
© Matthias Matern
Vom Hightech-Prüfstand bis zum VR-Fahrsimulator : Technik zum Anfassen bei der Langen Nacht der Wissenschaften
Noch sind selbstfahrende Autos keine Selbstverständlichkeit. Für den Weg dahin aber haben TU-Wissenschaftler einen Plan. Interessierte können sich am Samstag ein Bild davon machen.
Stand:
In Beeskow soll ein autonomer Elektrobus künftig die Ortsteile besser anbinden, in Potsdam tüftelt die Stadt mit Siemens an selbstfahrenden Straßenbahnen und auch die Berliner Verkehrsbetriebe wollen ab 2027 erste, autonome Fahrzeuge durch die City rollen lassen. Wann aber autonomes Fahren in Deutschland eine Selbstverständlichkeit ist, diese Prognose will Steffen Müller lieber nicht wagen. „Man könnte sagen, in zehn Jahren plus, aber das wäre nicht seriös.“
Müller leitet eines der wichtigsten Zukunftslabore für autonomes Fahren in Deutschland. Der mit einer Einstein-Professur ausgezeichnete Wissenschaftler ist Fachgebietsleiter Kraftfahrzeuge an der TU Berlin, Mitglied diverser Fachausschüsse und Gremien und hat mehrere Jahre im BMW Forschungs- und Innovationszentrum gearbeitet.
25-jähriges Jubiläum
Zur Langen Nacht der Wissenschaften, am 28. Juni, können Besucher die Ideenschmiede erkunden. Gleich mehrere Angebote hat sich das Fachgebiet für das Programm ausgedacht. Immerhin ist die diesjährige Veranstaltung auch etwas Besonderes. Die Wissenschaftsnacht feiert ihr 25-jähriges Jubiläum.
Am Standort von Müllers Mobilitätslabor auf dem ehemaligen AEG-Gelände nahe dem Humboldthain in Berlin-Gesundbrunnen können Besucher unter anderem die 75 Meter lange, hydraulische Indoorcrashbahn erkunden, auf der zu Forschungszwecken Pkw mit bis zu 100 Kilometern pro Stunde an einer Stahlwand geschrottet werden.
Ebenfalls vorgeführt wird eine Versuchsinstallation, mit der die Interaktion zwischen menschlichen Verkehrsteilnehmern und automatisierten Technologien untersucht wird. Im sogenannten Motion Lab tauchen die Probanden unter anderem mit einer VR-Brille in virtuelle Verkehrssituationen ein.
Einzigartig in Deutschland
Gleich im Raum nebenan steht der Fahrsimulator, ein älterer Audi in einem Hightech-Korsett aus Hebe-, Lenk- und Wackelapparaturen, verbunden mit diversen Kabeln und Schläuchen. Vor dem Pkw steht eine breite gebogene Leinwand, auf der die simulierte Fahrumgebung gezeigt wird. „Der Fahrsimulator war bei der letzten Langen Nacht der Wissenschaft bei den Jüngeren der absolute Renner. Einmal in einem richtigen Auto sitzen und nicht nur vor der Spielkonsole“, sagt Müller und muss schmunzeln.
Präsentiert wird auch der sogenannte „Vehicle-in-the-Loop“-Prüfstand der TU, der einzige seiner Art in ganz Deutschland. Die Anlage ist ein weiterentwickelter Prüfstand für Antriebe und hat laut Müller knapp eine Million Euro gekostet. „Damit können wir testen, ob es nicht bessere Wege für die Entwicklung und Erprobung des autonomen Fahrens gibt“, sagt der Experte.
Der Fahrsimulator war bei der letzten Langen Nacht der Wissenschaft bei den Jüngeren der absolute Renner. Einmal in einem richtigen Auto sitzen und nicht nur vor der Spielkonsole.
Steffen Müller, Fachgebietsleiter Kraftfahrzeuge an der TU Berlin
Anders als auf einer realen Teststrecke könnten hier neue Komponenten im echten Fahrzeug ausprobiert werden, ohne dass die Bedingungen den natürlichen Schwankungen unterliegen. Man müsse auch nicht erst einen freien Termin auf einem Testgelände buchen und das Fahrzeug dorthin transportieren. „Der Prüfstand spart also Zeit, Geld und die Versuche sind reproduzierbar.“
Aktuell steht ein Kia auf dem Prüfstand. Auch bei der Langen Nacht der Wissenschaft kommt er zum Einsatz. „Dann werden wir mit ihm ein Spurhaltesystem demonstrieren, bei dem das Fahrzeug in der Lage ist, einer Fahrspur autonom zu folgen“, erläutert Müller. Dies funktioniere über eine Software, die dafür sorge, dass eine Kamera die Fahrspurbegrenzung erkenne. Daraus werde dann eine Fahrspur berechnet und die Lenkung entsprechend angesteuert.
Fortgeschrittene Automatisierung
Wenigstens ein Fahrzeug haben die Wissenschaftler immer auf dem Prüfstand. „Wir arbeiten auch mit der Automobilindustrie zusammen“, berichtet der Fachgebietsleiter. „Etwa zwei Drittel unsere Projekte sind Aufträge aus der Industrie, ein Drittel wird durch die Deutsche Forschungsgesellschaft finanziert.“
Tatsächlich ist die Automatisierung auf den deutschen Straßen recht weit fortgeschritten. „Es gibt bereits Fahrzeuge in Serie, die schon weitgehend autonom fahren. Zum Beispiel von BMW oder Mercedes. Aber es muss immer ein Mensch an Bord sein, der nach entsprechender Benachrichtigung übernehmen kann“, sagt Müller. Allerdings sei die deutsche Industrie, positiv ausgedrückt, sehr verantwortungsvoll und gehe mit neuen Technologien erst auf den Markt, wenn sie völlig sicher seien. Denn schwere Unfälle würden auch der Akzeptanz neuer Systeme schaden, gibt der Experte zu bedenken.

© Matthias Matern
Erschwert wird die Automatisierung des Verkehrs auch durch die Unberechenbarkeit des Menschen. Das Ganze wäre viel leichter, wenn der gesamte Verkehr automatisiert wäre und die Fahrzeuge miteinander kommunizieren könnten, so der Wissenschaftler. „Durch den Mischverkehr, also das Zusammentreffen von Menschen und autonomen Fahrzeugen, wird die Aufgabe besonders komplex.“
Den Besuchern der Langen Nacht der Wissenschaft wollen Müller und sein Team zeigen, wie sie an Lösungen dafür arbeiten. Für ihn ist es bereits die dritte Veranstaltung. „Das ist einfach eine schöne Sache. Wir zeigen Technik zum Anfassen.“ Dadurch könne sich erstens die Akzeptanz für neue Technologien erhöhen. „Gleichzeitig wollen wir aber zeigen, wie leistungsfähig die Berliner Forschung an der TU ist. Schließlich brauchen wir ja auch immer Nachwuchs.“
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: