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Groschenromane haben nicht den besten Ruf. Im Internet erleben sie eine Rennaisance.

© dpa

Die Rückkehr des Groschenromans: Häppchenweise

Der Groschenroman feiert auf dem eReader ein Comeback. Aber dafür musste er sich verändern. Herzschmerz, Schicksal, Heimat, Abenteuer? Die Billigheftchen von heute sind aus einem ganz anderen Stoff.

Zugegeben, ein Quell der philosophischen Erkenntnisse war der Groschenroman noch nie. Doch wer auf seichte Unterhaltung steht, sollte irgendwo zwischen Western-Storys, Arztromanen, Weltraumabenteuern, Detektivgeschichten und Heimatschnulzen glücklich werden können. Aber dann machte Groschenroman-Gigant Bastei Lübbe am digitalen Kiosk eine interessante Entdeckung: Man hatte den Sex ausgelassen. Mit zwei Erotik-Reihen sprang der Branchenprimus in die Bresche. Sie entwickelten sich zu Kassenschlagern der digitalen Sparte. „Wir erreichen gerade mit den erotischen Romanen Zielgruppen, die vorher keine Heftromane gelesen haben“, sagt Annika Hartmann, Programmleiterin bei Bastei Entertainment.

Die neuen Zielgruppen können die Heftromane gut gebrauchen. Die Stammleserschaft ist überaltert oder wendet sich neuen Unterhaltungsangeboten zu. Bastei verkauft zwar immer noch zehn Millionen Heftromane im Jahr. Doch an die Blütezeiten der 1960er und 70er Jahre konnte die Branche nie wieder anknüpfen.

Im Internet feiert der Groschenroman jetzt sein Comeback. Die jüngere Zielgruppe kennt weniger Vorbehalte. Für sie ist die digitale Trivialliteratur ein weiteres schnell verfügbares Unterhaltungsangebot aus dem Internet. Preislich liegt der digitale Roman mit 1,99 oder 2,49 Euro nah bei dem, was die meisten Internetnutzer bereit sind zu bezahlen. Kurz: Als eBook werden aus den Schwächen des Heftromans plötzlich Stärken. „Der Heftroman lebt nicht gerade von seiner gehobenen Ausstattung“, sagt Hartmann. Auf dem eReader sieht jedes Buch gleich aus. „Man erkennt ja nicht, dass es ein Heftroman ist. Der steht in den Stores neben den Bestsellern und neben hochintellektuellen Büchern, die man an der Uni lesen muss.“

Am digitalen Kiosk herrscht Chancengleichheit. Darauf spekulierte auch Markus Rohde und gründete im Mai seinen eigenen Digitalverlag. Der Rohde Verlag fordert die gedruckten Romanserien heraus, zumindest in den „Männerserien“, von denen in den klassischen Heftromanabteilungen bis heute noch oft die Rede ist. Gemeint sind die Genres Science-Fiction, Krimi und Horror.

Die Genre-Literatur ist Rohdes Spezialgebiet. Als Leiter der Romanabteilung beim Cross Cult Verlag und Chefredakteur des Genre-Magazins „Geek“ sei er „in der Szene“ gut vernetzt. Von diesen Kontakten werde auch sein Digitalverlag profitieren. In den einschlägigen Fan-Foren, auf Szene-Webseiten oder in Magazinen will Rohde die Werbetrommel für seine „Helden in Serie“ rühren lassen. Am Ende aber steht und fällt der Erfolg – wie so oft im Netz – mit der Mundpropaganda.

Drei Titel führt der Rohde-Verlag derzeit in seinem Programm. Ein hohes Erzähltempo und ein Cliffhanger sollen die Leser am Ende jeder Episode bei der Stange halten. Das hat sich Rohde von den US-amerikanischen TV-Serien abgeguckt. Das Staffelprinzip habe er aber vor allem aus produktionstechnischen Gründen übernommen. Denn anders als bei vielen klassischen Heftromanen, schreibt hier jeder Autor an seiner eigenen Serie. Da braucht es zwischendurch mal eine kreative Pause. Im großen Verlag schreiben hunderte Autoren die Geschichte des Titelhelden weiter. Ein Reihenexposé steckt den Rahmen ab. Allein der Bastei-Lübbe-Verlag befüllt so Woche für Woche 34 Serien-Titel mit immer neuen Geschichten über FBI-Agenten, Adelsschicksale, Heimatlieben, Ärzte, Cowboys und Geisterjäger.

Auch im Netz wächst das trivialliterarische Archiv rasend schnell. Der zusätzliche Vertriebsweg ist für den Verlag unbezahlbar. Schließlich verschwinden die einzelnen Ausgaben sonst für immer aus dem Kiosk. „Das finde ich sowieso bemerkenswert, wie viele Leute ihre alten Heftromane als eBook haben wollen“, sagt Hartmann. Gerade im Internet sei die Häppchen-Literatur wieder zeitgemäß, sie passe zu den Lesegewohnheiten des Internetpublikums. „Die Leute sind es gewohnt, kürzere Texte zu lesen und schneller an Informationen zu kommen.“ Was nicht auf Anhieb gefällt, wird weggeklickt. Der Erzähler muss schnell zur Sache kommen – eine Kunst, die die Heftromanautoren meisterhaft beherrschen.

Für die Autoren wiederum ist das digitale Publizieren eine attraktive Alternative. Statt eines festen Honorars bezahlt Rohde seinen Autoren eine Gewinnbeteiligung. Die fällt höher aus als bei den großen Verlagen, „weil weniger Leute die Hand aufhalten“, sagt Christian Humberg.

