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Sanieren auf Niederländisch: Wie Plattenbauten günstig und schnell modernisiert werden können
Sie wurden geplant nach Prinzipien der modularen Fertigung. Das macht Plattenbauten optimal geeignet für serielle Sanierung. Ein Projekt in Ludwigsfelde zeigt, wie es klappen kann.
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Mehr als die Hälfte der Plattenbauten in Ostdeutschland können grundlegend saniert werden, ohne dass die Mieter während der Sanierung ausziehen müssen und ohne dass die Mieten danach unerschwinglich sind. Das ist das Ergebnis eines Modellprojektes in Ludwigsfelde, bei dem 82 Wohnungen eines WBS-70-Plattenbaus bis Mai dieses Jahres energetisch saniert wurden – unter anderem durch den Einbau dreifach verglaster Fenster, Dämmung der Fassade und der Kellerdecken sowie der Installierung von Photovoltaikmodulen.
Das Besondere: Die Fassadenelemente aus Holz mit Wärmedämmung und neuen Fenstern wurden in Estland vorgefertigt und dann vor die bestehende Fassade des 102 Meter langen Gebäuderiegels der Wohnungsgesellschaft Ludwigsfelde Märkische Heimat montiert. Damit ist erstmals ein Plattenbau nach dem Modell „Energiesprong“ saniert worden.

© Märkische Heimat
Der Name stammt aus den Niederlanden, wo die schnelle und kostengünstige Gebäudesanierung durch die serielle Vorfertigung verbreitet ist. Dabei werden bis zu 80 Prozent der notwendigen Arbeiten in einer Fabrik durchgeführt und so zeitaufwendige manuelle Arbeiten auf der Baustelle reduziert. Dieses Konzept hat sich auch in Ludwigsfelde bewährt. „Der geplante Zeit- und Kostenrahmen wurde bei uns zu 100 Prozent erreicht“, sagt Karsten Wassermann, Abteilungsleiter Bauen und Technik bei der Wohnungsgesellschaft Ludwigsfelde.
Sieben Monate dauerte die Sanierung
Für die Mieter bedeutet dies, dass ihre durchschnittliche Kaltmiete von 5,66 Euro um zwei Euro pro Quadratmeter auf 7,66 Euro steigt. Gleichzeitig rechnet die an der Sanierung beteiligte Ingenieurgesellschaft BBP Bauconsulting aus Berlin damit, dass der Energiebedarf in dem 1982 errichteten fünfstöckigen Gebäudekomplex um mehr als 40 Prozent zurückgehen wird. Laut dem Berliner Unternehmen ecoworks, nach eigenen Angaben Pionier bei der seriellen Sanierung in Deutschland, sinken die jährlichen Heizkosten pro Wohnung im Schnitt um 500 Euro.

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Die Beeinträchtigungen für die Mieter in Ludwigsfelde während der siebenmonatigen Sanierung hielten sich in Grenzen: Die Arbeiten in jeder Wohnung dauerten rund eine Woche, unter anderem für den Ausbau der alten Fenster, die Montage der Leibungsbekleidungszargen und die Erneuerung der Thermostatventile an den Heizungen. Zudem wurden Balkone und Hauseingänge erneuert.
Die Sanierung führte die Seeria Renova GmbH aus, ein Zusammenschluss der Unternehmen REMA Haustechnik aus Frankfurt (Oder), BBP Bauconsulting aus Berlin und Matek aus Tallinn. Mit dem deutsch-estnischen Partner will die Wohnungsgesellschaft Ludwigsfelde auch bei ihrem nächsten Sanierungsprojekt zusammenarbeiten, das im kommenden Jahr starten soll.
Da Plattenbauten bereits nach Prinzipien der seriellen und modularen Fertigung geplant und in Großtafelbauweise errichtet wurden, gelten sie als optimal geeignet für die serielle Sanierung. „Das hat sich durch die Erfahrungen in Ludwigsfelde bestätigt. WBS 70 und P2 sind besonders gut für die serielle Sanierung geeignet, aber grundsätzlich ist sie auch in fast allen anderen Plattenbautypen möglich“, sagt Matthias Gaudig, Prokurist der BBP Bauconsulting.
WBS 70 war mit 600.000 Wohneinheiten der meistgebaute Plattenbautyp in der DDR. Gaudig geht davon aus, dass mit den in Ludwigsfelde gemachten Erfahrungen Plattenbauten künftig schneller und günstiger auf einen besseren energetischen Standard gebracht werden können.

