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Inspiriert von der Zwillingsforschung: Digitale Abbilder erleichtern Bauteil-Wartung
Ingenieurinnen und Ingenieure an der TU Berlin bilden reale Objekte und Vorgänge detailgetreu nach - und gewinnen spannende Informationen.
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Zwei Männer wurden als Zwillinge bei der Geburt getrennt und haben doch Frauen mit gleicher Haarfarbe und demselben Beruf geheiratet – solche Berichte aus der Zwillingsforschung haben sich als nicht verallgemeinerbar erwiesen. Sogenannte digitale Zwillinge können dagegen ein genaues Abbild der Realität erzeugen und damit nicht nur Forschung und Entwicklung, sondern auch Produktion und Betrieb revolutionieren.
„Das Paradebeispiel für den Nutzen eines digitalen Zwillings ist ein Zug“, erklärt Rainer Stark, Leiter des TU-Fachgebiets „Industrielle Informationstechnik“ und Experte für digitale Zwillinge. „Hätte man ein komplettes digitales Abbild eines Personenzugs, würden im Computer nicht nur die Konstruktionspläne vorliegen, sondern auch Informationen über die Bauteile und deren Zusammenspiel sowie Angaben über die Zugstrecken und vorgegebene Wartungsintervalle.“
Daten von Sensoren im Zug machten daraus dann einen „lebenden“ digitalen Zwilling. „Eine Simulationssoftware kann so den genauen momentanen Zustand des realen Zuges errechnen“, sagt Stark.
Räderverschleiß vorhersagen
Für den Betrieb hätte das enorme Vorteile. Durch die Sensordaten könnten vorzeitiger Verschleiß eines Bauteils und die möglichen Auswirkungen auf andere Systeme rechtzeitig erkannt und ein plötzlicher Zugausfall vermieden werden. Bei einer dadurch notwendigen, „geplant außerplanmäßigen“ Wartung wäre es möglich, den Austausch bald fälliger Komponenten vorzuziehen und damit zu verhindern, dass sich die Standzeiten des Zuges erhöhen.
Einen wichtigen Schritt hin zu einem solchen, umfassenden digitalen Zwilling ist das Fachgebiet Schienenfahrzeuge von Markus Hecht gegangen. Die Forschenden haben dabei den Radverschleiß von Triebwagen der Baureihe 429.1 simuliert. „Er hängt davon ab, wie viele Kurven und Weichen auf einer Strecke durchfahren werden und wie oft beschleunigt werden muss“, erklärt Hecht. Anhand von Strecken- und Fahrplänen und mit dem Wissen über den genauen Aufbau der Räder kann das Team nun den Radverschleiß sehr genau vorhersagen.
„Solche Simulationen werden in Zukunft wesentlich zur Kosteneffizienz im Regionalverkehr beitragen“, sagt Markus Hecht. Denn wenn der Zugbetrieb auf bestimmten Strecken neu ausgeschrieben werden muss, könnten Wettbewerber anhand der Simulation wesentlich genauer und damit auch knapper kalkulieren – der aufwendige Wechsel abgenutzter Räder ist nämlich ein wesentlicher Kostenfaktor.
„Schwierig war die Datenbeschaffung bei den jeweiligen Herstellerfirmen der Bauteile“, sagt Markus Hecht, denn die wollten oft ihre Betriebsgeheimnisse für sich behalten. Gerade die Integration von verschiedensten Datensätzen, der „digitale Schatten“, wie Rainer Stark sagt, füllt den digitalen Zwilling aber erst mit Inhalt. Im Fachgebiet Industrielle Informationstechnik geht es dabei auch immer um die von Sensoren aufgenommenen Echtzeit-Daten.
Das Paradebeispiel für den Nutzen eines digitalen Zwillings ist ein Zug.
Rainer Stark, TU Berlin
Ein besonders eindrückliches Beispiel ist ein Roboter, der das Verhalten einer Heckklappe simuliert. Nur ihr Handgriff ist real und am Roboterarm befestigt, die Testperson trägt eine Virtual-Reality-Brille und bedient so die virtuelle Heckklappe. „Das Besondere an diesem digitalen Zwilling ist, dass der Roboterarm den Druck der Hand aufnehmen und an die Simulationssoftware weiterleiten muss. Gleichzeitig muss er aber genau dieser Hand auch den Gegendruck vermitteln, der das Verhalten der Heckklappe wiedergibt“, erklärt Stark.
Weniger Schmutzwasser
Mit der virtuellen Heckklappe lässt sich viel Entwicklungszeit im Autobau einsparen. Ebenfalls für technische Entwicklungen gebaut wurde ein realer Zwilling am Fachgebiet Fluidsystemdynamik unter Leitung von Paul Uwe Thamsen – aus hygienischen Gründen. „Das Verhalten von Abwasserpumpen wollen Sie nicht am lebenden Objekt studieren, glauben Sie mir“, sagt Thamsen und lacht.
Aus dem mit „Indikatorabwasser“ und Staubtüchern für künstliche Verstopfungen ausgestatteten Pumpensystem wurde durch Experimente ein digitaler Zwilling abgeleitet. Und erst dieser gestattete es, eine zentrale, lastbasierte Pumpensteuerung für die Berliner Wasserbetriebe zu entwickeln.
Je nach Wetterlage pumpt diese nur dann, wenn Regen im Anmarsch ist und die Rückhaltebecken geleert werden müssen. So konnten zehn Prozent Energie eingespart und 40 Prozent der umweltschädlichen Überläufe von Schmutzwasser verhindert werden.
Für Merten Stender, Leiter des Fachgebiets Cyber-Physical Systems in Mechanical Engineering, steht die Vorhersagekraft im Vordergrund: „Wenn die physikalischen Gesetzmäßigkeiten eines Systems nur unvollständig bekannt sind, können Simulationen dessen Entwicklung oftmals nicht oder nur mit viel Zeitaufwand voraussehen.“
Er benutzt deshalb zusätzlich Methoden der künstlichen Intelligenz, die aus dem vergangenen Verhalten des Systems auf seine Zukunft schließen. „Bei Ozeanwellen können wir etwa aus Radaraufnahmen der letzten 30 Sekunden die nächsten drei Minuten vorhersagen.“ Wichtige Informationen für riskante Arbeiten an Windrädern auf hoher See.
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