Humberg ist der Autor der Mystery-Serie „Gotham Noir“, die er selbst als „eine Mischung aus ,CSI’ und ,Akte X’“ bezeichnet. Mehr noch als die Bezahlung habe ihn aber die Freiheit beim Rohde-Verlag gereizt. „Markus hat zu mir gesagt: ,Mach was du willst.’ Das war ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte.“ Markus Rohde hat sich eine Nische ausgesucht, um die andere Verlage einen großen Bogen machen. „Science-Fiction wird im Mainstream nicht als seriöse Literatur angesehen“, klagt Humberg. Im digitalen Raum aber werden diese Stoffe umso besser funktionieren. Schließlich sei das Publikum eher technikaffin.

Die Nische zu suchen ist taktisch klug. Mit einem Branchengiganten wie Bastei Lübbe kann es Rohde auch im digitalen Raum nur schwer aufnehmen. Nicht zuletzt auch, weil Rohdes digitale Heftromane keinen Preisvorteil haben, weder gegenüber dem Printprodukt, das sogar billiger ist, noch gegenüber den eVersionen der großen Marken. Mit 80 bis 90 Buchseiten pro Episode bekommt der Leser nur etwas mehr für sein Geld. Der Verlag aber muss haarscharf kalkulieren. „Die meisten Leser denken: So ein eBook zu machen kostet ja nix”, klagt Rohde. Das sei ein Trugschluss. Abzüglich der Kosten für ISBN-Nummern, Covergestaltung, Marketing und Vertrieb seien die Gewinnmargen für den Verlag gering.

Die Welt der Heftromane ist ohne Zweifel ein Schlaraffenland für Nostalgiker. Viele der beliebtesten Serien starteten vor über 50 Jahren und haben sich seither kaum verändert. Aber gerade das kritisiert Rohde. „Man muss die Leser heute anders mitnehmen.“ Bei Bastei Lübbe hat man das bereits verstanden. Publikumsliebling „Jerry Cotton“ bekam als Erster einen Facelift verpasst, um ihn für eine jüngere Zielgruppe attraktiv zu machen. Seit 1954 löst der New Yorker FBI-Agent mysteriöse Fälle und gehört neben „Perry Rhodan“ zu Deutschlands beliebtesten Heftroman-Figuren. Für das digitale Remake „Jerry Cotton Reloaded“ wurde nicht nur das Cover aufgepeppt. Die ganze Geschichte wurde umgeschrieben. Der neue Jerry Cotton ist traumatisiert von den Attentaten des 11. September, bei denen er seine Familie verlor. Auch bei den „Frauenserien“ werden eiserne Regeln gebrochen. Eine davon lautete: Nach dem ersten Kuss geht die Schlafzimmertür zu. Und nun das: Die Sex-Reihe „Shadows of Love“ erwies sich im eBook-Store als so erfolgreich, dass sie seit kurzem auch als gedrucktes Heft am Kiosk ausliegt. „Es ist ein Versuch“, sagt Florian Marzin, der Leiter der klassischen Heftromanabteilung bei Bastei Lübbe. Über den Erfolg seiner drei im Sommer gestarteten Romanserien kann Rohde noch nicht viel sagen. Die Abrufzahlen muss er sich bei den etwa 40 Plattform-Anbietern einholen. Das kann dauern.

Zwei neue Serien sind geplant. Nebenbei entstehen auch noch Sach- und Hörbücher. Rohde nennt das „Rumprobieren“. Das Internet sei schnelllebig und das Internetpublikum vom Tempo verwöhnt. Da darf man sich nicht abhängen lassen.

Von seiner Arbeit bei Cross Cult weiß Rohde jedenfalls: Es geht steil bergauf mit dem digitalen Geschäft. Das macht ihn optimistisch. Lesestoff hat es im Internet zwar zunehmend schwerer. Andere Unterhaltungsangebote wie Spiele, soziale Medien und Filme ziehen die Aufmerksamkeit der Nutzer ab. Aber Zeit für ein Lese-Häppchen zwischendurch, vor allem, wenn es gut ist, bleibt immer.

EIN BLICK IN DIE CHARTS

Zuverlässige Zahlen über den Erfolg von digitalen Heftromanen gibt es nicht, da unabhängige und plattformübergreifende eBook-Charts nur Titel ab drei Euro erfassen. In den allgemeinen Amazon-Charts dominieren niedrigpreisige Titel zwischen 89 Cent und drei Euro – das Ergebnis eines Preiskampfes zwischen Verlagen, Autoren und Indie-Publishern. Im Heftroman-Bereich ist der Held des Netzes – wie im Print – der unverwüstliche Perry Rhodan. Die Reihe aus dem Hause Pabel-Moewig bekommt im Kindle-Shop die besten Bewertungen. Innerhalb des eigenen Genres, Science-Fiction/Fantasy, landet die Reihe regelmäßig in den Top Ten. Das schafft kein anderer Heftroman.

DIGITALE UMSÄTZE

20 Prozent seines Umsatzes erzielt der Bastei-Lübbe-Verlag bereits mit digitalen Inhalten. Die Abteilung Bastei Entertainment wurde in den vergangenen vier Jahren von drei auf 18 Mitarbeiter ausgebaut. „Jerry Cotton“ soll in seinen Hochzeiten eine Auflage von 180 000 Exemplaren gehabt haben. Heute liegt die Auflage bei unter 12 000.Tsp

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