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Ein Lastenfahrrad auf der Messe "Fahrrad Essen".

© Roland Weihrauch/dpa

Mobilität der Zukunft: Das Fahrrad ist das neue Auto

Zweiräder werden mehr und mehr zu einem Statussymbol. Sie gelten als Gefährt der Zukunft. Der Trend geht zum elektrischen Antrieb.

Das Fahrrad erlebt derzeit eine beeindruckende Renaissance. Deutlich mehr Radfahrer als vor zehn Jahren rollen auf deutschen Straßen, allein in Berlin hat sich ihre Anzahl in diesem Zeitraum verdoppelt. 73,5 Millionen Fahrräder gab es im vergangenen Jahr in Deutschland. Ein neuer Höchststand. Verkehrsexperten sprechen gar von einem regelrechten Fahrradboom. Dabei galt der Drahtesel im Mutterland des Automobils zeitweilig als aussterbende Art. Nun aber heißt es: Dem Fahrrad gehört die Zukunft.

Die deutsche Fahrradindustrie hält derzeit mit ihrer Freude nicht hinter dem Berg. Am Dienstag präsentierte der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) und der Verband des deutschen Zweiradhandels (VDZ) die Wirtschaftsdaten für das vergangene Jahr. Die Branche verbuchte einen Umsatzzuwachs von 3,2 Prozent. Auffällig ist dabei, dass der Verkaufspreis für Fahrräder in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen ist. Lag die durchschnittliche Summe 2010 noch bei 460 Euro, waren es 2017 schon 698 Euro. Der Trend geht zum Kauf hochwertiger und langlebiger Modelle.

Elektrischer Antrieb im Trend

Im vergangenen Jahr feierte das Fahrrad seinen 200. Geburtstag. Am 12. Juni 1817 steuerte der badische Forstbeamte Karl von Drais seine zweirädrige Laufmaschine erstmals von der Mannheimer Innenstadt bis zur Schwetzinger Postpferdestation. Die Ausstattung seines neuartigen Gefährts war noch spärlich. Ein Rahmen, zwei hölzerne Räder, ein Lenker. Angetrieben wurde das Fahrzeug durch das abwechselnde Abstoßen des Fahrers mit den Beinen.

Über die Jahrhunderte hat das Fahrrad eine beachtliche Evolution erlebt. Zunächst wurde es mit einem Tretkurbelantrieb ausgestattet, dann folgten Innovationen wie aufblasbare Luftreifen und die Gangschaltung. Seit einigen Jahren müssen Radler nun kaum noch Muskelkraft investieren, um voranzukommen: Der Trend geht zum elektrischen Antrieb, zu den sogenannten E-Bikes. Sie sind der Hauptgrund für die guten Geschäftszahlen der vergangenen Jahre. Jedes fünfte in Deutschland verkaufte Fahrrad hat mittlerweile einen elektrischen Antrieb. 720 000 Exemplare rollten allein im vergangenen Jahr aus den Läden. Sowohl Absatz, Produktion, Import und Export von E-Bikes nahmen deutlich zu.

Fahrradfahren statt Fahrverbote

Das Klischee vom Elektrofahrrad als Rentnergefährt scheint dabei längst überkommen. Mittlerweile gibt es vom E-Mountainbike über das E-Trekking-Rad bis hin zu E-Rennrädern alles was das Radlerherz begehrt. Die Industrie hofft, dass durch die Vielfalt an neuen Modellen in Zukunft auch eine jüngere und sportlicher orientierte Zielgruppe erreicht werden kann. Langfristig rechnet der ZIV damit, dass ein Drittel aller Fahrradnutzer in die Elektromobilität wechselt.

Interessant könnte das Thema im Zuge der Diskussion um Diesel-Fahrverbote in deutschen Innenstädten werden. Die Fahrradindustrie hofft für die kommenden Jahren auf eine stärkere Verlagerung des innerstädtischen Pkw-Verkehrs auf Fahrräder und E-Bikes. „So könnten die Schadstoffbelastungen in den Städten auch ohne Diesel-Fahrverbote reduziert werden“, sagt Sigfried Neuberger, Geschäftsführer des ZIV. Er verweist darauf, dass rund die Hälfte aller Pkw-Fahrten hierzulande unter fünf Kilometern liegt, ein Viertel gar unter zwei Kilometern. Diese Distanzen könnten vor allem im urbanen Umfeld bequem mit Fahrrädern und E-Bikes zurückgelegt werden.

