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Hörsaal statt Lehrstelle?: „Das duale System hat seine Dominanz verloren“
Die duale Ausbildung galt einst als deutscher Exportschlager. Dennoch ist der Anteil derer, die eine Ausbildung beginnen, seit Jahren im Sinkflug. Was steckt dahinter?
Stand:
Schule – und dann? Eine Frage, die auch im bald endenden Schuljahr wieder viele umtreibt. Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen: Beim Übergang zwischen Schule und dem weiteren Bildungsweg hat sich in den vergangenen 30 Jahren in Deutschland viel verändert. So war die Zahl der Jugendlichen, die eine berufliche Ausbildung begann, 1992 fast doppelt so hoch wie die Zahl derer, die studieren gingen. Mittlerweile beginnen mehr Menschen ein Hochschulstudium als eine Berufsausbildung. Besonders eindrücklich zeigt sich der Trend in Berlin: Hier gibt es aktuell 200.440 Studierende und 35.040 Auszubildende.
Diese Entwicklung wirkt zunächst überraschend: Die duale Berufsausbildung galt viele Jahre lang als Aushängeschild der deutschen Wirtschaft. Die Verbindung zwischen betrieblicher Praxis und schulischer Ausbildung wurde international als Vorbild betrachtet. Ist das Erfolgs- zum Auslaufmodell geworden?
„Das duale System bleibt ein wichtiger Qualifizierungsweg, hat aber aktuell seine Dominanz verloren“, sagt Bildungssoziologin Paula Protsch, die an der Universität Köln und am Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) forscht. Die Gründe seien vielschichtig. Entscheidend ist, dass der Bildungsstand in Deutschland seit Jahrzehnten kontinuierlich steigt.
Protsch spricht von einer „Bildungsexpansion“. Bei den 25- bis 34-Jährigen besitzen 57 Prozent eine Fachhochschul- oder Hochschulreife, bei den Über-75-Jährigen sind es nur 19 Prozent. „Immer mehr junge Menschen dürfen studieren und tun das auch“, so die Forscherin.

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Studium oder Ausbildung – welche Faktoren beeinflussen diese Wahl? Studien zeigen, dass diese Entscheidung das Ergebnis einer Kosten-Nutzen-Überlegung unter Berücksichtigung fachlicher Interessen ist. Wie waren meine Schulleistungen? Welchen Erfolg verspreche ich mir? Und wie weit habe ich es bis zur nächsten Hochschule? All das spielt laut Bildungsforscherin Protsch eine Rolle.
Entscheidend sei auch die soziale Herkunft: Es ist empirisch belegt, dass Jugendliche aus nicht-akademischen Elternhäusern trotz Abitur häufig damit hadern, ein Studium aufzunehmen. „Oft fehlen hier die Vorbilder“, so Protsch. „Diese Jugendlichen tun sich oft schwer damit, einzuschätzen, ob sie ein Studium bewältigen könnten.“
Zum Teil fehle es auch an Informationen über den perspektivischen Nutzen eines Studiums – auch mit Blick auf das Einkommen, das dann erzielt werden kann. Aber: Wenn Jugendliche aus bildungsfernen Elternhäusern gezielt über das Potenzial eines Studiums und Fördermöglichkeiten informiert werden, steigt ihre Studienbereitschaft signifikant an.
Stichwort Einkommen: ist das mit einem Studium tatsächlich besser als mit einer dualen Berufsausbildung – oder gleicht sich das nicht alles irgendwie an? Tatsächlich gibt es den sehr gut verdienenden Facharbeiter in der Metall- oder Automobilindustrie und gleichzeitig den prekär lebenden Kunsthistoriker.
Doch Forscherin Protsch verneint. Das seien tatsächlich Ausnahmen, im Durchschnitt zeigten die Daten, dass sich ein Hochschulstudium über den gesamten Lebenslauf hin finanziell lohnt. So rechnet der Nationale Bildungsbericht 2022 vor, dass das durchschnittliche Brutto-Lebenseinkommen mit einem Hochschulabschluss bei 2,52 Millionen Euro liegt, mit einer Berufsausbildung bei nur 1,69 Millionen Euro.
Doch auch ohne Studium lassen sich die Einkommensaussichten deutlich steigern – dann nämlich, wenn eine Zusatzqualifikation erworben wird, etwa ein Meister, Techniker oder Fachwirt. In diesen Fällen steigt das Bruttolebenseinkommen auf durchschnittlich 2,23 Millionen Euro und schließt damit beinah zu dem der Akademiker auf.
Mit welcher Berufsausbildung lässt sich auch ohne Zusatzqualifikation sehr gut verdienen? Antworten finden sich beispielsweise im Nationalen Bildungsbericht 2020, in dem Stundenlöhne verglichen werden. Hier zeigt sich, dass eine Bankkauffrau im Schnitt genau so viel verdient wie eine studierte Erziehungswissenschaftlerin – und beide bekommen mehr als ein Geisteswissenschaftler.
Jenseits von finanziellen Erwägungen gibt es einen weiteren Grund dafür, dass die duale Berufsausbildung an Bedeutung verliert: Jede dritte Ausbildung wird abgebrochen. Allein in Berlin wurden 2023 insgesamt 5985 Ausbildungsverträge vorzeitig gelöst, vier Prozent mehr als im Jahr zuvor. Und auch hier hat Bildungsforscherin Protsch eine interessante Zusatzinformation parat: „Besonders hoch ist die Abbruchwahrscheinlichkeit dann, wenn Azubis eine Ausbildung beginnen, die nicht ihren ursprünglichen Wünschen entspricht.“
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