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Panorama: 1000 Fäden hielten nicht

In Dortmund ist ein Bungee-Springer zu Tode gestürzt, weil das Seil riss – Ermittler untersuchen die Ursache des Unglücks

„Systembruch“. Es ist ein technisches, ein kaltes Wort, das eine Tragödie bezeichnet: den ersten tödlichen Unfall beim Bungeespringen in Deutschland am Sonntag im Dortmunder Westfalenpark. Ein Unfall mit vielfacher Schockwirkung.

Ein 31-jähriger Mann stürzte vor den Augen von Passanten aus 150 Metern in den Tod. Jochen Schweizer, der Betreiber der Anlage, ist sich nicht sicher, ob er die Dortmunder Anlage weiterführen will. „Ich bedaure den Unfall zutiefst. Ich kann das Leid nicht lindern, ich kann nur mein tiefes Bedauern über den Tod des jungen Mannes zum Ausdruck bringen.“ Schweizer hat inzwischen alle von ihm betriebenen Bungee-Sprunganlagen geschlossen, „so lange, bis ich Klarheit darüber habe, wie dieses Unglück passieren konnte“. Bei der Suche nach der Ursache stehen Schweizer und Staatsanwältin Marsha Gorhold, die die Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung leitet, allerdings noch ganz am Anfang. „Bis gestern hätte ich gesagt, dass ein tödlicher Unfall nicht möglich ist“, versucht Schweizer sein Vertrauen in die von ihm selbst entwickelte Technik zu beschreiben. Was die Ursache sein könnte?

Keine regelmäßige Tüv-Prüfung

„Darüber spekuliere ich nicht. Aber ich werde alles dransetzen, um sie herauszufinden.“ Dabei arbeite er eng mit der Staatsanwaltschaft zusammen. „Bisher habe ich immer gedacht, dass die Autofahrt zum Sprung gefährlicher ist als der Sprung selbst.“ Warum, das beschreibt er an Hand von vielen technischen Details: Das Seil sei im Juni 2003 in Betrieb gestellt worden. Mit ihm wurden genau 102 Sprünge durchgeführt, es habe eine Zulassung für 200 Sprünge. Der Mann, der 39. Springer am Sonntag, habe 108 Kilogramm gewogen, das Seil sei für 120 Kilo zugelassen gewesen. Doch die Seile, die aus 1000 kleinen Latexfäden bestehen, seien so konstruiert, dass sie mindestens sechs Mal stärker sind, als sie sein müssten, um der Belastung eines Sprunges Stand zu halten. „Ich selber bin mit einem Seil dieses Typs vielfach selbst gesprungen." Das Seil, das Schweizers eigene Firma produziert und vor dem Einsatz mit Testsprüngen selbst prüft, habe vorher keinerlei Auffälligkeiten gezeigt. Auch eine Materialermüdung auf Grund von hohen Temperaturen und Sonneneinstrahlung sei nicht möglich. „Jeder Sprung wird mit der Dehnung des Seils in einer Liste dokumentiert. Ich versichere, dass jedes Seil nach 200 Sprüngen ausgetauscht wird." Eine Aussage, die Staatsanwältin Marsha Gorhold bestätigte: „Nach bisherigen Erkenntnissen bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das Bungeeseil über die zulässige Anzahl eingesetzt wurde.“

Menschliches Versagen? Auch dies kann sich Schweizer nicht vorstellen. Der Teamkapitän auf der Rampe habe mehr als 10000 Springer gesichert. Die anderen Mitarbeiter? Kommen vom Bergsteigen oder der Feuerwehr, „alles Menschen mit einem sehr hohen Gefahrenbewusstsein“. Bei jenen, die bereits für die kommenden Wochen einen Bungeesprung gebucht und bezahlt haben, ist Angst das vorherrschende Gefühl. Udo Kleinkoenen aus Duisburg will nach dem schrecklichen Vorfall von seinem Vertrag zurücktreten. Jochen Schweizer kündigte an, dass alle Teilnehmer ihr Geld zurückbekommen.

Auf die Frage, ob er selbst springen würde, antwortet Jochen Schweizer ausweichend: „Ich weiß nicht, wie ich künftig mit diesem Unfall umgehen werde.“

Beim Bungee-Sprung wird der Springer mit Gurtzeug gesichert, das Seil an Fußschlaufen befestigt. Zwei zusätzliche Sicherungsseile werden am Gurtzeug befestigt. Erst wenn zwei Mitarbeiter des Anlagen- Betreibers die Sprungvorkehrungen überprüft haben, werden die Sicherheitsleinen gelöst.

Seit drei Jahren besteht die Sprunganlage auf dem Dortmunder Fernsehturm im Westfalenpark. Aus 150 Metern Höhe können sich hier im Sommer Wagemutige in die Tiefe stürzen. Sie gilt als eine der höchsten Anlagen weltweit. Schweizer betreibt zudem in München eine Sprung-Anlage, in Hamburger Hafengebiet soll im August eine weitere eröffnet werden. Zwei andere stationäre Bungee-Anlagen stehen in Österreich.

Für stationäre Bungee-Anlagen wie in Dortmund gibt es nach Angaben des TÜV in Essen keine turnusmäßig vorgeschriebenen Prüftermine. „Nach der ersten Prüfung nach dem Aufbau ist die Anordnung von weiteren Stichproben Sache des städtischen Bauamtes“, erläuterte der TÜV-Sachverständige Michael Krah am Montag. Dabei könnten sich die Beamten eines Gutachters bedienen. Vorgeschrieben sei dies jedoch nicht. Demgegenüber würden mobile Bungee-Anlagen bei jedem neuen Aufbau von einem Sachverständigen überprüft. Bei der Untersuchung wird laut Krah das Sprungseil einer genauen Sichtkontrolle unterzogen.

Tobias Bolsmann[Dortm]

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