der Verzweiflung sind". Wiederholungen solcher Formen der Auseinandersetzungen seien nur durch politische Entscheidungen, nicht aber durch Polizeieinsatz und Schnellgerichte zu vermeiden.

Stellungnahme des SDS

Der Bundesvorstand des SDS hat gestern .ebenfalls sein Bedauern über den Tod von Schreck, ausgedrückt. Unter Hinweis auf das erste Opfer der Demonstration, den AP-Photographen Frings, heißt es in der Erklärung: "Wir sind betroffen in der Trauer um beide Tote." Weiter erklärte der SDS, er lehne alle Gewalt gegen Menschen ab. Er betonte, daß jetzt eine bloß gefühlsmäßige Reaktion, sei sie zynisch oder rührselig, die Gefahren nur verschleiere und politische Konsequenzen verhindere, nämlich Gewalt gegen Menschen unmöglich zu machen.

Der AStA der Hamburger Universität reagierte "mit Entsetzen" auf den Tod des Studenten Rüdiger Schreck. "Angesichts der Tatsache, daß die gewaltsamen Räumaktionen der Polizei bei gewaltlos intentiertem Widerstand die Gegengewalt der Demonstranten herausforderte und beide Seiten offensichtlich die sich gegenseitig bedingende Eskalation der Gewalttaten nicht mehr kontrollieren können, sieht sich die Hamburger Studentenvertretung nicht mehr in der Lage, auch nur passiven Widerstand zu verantworten", heißt es in der Erklärung.

"Wir tappen völlig im Dunkeln", sagte am Donnerstag ein Sprecher der Münchener Polizei zur Fahndung nach dem etwa 25jährigen bärtigen Mann, der durch einen Steinwurf den Tod des AP-Photographen Klaus Frings verschuldet haben soll. Am Mittwoch hatte sich ein Zeuge gemeldet, der eine präzise Beschreibung eines Mannes geben konnte. Als er den Tatort zeigen sollte, stellte sich heraus, daß vermutlich an dieser Stelle nicht Frings, sondern Rüdiger Schreck verletzt worden ist.

Die Ärzte der Chirurgischen Poliklinik der Universität München haben Vorwürfe zurückgewiesen, daß sie für Klaus Frings zu wenig getan hätten. In einem Bericht an .das bayerische Kultusministerium erklärten die Ärzte, Frings sei bestens und schnellstens ärztlich versorgt worden. Ein Sprecher des Ministeriums erklärte, Vorwürfe gegen die Klinik seien unberechtigt. Dennoch werde der Fall nochmals überprüft. Der Chefarzt der Neurochirurgischen Klinik, Professor Marguth, sagte, Frings sei womöglich zu spät von der Chirurgischen Klinik in seine Klinik verlegt worden. Das sei aber nicht als Vorwurf zu werten, da die Symptome der Verletzungen, die schließlich zum Tode von Frings führten, für Nichtspezialisten nur schwer erkennbar gewesen wären.

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