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Post von Wagner. Die Titelseite der „Super Zeitung“ vom 3. Mai 1991. Chefredakteur war damals der heutige "Bild"-Chefkolumnist Franz-Josef Wagner.

© Repro: Tsp

Tod in Bernau und die "Super!"-Zeitung: Das Gespenst der Einheit

"Angeber-Wessi mit Bierflasche erschlagen – ganz Bernau ist glücklich, daß er tot ist", titelte vor 20 Jahren die "Super!"-Zeitung. Sandra Dassler hat sich auf die Spuren einer Schlagzeile gemacht.

Von Sandra Dassler

Sabine H. (Name geändert) bekommt immer noch Briefe, die sie „Post ins Jenseits“ nennt. Denn der Mann, der da vom Finanzamt aufgefordert wird, seine Steuererklärung abzugeben, ist seit 20 Jahren tot. Ermordet im Keller des Hauses, in dem Sabine H. seit 15 Jahren mit ihrer Familie lebt. Es ist ein von außen eher klein wirkendes Gebäude, das die H.s liebevoll restauriert haben. Auch die benachbarten Häuser und Grundstücke sind gepflegt. Flieder blüht, Kinderschaukeln wiegen sich im Wind, Vögel zwitschern – die Siedlung „Waldfrieden“ nördlich von Bernau macht ihrem Namen alle Ehre. Lange vergessen scheint der Frühling vor zwei Jahrzehnten, als hier ein Mensch auf grausame Art getötet wurde.

In Erinnerung blieb ohnehin weniger die Tat als die Schlagzeile darüber, die am 3. Mai 1991 erschien: „Angeber-Wessi mit Bierflasche erschlagen… Ganz Bernau ist glücklich, dass er tot ist“.

Die Zeile stand in der zweiten Ausgabe der vom Burda-Verlag speziell für Ostdeutschland entwickelten Boulevardzeitung „Super“, und während Journalisten und Politiker noch lange darüber diskutierten, wie tief offenbar der Graben in einem Volk war, das erst wenige Monate zuvor seine Vereinigung gefeiert hatte, erlosch das Interesse am Verbrechen schnell. Nicht nur, weil der mutmaßliche Täter wenige Tage später mit einer tödlichen Überdosis Heroin auf einer Herrentoilette in Frankfurt (Main) gefunden wurde. Sondern vor allem, weil sich in Bernau keiner mehr an das Opfer, den 49-jährigen Dieter B., erinnern wollte.

„Diese Schlagzeile war natürlich menschenverachtend“, sagt Ulrich Gerber. „Über einen solchen grausamen Tod konnte ja niemand glücklich sein. Es gehört aber auch zur Wahrheit, dass Dieter B. viele Menschen – sagen wir mal – vor den Kopf gestoßen beziehungsweise über den Tisch gezogen hat.“

Ulrich Gerber war nach dem Mauerfall der erste demokratisch gewählte Bürgermeister von Bernau. Als er am 1. Juni 1990 sein Amt antrat, war B. schon da. „Ein alter klappriger BMW, der merkwürdigerweise ein Diplomatenkennzeichen hatte, stand vor dem Rathaus“, erzählt Gerber: „B. hatte sich als Geschäftsmann aus West-Berlin vorgestellt, ein paar alte Drucker mitgebracht und so den SED-Bürgermeister und die Leute vom Liegenschaftsamt zu beeindrucken versucht. Er ging im Rathaus ein und aus, war laut, aufdringlich und hat sich vor allem für Grundstücke interessiert.“

Es war eine Zeit, in der die alte Macht nicht mehr und die neue noch nicht funktionierte, erzählt Gerber, der heute Amtsdirektor in Neustadt an der Dosse ist. Goldgräberzeit für Menschen, die nichts zu verlieren, aber viel zu gewinnen hatten. B. trug eine goldene Rolex, gab sich als Mann von Welt und wusste im Gegensatz zu den Bernauern, wie die neue Gesellschaft funktionierte. Er gründete – meist mit dem Geld der unerfahrenen Einheimischen – mehrere Firmen.

„Er war so ein Glücksritter, wie sie damals haufenweise in den Osten kamen“, sagt Gerber. „Er hatte sich unter den Ostlern ein paar Verbündete gesucht: einen Juristen und jemanden vom Liegenschaftsamt – und es geschafft, an das Haus im Waldfrieden heranzukommen.“

Bernau beschaulich. Unter dem Turm der Marienkirche liegt die Altstadt der knapp 37.000 Einwohner zählenden Stadt rund 30 Kilometer nördlich von Berlin.
Bernau beschaulich. Unter dem Turm der Marienkirche liegt die Altstadt der knapp 37.000 Einwohner zählenden Stadt rund 30 Kilometer nördlich von Berlin.

