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200 Jahre Konditorei Kreutzkamm: So gelingen Vanillekipferl, Honigkuchen und Strudel
Die Back-Geheimnisse der Dresdner Konditorei Kreutzkamm sind streng gehütet. Zum 200. Jubiläum verrät die Chefin aber die wichtigsten in einem neuen Rezeptbuch.
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Amüsante Schnurren über diese wohl weltweit älteste familiengeführte Manufaktur finden sich zuhauf. Im Stammhaus am Dresdener Altmarkt soll Erich Kästner gern auf eine heiß geliebte Eierschecke eingekehrt sein. Die Elbflorentinische Spezialität, den Stollen, hat man von dort schon vor mehr als 100 Jahren per Schiff nach Übersee verschickt, in Blechkisten eingelötet: Amerika, Deutsch-Südwestafrika, Shanghai, Tahiti. Klempnermeister Fiedler schweißte das fertig verpackte Gebäck ein, die Kinder der Familie guckten zu und stellten sich vor, wie Tornister voller Kuchen durch den Urwald geschleppt würden.
Und viel später dann, in den wilden Siebzigern, als es schon die Filiale in München gab und die Schickeria bei dem Traditionshaus orderte, wurden selbst speziellste Wünsche erfüllt und diskret zugestellt, etwa jenes riesige Trüffel-Osterei mit Nerzjäckchen innen drin, der neckische Gruß eines Stenz an sein Gschpusi.
Das Adelshaus unter den deutschen Konditoreien
Kreutzkamm ist so etwas wie das Adelshaus unter den deutschen Konditoreien. Seit exakt 200 Jahren existiert die Marke, gegründet in Dresden von Heinrich Jeremias Kreutzkamm, geboren in Quedlinburg, einem Brot- und Feinbäcker auf Wanderschaft. Er erhielt, gerade mal 25 Jahre alt, die Konzession zur Eröffnung einer Konditorei mit Laden.
Die Sache lief schleppend an, doch seine Nachkommen machten sie groß, schafften es zweifach zum „Königlichen Hofconditor und -lieferanten“ und hievten das Familienunternehmen durch Bürgeraufstand-, Kriegs- und Wirtschaftskrisen.
Eine vierstöckige, kaffee- und likörgetränkte Buttercremekreation
In mittlerweile fünfter Generation betreibt die Familie Kreutzkamm ihre nostalgischen Cafés, eines in Dresden und zwei in München, spezialisiert auf Kleingebäck, Feingebäck, Confiserie und klassische Kuchen, Strudel und große Torten, alles handgemacht. Die alten, bis heute unveränderten Rezepte werden gehütet wie Juwelen: in einem Tresor. Aber Publikumslieblinge – selbst die aufwändige Kreutzkamm-Royaltorte, eine vierstöckige, kaffee- und likörgetränkte, Buttercremekreation – sind ab sofort Allgemeingut.

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Zum Jubiläum verrät Chefin Elisabeth Kreutzkamm-Aumüller knapp 80 Rezepte im neu erschienenen „Original Kreutzkamm-Backbuch“, einem 208 Seiten starken Wälzer in fast quadratischer Sondergröße, und erzählt – mit historischen Aufnahmen illustriert – aus zwei Jahrhunderten Firmenhistorie. Eine appetitliche Chronik: viel Lesestoff und noch mehr Profitipps für alle, die sich ans Nachmachen wagen.
Schlagen wir mal nach unter „Weihnachten“. Vanillekipferl, diese fragilen Diven, kriegen sie bei Kreutzkamm perfekt mürbe gebacken – das ganze Jahr über, denn die passen, wie es heißt, zu Vanilleeis mit heißen Himbeeren. Es gibt eine super Anleitung für Marzipanstollen mit Rosinen, den aber auch Gierige erstmal eine Woche ziehen lassen müssen und für Mandelstollen, der nach zwei Tagen Ruhezeit möglichst frisch verzehrt werden sollte.

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Wer jetzt noch Honiglebkuchen backen will, hat Pech: Den Teig muss man zu Ostern ansetzen. Ein Trost: Man kann bereits zum Oktoberfest Herzen draus machen. Ambitionierte versuchen sich an der Kreutzkamm-Spezialtorte: sechs geschichtete, hauchdünne Streichmasse-Böden, apricotiert mit selbst gekochter, glattgerührter Konfitüre, von einem stuckähnlichen Marzipanornament gedeckelt, obenauf lecker Trockenobst.
Das Buch nimmt den Laien die Angst vorm Strudel
Das Buch lässt staunen. Es nimmt Laien beinahe die Angst vorm Strudel, falls sie kapieren, wie Teig so hauchdünn gelingt, dass ein zum Aufrollen unterlegtes kariertes Küchenhandtuch durchschimmert. Es macht Appetit auf kirschgefüllte Rohrnudeln und Hefe-Gugelhupf mit Sultaninen und Korinthen oder auf die Kreutzkamm-Royaltorte, für die Marzipan erstmal „angewirkt“, also mit Puderzucker handverknetet wird, nur bitte nicht so lange, dass sich das Mandelöl abtrennt. Wer sagt, dass Kreutzkamm-Klassiker simpel sind?
Schön aufgemacht ist dieser Band allemal, ein ideales Weihnachts-Bilderbuch. Wer nicht backt, liest sich einfach in die Geschichte dieser Dynastie ein. Interessant, wie die zweite Generation in Person des schnauzbärtigen Heinrich Julius mit einer „Hypothek zu günstigen Bedingungen“ von Königs Gnaden eine Eins-A-Lage am Dresdener Altmarkt erwirbt, ein Aufsteiger-Typ. Sohn Max gelingt in dritter Generation fast alles: solvente Patrizier-Kundschaft zu gewinnen, Top-Konditoren aus dem Ausland einzustellen, aber auch die Tumulte des Roten Oktobers 1923 geschäftlich zu überstehen, obwohl „wochenlang die Fensterplätze nicht belegt werden konnten“.
Sohn Fritz, gutaussehender Herzensbrecher, baut das Geschäftsfeld aus und beliefert Feinkosthäuser wie Dallmayr. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als das gesamte Unternehmen zerstört ist, erfindet der fesche Fritz sich als Eisstadion-Manager und Geschäftsführer bei Bogner neu, beginnt im Nebenberuf wieder mit der Stollenproduktion und schafft in München den Neustart mit klassischem Gebäck.
Bajuwarische Hauptstädter finden Gefallen an der sächsischen Eierschecke, das Hofbräuhaus ordert handgedrehte Käsestangen, Markgraf Friedrich Christian von Meißen beehrt das Café. Das Stammhaus in der Münchener Maffeistraße entsteht, das heutige Produktionsareal im Gewerbegebiet kommt hinzu.
Die Stunde der Kreutzkamm-Frauen schlägt spät. Fritz‘ Witwe Friederike bringt als Chefin das Unternehmen ins neue Jahrtausend, Tochter Elisabeth Kreutzkamm kehrt fürs family business aus New York zurück, um den Standort Dresden zu entwickeln, eine Quereinsteigerin in der Männer dominierten Branche, ein Wessi im Osten. Heute managt die 51-Jährige, die „Bäckerliesl“, beide Standorte. Eine „moderne Matriarchin“, wie es heißt. Die sechste Kreutzkamm-Generation, zwei Söhne und zwei Töchter, ist schon am Start. Fürs Buch hat sich der sympathische Familienclan mit Oma Friederike zum Gruppenfoto aufgestellt: geballte Tradition, fast schon royal. Konditoren-Adel verpflichtet eben.
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