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Neben der Wohnungsgesellschaft Ludwigsfelde setzen 21 Wohnungsunternehmen aus ganz Deutschland auf das Projekt Energiesprong – nach niederländischem Vorbild haben sie inzwischen 65 Mehrfamilienhäuser mit fast 1500 Wohneinheiten vor allem in Nordrhein-Westfalen aus den 1950er- bis 70er-Jahren saniert, hinzu kommen Einzelhäuser sowie Schulen und Kindergärten. Dabei werden Fassadenteile seriell vorgefertigt, um Arbeitskraft, Kosten und Zeit einzusparen.
Ein Prototyp steht in Hameln
Ein erster Prototyp, der durch Photovoltaikanlage, Wärmepumpe, Lüftung und Dämmung mehr Energie erzeugt als die Bewohner verbrauchen, wurde 2020 im niedersächsischen Hameln fertiggestellt. Die Arbeiten wurden unter Leitung der ecoworks GmbH durchgeführt.
Sie sanierte in Hameln drei Gebäude mit zwölf Wohnungen. Die Hamelner Fassadenteile mit Lärchenholz-Verschalung – sieben Meter lang, 2,85 Meter hoch und 36 Zentimeter dick – wurden in einem Werk in Brandenburg vorgefertigt. Sie beinhalten neben der Dämmung aus Recycling-Glaswolle auch die Fenster sowie Lüftungselemente mit Wärmerückgewinnung.
Die Vorarbeiten dauerten acht Wochen, für die reine Fertigung waren zwei Wochen nötig. In Hameln, wo die Wohnungen jahrelang leer standen, wurde die Fassade innerhalb von zehn Tagen montiert. Durch die Führung der neuen Versorgungsleitungen in der vorgefertigten Fassade konnte auf die sonst üblichen wochenlangen Arbeiten in den Wohnungen verzichtet werden.
Das bundesweit umfangreichste Energiesprong-Projekt läuft derzeit in Erlangen, ebenfalls von ecoworks koordiniert. Gerade wurde dort die Sanierung von 132 Wohneinheiten in Mehrfamilienhäusern aus den 1950er- und 60er-Jahren der Gewobau Erlangen abgeschlossen.
Dabei wurde in unterirdisch verbaute Betonkuben die gesamte Gebäudetechnik vorinstalliert, sodass die Leitungen nicht aufwendig innerhalb der Gebäude verlegt werden müssen, sondern über einen Strang in der vorgefertigten Fassade in die Wohnungen laufen. Weitere 475 Wohnungen sollen im kommenden Jahr in Erlangen-Süd auf den neuesten Stand gebracht werden.
Sanierungsquote müsste verdoppelt werden
So ein Energiesprung scheint dringend notwendig: Rund ein Drittel der klimaschädlichen CO₂-Emissionen entstehen durch den Energieverbrauch beim Wohnen. Damit die Gebäude weniger Energie benötigen, müsste die derzeitige Sanierungsquote von einem Prozent in Deutschland verdoppelt werden – nur so können laut Experten die Klimaziele erreicht und bis 2050 rund 15 Millionen Häuser saniert werden, die bis zu fünfmal mehr Energie verbrauchen als technisch notwendig wäre.
Als besonders geeignet gelten nach Angaben der Deutschen Energieagentur rund 500.000 Mehrfamilienhäuser mit bis zu vier Stockwerken und drei Millionen Wohnungen aus den 1950er- bis 70er-Jahren mit einfacher Gebäudehülle und hohem Energieverbrauch. In Ludwigsfelde sinken die CO₂-Emissionen durch die Sanierung nach Angaben der Wohnungsgesellschaft Ludwigsfelde um 67,5 Prozent.

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Die Kosten der Sanierung in Ludwigsfelde lagen bei 6,7 Millionen Euro, davon wurde ein Teil über Fördermittel finanziert. So gibt es einen Bonus für das serielle Sanieren von Gebäuden mit einem KfW-Effizienzhausstandard 55 in Höhe von 15 Prozent der förderfähigen Sanierungskosten. Die Wohnungsgesellschaft Ludwigsfelde hatte bereits bei der Planung entschieden, die Miete um maximal zwei Euro pro Quadratmeter heraufzusetzen. Sie hätte auch eine höhere Modernisierungsumlage festlegen können.
Deutschlandweit geht es mit der Energiewende im Wohnungsbereich bislang nur schleppend voran. Die Gründe dafür sind vielfältig: fehlende Fachkräfte, hohe Investitionen, die Angst der Bewohner vor einem deutlichen Anstieg der Miete aufgrund der Modernisierung.
In den Niederlanden wurden dagegen bereits mehr als 5000 Wohnungen nach dem Energiesprong-Konzept für eine halbe Milliarde Euro saniert. Allerdings ist offen, ob diese Idee einfach übertragen werden kann. Denn in den Niederlanden gibt es größere und einheitlichere Siedlungen als in Westdeutschland, was die Sanierung beim Nachbarn einfacher und günstiger macht.
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