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In Oulu ist man dicke Eisschichten gewohnt.

© Foto: Harri Tarwai

Raven am Polarkreis : Was die Kulturhauptädte Europas 2026 zu bieten haben

Wer ins finnische Oulu reist, erlebt einen pummeligen Polizisten und Schnaps aus Teer. Weiter südlich, in der Slowakei, lockt Trenčín mit pulsierenden Altstadtgassen.

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Eis oder Stein? Bei den Europäischen Kulturhauptstädten 2026 haben die Besucher die Wahl. Entweder sie reisen hoch in den Norden, ins finnische Oulu, bis zum Polarkreis ist es nicht weit. Wenn Mitte Januar dort das Kulturjahr startet, liegt eine dicke Eisschicht auf dem Oulu-Fluss und der Ostsee. Nur zu verständlich, dass das Maskottchen der Stadt, der gemütliche Bronze-Polizist vor der Markthalle, ein paar Pfunde zu viel angesetzt hat.

Statue eines Polizisten in Oulu

© Christiane Peitz

Oder sie entscheiden sich für Trenčín in der Westslowakei. Über den Altstadtgassen und Patrizierhäusern des Städtchens am Waag-Fluss thront auf einem steilen Kalkfelsen jene Burg, die der Stadt ihren Namen gab. Trenčíns ganzer Stolz: die von Marc Aurels Legionären in den Felsstein geritzte Inschrift, sie datiert auf 179 nach Christus.

„Cultural Climate Change“, das Motto von Oulu2026, verleiht der Kälte-Frage eine politische Note. „Awakening Curiosity“, das Motto von Trenčín2026, trotzt ebenso gewitzt der Vergangenheit des Orts als wehrhafter Grenzanlage. Hier hat man sich den Brückenschlag auf die Fahnen geschrieben.

Ansicht von Trenčín in der Slowakei

© Patrik Zak

Schon an den Eröffnungstagen Mitte Februar steht ein öffentliches Nachbarschafts-Frühstück auf dem Programm, und eine stillgelegte Eisenbahnbrücke wird zur Festivalbrücke umfunktioniert. Die altehrwürdige Burg beherbergt ab Februar zeitgenössische Kunst, ab März mischen Künstlerinnen wie Pipilotti Rist Straßen und Plätze auf. Mehr öffentlicher Raum für alle, so die Devise, nicht nur open-air.

Von wegen nur indoor

Nun aber auf in die einstige Seefahrer- und Teerindustrie-Stadt Oulu. Dank Nokia-Niederlassung mauserte sie sich zur Tech-Metropole, inzwischen hat Oulu als Boomtown für Start-ups und als Studentenstadt einen Namen. Wie erfinderisch viele der gut 200.000 Einwohner sind, zeigen schon Spezialitäten wie Teer-Bonbons und Teer-Schnaps (gewöhnungsbedürftig). Und wer glaubt, dass die rund tausend Kulturhauptstadt-Events in Oulu und 39 umliegenden Kommunen wegen der Kälte hauptsächlich indoor stattfinden, irrt sich gewaltig.

Das Eis ist heiß, finden sie hier, nicht nur wegen der beheizten Wegplatten in der Fußgängerzone. Zu den traditionellen Winter-Highlights gehören das Schneeskulpturen-Fest (11.-15. Februar), bei dem man Bildhauern bei der Entstehung ihrer weißen Kunst zuschauen kann, und das Polar Bear Pitching (26. Februar), der coolste Start-up-Wettbewerb der Welt. Jungunternehmer steigen in ein Eisloch im Fluss und pitchen ihre Geschäftsidee vor einer Tribüne voller Juroren und Investoren. Beliebig lange, sprich: ohne Angst vor dem Gefrierpunkt.

Wer das volle Programm einschließlich Sauna-Iglus auf dem Eis und Afterparty erleben will, besorgt sich ein Ticket (polarbearpitching.com). Wer nur bei der kurzweiligen Finale-Show zuschauen will, kann das im Rahmen von Oulu2026 kostenfrei tun.

Das Frozen People Festival in Oulu

© Lina Tauriainen

Auch das Frozen People Festival (28. Februar) erfreut sich über die Landesgrenzen hinweg immer größerer Beliebtheit. Bei dem Techno-Festival tummeln sich die Raver in dicken Boots und Ski-Overalls auf dem zugefrorenen Bottnischen Meerbusen am Nallikari Strand, unweit des ikonischen Oulu-Leuchtturms.

Die Finnen wissen sich aufzuwärmen. Jedes Haus hier hat seine Sauna, auch beim Staunen über die Polarlichter steigt die Körpertemperatur. Und für die 32 kleinen Bronzeskulpturen auf der Mauer hinter dem Rathaus – die Figuren in Ajan Kulkus Installation „Im Lauf der Zeit“ verkörpern Oulus Geschichte – hatte jemand im letzten Frühjahr rote Puppenschals gestrickt. Ob sie noch da sind?

Aber es gibt auch die erschütternde Erfahrung sozialer Kälte. Darunter hatten die Samí, die indigene Bevölkerung Skandinaviens, über Jahrzehnte zu leiden. Ihre Kultur und Lebensrealität wird 2026 ausführlich thematisiert, etwa mit einer Kunstausstellung im Oulu Art Museum.

Und mit der Samí-Oper „Ovllá“. Das Libretto des Samí-Dramatikers Siri Broch Johansen erzählt vom Trauma der Zwangsassimilierung: Ein Junge wird aus seiner Familie gerissen und ins Internat gesteckt, er darf nicht mal seine Sprache sprechen. Erst der erwachsene Ovllá besinnt sich seiner Herkunft und macht sich auf die Suche nach seinen Wurzeln.

Die Uraufführung am Eröffnungswochenende (16. Januar) verspricht einer der Höhepunkte von Oulu2026 zu werden, auch wegen der in die Komposition integrierten Joiks, der rituellen gutturalen Gesänge der Samí. Wer joikt, singt nicht über etwas, sondern wird zu dem, wovon er singt, ob Mensch oder Tier, Eis oder Stein. Die Gesangstechnik dürfte mindestens so alt sein wie die Inschrift am Felsen von Trenčín.

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