Lastenräder statt Lastwagen

Neuere wirtschaftliche Überlegungen dürften den Siegeszug des Fahrrads in den Städten weiter forcieren. So gewinnt das Thema Lasten- und Transportfahrräder derzeit im an Bedeutung. Einige Paketdienste sind bereits von ihren brennstoffgetriebenen Lieferwagen auf Elektrolastenräder umgestiegen. Die Gründe sind vielfältig: Mehr Flexibilität, eine bessere Erreichbarkeit der Ziele, vergleichsweise günstige Anschaffung und Wartung sowie eine deutlich positivere Umweltbilanz.

Seit 1. März dieses Jahres ist eine bundesweite Kaufprämie für gewerblich genutzte Lastenräder mit E-Antrieb in Kraft getreten. Der Staat übernimmt bei der Neuanschaffung 30 Prozent der Kosten, maximal 2500 Euro pro Fahrrad. Einige deutsche Städte haben sogar eigene Förderprogramme, die sich auch an Privatnutzer richten. München bezuschusst den Kauf eines Lastenrades beispielsweise mit bis zu 1000 Euro. Auch der rot-rot-grüne Senat in Berlin hat sich die Förderung sogenannter Cargobikes für Gewerbetreibende, freiberuflich tätige Personen sowie gemeinnützige Einrichtungen vorgenommen.

Fahrrad-Leasing als Zukunftsmodell

Zunehmende Bedeutung dürfte in den kommenden Jahren auch das Thema Fahrrad-Leasing bekommen. Seit 2012 gilt das Dienstwagenprivileg auch für Fahrräder. Viele Arbeitgeber schrecken aber noch vor der Möglichkeit dieses Angebots zurück. Der lange organisatorische Vorlauf und der verbundene bürokratische Aufwand seien oftmals noch ein großes Hindernis, sagt Thomas Kunz, Geschäftsführer des VDZ. Schließlich müsse ein Vertragspartner für die Dauer des Leasingvertrages gefunden werden, der auch die Wartung und Versicherung übernehme.

Dabei könnten Unternehmen, die ihren Angestellten Diensträder zu Leasingkonditionen anbieten, viel Geld sparen. Und auch der Arbeitnehmer würden davon profitieren: Durch Leasing lassen sich bis zu 40 Prozent der Kosten für die Neuanschaffung eines Fahrrads sparen. Bei Preisen von durchschnittlich 2300 Euro für ein E-Bike könnte das Angebot durchaus attraktiv werden.

Mangelnde Fahrradinfrastruktur

Nachholbedarf sehen Interessenverbände derweil noch bei der Fahrradinfrastruktur in deutschen Städten. Der Zweirad-Industrie-Verband will sich bei der neuen Bundesregierung dafür einsetzen, Anreize für die Kommunen zu schaffen, um in Radschnellwege und sichere Abstellmöglichkeiten zu investieren. Denn je mehr Platz und Sicherheit auf den Straßen gewährleistet werde, desto attraktiver wird der Umstieg auf den Fahrradsattel.

Musterbeispiel dafür ist noch immer die Fahrradstadt Münster, die eine Vorreiterposition in Fragen der Verkehrswende einnimmt. Das Radwegenetz innerhalb der Stadt erstreckt sich auf 470 Kilometer. Über 40 Prozent aller Wege werden mittlerweile von den Einwohnern auf dem Sattel zurückgelegt. Im Binnenverkehr legen die Münsteraner längst schon weitere Wege mit dem Fahrrad als mit dem Auto zurück.

Diese Quoten beweisen, dass die dysfunktional gewordenen Mobilitätsidee des Autozeitalters, mit all ihren Problemen wie der Luftverschmutzung, durch eine besseren Infrastruktur überwunden werden könnte. Und mit ihr das wohl urdeutscheste Statussymbol: Längst ist das Fahrrad das neue Auto.

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