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Bauingenieur Michael Schlaich von der TU Berlin

© Kevin Fuchs

„Geniales Zeug“: TU Berlin arbeitet an Infraleichtbeton

Bauingenieur Mike Schlaich beschäftigt sich mit Beton-Lifting. 2021 hatte er den deutschen Brückenbaupreis erhalten.

Von Sybille Nitsche

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Er schaute an die Decke, erblickte dort die Preußische Kappe, von der er sich inspirieren ließ, experimentierte mit Polyethylen-Netzen, in denen Orangen verpackt sind, und stellte eine Brücke in die Welt, die von der Bauzunft bejubelt wird. Luftig, leicht, schwebend, elegant, filigran sei sie, einfach virtuos.

2021 wird sie mit dem deutschen Brückenbaupreis prämiert. Entworfen hat sie Mike Schlaich, Bauingenieur mit einem Faible für den Brückenbau und Professor für Entwerfen und Konstruieren – Massivbau am Institut für Bauingenieurwesen der TU Berlin.

Die ausgezeichnete Brücke ist so etwas wie Mike Schlaichs gebautes Brückenbau-Credo, und das geht so: Forschung im Bauingenieurwesen an einer technischen Universität sollte erstens mit der Absicht erfolgen, auch einmal praxistauglich zu sein. Und zweitens: Was gebaut wird, muss emissionsarm, ressourcenschonend und wirtschaftlich sein. „Als ich vor 20 Jahren als Professor antrat, habe ich von intelligenten Tragwerken schwadroniert. Coole Idee, ist aber selten praxistauglich – zu anfällig, zu teuer“, erzählt Mike Schlaich.

Dünn wie eine Eierschale

Also sattelte er 2006 um und machte sich daran, den „bösen Buben Beton“ einer Art Lifting zu unterziehen: Ressourcenschonend und weniger CO₂-intensiv sollte er werden, das Gegenteil des Ist-Zustands. Für Mike Schlaich steht außer Frage, dass auch weiterhin mit Beton gebaut werden muss: „Holz ist“, so seine Überzeugung, „für den Bau von Brücken nicht immer geeignet.“

Das Ergebnis von Schlaichs Beton-Lifting: Infraleichtbeton. Zuschläge wie Schotter und Kies sind durch Blähton, Blähglas und Bims ersetzt. Das macht ihn so luftig, dass er dämmt und die ressourcenfressenden, nicht trennbar verklebten wärmedämmenden Kunststoffe überflüssig werden. Er ist stabil, unkompliziert zu verbauen und recycelbar. „Geniales Zeug“, platzt es aus ihm heraus, der eigentlich schwäbisch unaufgeregt daherkommt. Mit dem „genialen Zeug“ wurde 2023 in Berlin ein Supermarkt gebaut.

Schlaichs Team forscht zudem daran, wie die im Hochbau oft 30 Zentimeter dicken Flachdecken „verschlankt“ werden können. Schlaich: „Bei dieser Dicke wiegt ein Quadratmeter 750 Kilogramm. Wir bauen immer noch mit zu viel Material und zu wenig Kopf.“

Fünf Zentimeter dicke Betondecken

Es war sein Blick hoch an die Decke im TU-Institut für Bauingenieurwesen, wo er die Preußische Kappe sah, jene besondere Deckenkonstruktion aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert. Sie brachte ihn auf die anfänglich wahnwitzig anmutende Idee, nur noch fünf Zentimeter dicke Betondecken zu entwickeln, also fast eierschalendünn.

In der unter Denkmalschutz stehenden Peter-Behrens-Halle, der weltweit einmaligen Versuchshalle des Instituts für Bauingenieurwesen im Wedding, ist der „Wahnwitz“ zu sehen: ein 8,50 Meter langer Betonträger, der im Mittel nur noch fünf Zentimeter dick ist und im Inneren nicht mit Stahl, sondern mit leichtem Carbongewebe bewehrt wurde. Der Mehrwert dieser schalenartigen, mit Carbon vorgespannten Tragwerke: 80 Prozent weniger Beton.

Die Essenz seiner Lehre

Das Prinzip des schalenartigen Tragwerks stand übrigens bei seiner prämierten Brücke Pate. Dadurch gelang es ihm, den Steg wie ein aufgespanntes filigranes Netz erscheinen zu lassen, was ihn so schön macht. Schönheit steht für Schlaich über allem. „Was ein Bauingenieur baut, muss schön sein!“ Der Satz – ein kategorischer Imperativ. Aber ist das Schöne im Bauwesen nicht das Metier des Architekten? „Nein“, sagt Mike Schlaich, „Bauingenieure sind keine Rechenknechte. Baukunst ist unteilbar.“

Bauingenieure, so der Leiter des Fachgebiets Entwerfen und Kostruieren – Massivbau an der TU Berlin, seien Baumeister und hätten genauso wie Architekten einen Beitrag zur Baukultur zu leisten. Nur wenn ein Bauwerk nachhaltig, ressourcenschonend und schön ist, dann ist es auch vollendet.“ Es ist die Essenz seiner Lehre.

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