© Imago

Der Ortsteil „Waldfrieden“ liegt zwei Kilometer außerhalb Bernaus in Richtung Wandlitz. Das Haus, in das B. einzog, war in Bernau als „Stasi-Villa“ bekannt. „Ob es nun Stasi war oder andere Bonzen – jedenfalls kamen die ständig abends aus Wandlitz oder Berlin angefahren und haben hier wüste Feten gefeiert“, erzählt ein Anwohner. Der Mann ist auch so viele Jahre nach dem Ende der DDR noch empört über die Doppelmoral der Funktionäre: „Am nächsten Morgen lagen die Verpackungen der besten Westwaren in der Mülltonne – Dinge, die der normale DDR-Bürger nie bekam. Und der B., der hat offenbar super mit den Stasi-Leuten zusammengearbeitet.“

Bernaus damaliger Bürgermeister Ulrich Gerber weiß nicht, ob das so war. Das Haus in Waldfrieden habe offiziell dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund gehört, sagt er : „Ich habe Herrn B. damals ziemlich schnell aus dem Rathaus verwiesen, und als er bemerkte, dass ich nicht so wollte wie er, begann er, gegen die Stadtverwaltung zu arbeiten. Sogar Hetzflugblätter ließ er drucken.“

Daran erinnert sich auch der damalige Landrat von Bernau, Dieter Friese: „B. nannte sich Herausgeber“, sagt er: „Aber seine Kleine Zeitung bestand nur aus zusammengehefteten Blättern.“ Die B. vor allem dazu nutzte, seine Ziele zu erreichen und groß ins Immobiliengeschäft, vor allem auch in die Vermarktung von Wandlitz, einzusteigen.

Doch dafür reichte sein Atem nicht aus. Ziemlich schnell brach das Imperium aus Scheinfirmen und dubiosen Geschäftsbeziehungen zusammen. Die Banken gaben nichts mehr. Langsam sprach sich herum, dass B. – er hatte zuvor in Frankfurt am Main, Mainz und West-Berlin gelebt – schon öfter mit dem Gesetz in Konflikt geraten war. Meist ging es um Betrug, aber auch um versuchte Erpressung und Nötigung. Medienberichten zufolge hatte B. Anfang der 80er Jahre bei einem Streit in West-Berlin sogar eine Pistole gezogen und seinen Rivalen mit Schüssen vor die Füße zum „Tanzen“ gezwungen.

Als er in Bernau in der Rolle des smarten, reichen West-Onkels nicht mehr überzeugte, ging es Anfang 1991 mit B. bergab. „Der hatte nur noch junge Bengels um sich, mit denen er in seiner Villa gefeiert und gesoffen hat“, erzählen damalige Nachbarn. B. war homosexuell, eine Beziehung – so hieß es später – soll kurz zuvor in die Brüche gegangen sein. Der 49-Jährige ließ sich gehen, war ungepflegt, beschimpfte immer öfter seine Ost-Angestellten.

Getötet hat ihn am Ende, davon ist die Staatsanwaltschaft überzeugt, aber kein Ostdeutscher. Vielmehr holte B. Anfang 1991 einen alten Bekannten, den fast 20 Jahre jüngeren Jürgen K. aus dem Drogen- und Frankfurter Rotlichtmilieu in eine seiner Firmen und in sein Haus nach Bernau. Ob zwischen den beiden auch eine sexuelle Beziehung bestand, blieb offen – jedenfalls kam es späteren Zeugenaussagen zufolge in der Firma zu einem schlimmen Streit, bei dem B. seinen jüngeren Bekannten öffentlich demütigte.

Als er ihn aufforderte, seine Sachen aus der Villa zu holen, muss K. ausgerastet sein. Anette Bargenda von der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) erinnert sich: „B. wurde am 15. April 1991 im Haus gefunden. Getötet mit mindestens neun Bier- oder anderen Spirituosenflaschen, die der Täter auf seinem Kopf zerschlagen hatte.“ Als Täter kam nach Ansicht der Ermittler nur Jürgen K. in Frage, der am Morgen des 15. April ein Taxi vom Tatort nach Berlin nahm. Auch habe er sich einem Anwalt anvertraut, sagt Staatsanwältin Bargenda. Und einem Bekannten. Dem sagte er, wenn das Geld alle sei, das er B. gestohlen habe, werde er Schluss machen. Ins Gefängnis gehe er nicht.

Das Geld war offenbar schnell alle. Am 5. Mai 1991 wurde Jürgen K. mit der tödlichen Spritze im Arm gefunden. Für die Staatsanwaltschaft war der Fall erledigt, durch Bernau waberten noch einige Monate lang wilde Gerüchte. Vom „Stasi-Auftragsmord“ war die Rede, aber „es gab und gibt bis heute keinerlei Hinweise darauf, dass Jürgen K. kein Einzeltäter war“, sagt Staatsanwältin Bargenda.

20 Jahre später sind die Akten längst geschlossen. Die Zeitung „Super“ hat ihre berüchtigte Titelzeile nur um ein gutes Jahr überlebt, im Juni 1992 stellte das Blatt sein Erscheinen ein. Der damalige Chefredakteur und jetzige Chefkolumnist des Springer-Verlages, Franz-Josef Wagner, bezeichnet die Schlagzeile heute als Fehler. „Ich würde zwar wieder über den Fall berichten“, sagt er: „Auch über die Gefühle der Ostler, die von Glücksrittern aus dem Westen betrogen und gedemütigt wurden. Aber ich würde nicht durch eine solche Schlagzeile Öl ins Feuer dieser Emotionen gießen. Man kann nicht glücklich darüber sein, dass ein Mensch getötet wurde.“

Sabine H., die das Haus 1995 erwarb, hat erst, als sie den Schlüssel erhielt, von seiner Geschichte erfahren. Sie fühlt sich dennoch mit ihrer Familie darin wohl, auch wenn ihr Mann beim Renovieren noch von der Stasi verlegte Wanzen fand. Auch wenn wieder Post an Dieter B. bei ihr landet, obwohl sie oft mitgeteilt hat, dass es ihn nicht mehr gibt. Die Briefe kämen von Gläubigern und Firmen, von der Deutschen Bank und – Jenseits hin oder her – alle Jahre wieder vom Finanzamt.

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