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Die Studentin Sophia Lösche wurde ermordet. Das Bild wurde von ihrer Familie zur Verfügung gestellt.

© privat

"Wo sie war, war Bewegung": So nehmen Familie und Freunde Abschied von Sophia Lösche

Die Studentin Sophia Lösche war 28 Jahre alt, als sie ermordet wurde. In einem persönlichen Nachruf nehmen Familie und Freunde Abschied.

Vor rund zwei Monaten, am 14. Juni wollte die 28-jährige Sophia Lösche von Leipzig in ihren bayerischen Heimatort Amberg trampen und kam dort nie an. Obwohl ihre Familie schon am Morgen nach ihrem Verschwinden die Polizei informierte, dauerte es für die Angehörigen und Freunde quälend lange, bis sich das Schicksal der jungen Frau aufklärte.

Eine Woche nach Sophias Verschwinden wurde in Nordspanien die Leiche einer Frau entdeckt, eine weitere Woche später offiziell, dass es sich bei der Toten um Sophia handele. Des Mordes an ihr verdächtig ist ein 41-jähriger marokkanischer Lastwagenfahrer, der sie an einer Tankstelle bei Leipzig in seinem Lkw mitgenommen hatte und durch die Auswertung der Kameras auf der Tankstelle und seine GPS-Daten ausfindig gemacht werden konnte. Er soll die Tat gestanden haben.

Sophias Bruder Andreas wandte sich kurz nach dem Verschwinden seiner Schwester mit einem Brief an die Öffentlichkeit. Darin schrieb er, Sophia würde es unter keinen Umständen wollen, "dass auf ihre Kosten rassistische Hetze" betrieben werde, "wie es teils schon geschehen ist". Die Nationalität eines möglichen Täters habe nichts mit seinen Taten zu tun. Andreas Lösche bezog sich damit auf die vielen Spekulationen im Internet, die sich mit Sophias Verschwinden beschäftigen. Nach der Veröffentlichung des Briefes wurde die Familie mit Hasskommentaren bis hin zu Morddrohungen überzogen.

Mit dem folgenden Text nehmen Sophias Familie und ihre Freunde von ihr Abschied. Er zeigt auf sehr persönliche und authentische Weise, wer Sophia war. (Tsp)

Der Nachruf:

Wenn wir an Sophia denken, dann denken wir an ihre stete Bewegung, mit der sie uns, so viele und vieles bewegte. Dabei bewegte sie sich selbst und ständig zwischen verschiedenen Kreisen und Orten: Leipzig, Berlin, Bamberg, Amberg, Athen, Lesbos…

Unerschütterlich im Glauben an das Gute in den Menschen und in ihrer aufrichtigen Überzeugung, für die richtige Sache einzutreten, bewegte sie mit ihrer herzlichen Ehrlichkeit und mit ihrer unermüdlichen Leidenschaft alle, die mit ihr zu tun hatten. Sie bewegte im direkten Umfeld Bekannte, die zu Freunden wurden und Gleichgesinnte, die zu Mitkämpfern für eine gerechtere Welt wurden.

Sie lebte uns vor, sich nicht mit den kleinen erreichten Kompromissen zufrieden zu geben. Sie zeigte uns, dass das große Ganze anzugehen ist. Sie führte uns vor, niemals anzuhalten, weil etwas gut genug sei. In ihrer Bestimmtheit zog sie andere in ihren Bann. Dank ihrer Beharrlichkeit krachte sie auch mal mit der einen oder dem anderen zusammen. Dabei bestand sie aber immer auf einer fairen Auseinandersetzung und konnte aufbrechende Konflikte schnell mit ihrem einnehmenden Wesen entschärfen.

Sie blieb dabei stets bescheiden. Akademischer Standesdünkel war ihr ebenso fremd wie jedwede Ausgrenzung irgendwelcher sozialer Gruppen. Ganz im Gegenteil. Ihr Platz war nie an der Seite der Großkopferten, sondern bei denen, die in unserer Gesellschaft nicht mithalten können oder wollen, die schwach sind, unterdrückt werden, flüchten mussten, irgendwie klein sind. Das war der rote Faden ihres Lebens und Sophia war so konsequent, dass man dieses Moment in ihren Handlungen und Entscheidungen stets wahrnehmen konnte, sei es als Schulsprecherin oder in der Studierendenvertretung, bei ihrer politischen Arbeit, im Umgang mit uns allen und ganz besonders bei ihrem Einsatz für Geflüchtete.

Wenn wir an Sophia denken, fällt uns jedoch nicht zuerst ihre Bescheidenheit oder ihr soziales Engagement ein, sondern ihr Spaß, ihre Lebensfreude. Ihre Begeisterungsfähigkeit für jede noch so abwegige Idee. Ihr Vergnügen, diese bis ins Absurde weiterzuspinnen, hat uns angesteckt. Da wurde auch mal die Nacht zum Tag. Ihre Freude, neue Menschen kennenzulernen, ihre Neugierde, ihre Lust am Leben und ihre ehrliche Fröhlichkeit haben ihre Mitmenschen begeistert. All dies hallt ungebrochen in uns nach.

Wir sind bewegt vom Ende ihrer Bewegung

Diese Dimensionen der Bewegung – ihre eigene unermüdliche Bewegung, die Übertragung ihrer Bewegung auf einzelne und letztlich auf die Gesellschaft – sind auf so wunderbare Weise in Sophia zusammengetroffen, dass unsere Herzen noch immer nicht begreifen, dass ihre eigene Bewegung zu Ende sein soll. Wir wissen aber, dass die Bewegungen, die sie in vielen auslöste, durch nichts und niemanden mehr zu bremsen sind. Die bewegenden Begegnungen mit ihr werden vielen fehlen, ihrer Familie, ihren Freunden, ihren Kollegen, ihren Bekannten und nicht zuletzt jenen, die durch ihren Tod um einen Hoffnungsschimmer ärmer geworden sind."

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