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Wirtschaft: 300 Euro für die „blöde Kuh“

Wer Polizisten oder Lehrer beleidigt, findet sich schnell vor Gericht wieder. Bei Nachbarstreitigkeiten hält der Staat sich raus

Stand:

Das kennt jeder: Man ärgert sich, und möchte seiner Wut einmal so richtig Luft machen. Doch sich im Ton zu vergreifen kann teuer werden. Vor allem wer gegenüber einem Polizisten die falschen Worte wählt, muss mit einer Anzeige rechnen. Egal, ob der Stein des Anstoßes ein schlichtes „du“, die Beschimpfung als „Frosch“ oder eine unpassende Geste ist.

Nach der Erfahrung des Berliner Amtsrichters Tobias Kaehne zählen Beleidigungen von Polizisten vor Gericht zu den häufigsten Fällen. „Ähnlich oft kommen im öffentlichen Raum eigentlich nur Beschimpfungen von BVG-Mitarbeitern vor“, sagt Kaehne. Beides kann teuer werden. Für „ihr Frösche“ etwa hielt ein Thüringer Amtsrichter eine Geldstrafe von 1250 Euro für angemessen. Wer eine Politesse als „blöde Kuh“ beschimpft, muss mit 300 Euro Geldbuße rechnen.

BEAMTE

Trifft die Beleidigung einen Beamten, gelten eigentlich keine anderen Maßstäbe als gegenüber jedem Bürger. Das Strafgesetzbuch macht hier keinen Unterschied. Trotzdem kann die Strafe um einiges höher ausfallen, wenn die Opfer Polizisten oder auch Lehrer sind. Denn beim Strafmaß kann der Richter den Status des Beamten als Staatsvertreter und Respektsperson berücksichtigen. Das tut auch die Staatsanwaltschaft: Erstatten ein Polizist oder sein Vorgesetzter Strafanzeige, kommt es in aller Regel auch zu einer Klage durch den Staatsanwalt. Bezeichnet dagegen ein Nachbar den anderen als „blöden Gartenzwerg“, lehnen die Staatsanwälte ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung meist ab.

ANZEIGEN

Nebenbei schützt die Justiz sich so vor Überlastung: Denn die Zahl von Anzeigen wegen Beleidigung ist in den vergangenen Jahren drastisch gestiegen: Während es laut Kriminalstatistik 1990 bundesweit noch rund 80 000 Fälle waren, lag die Zahl drei Jahre später bei knapp 100 000 und 2005 bei fast 180 000 Fällen. Wer beleidigt ist und die Sache vor den Richter bringen will, obwohl die Staatsanwaltschaft keine Klage erhebt, kann es auf dem so genannten Privatklageweg versuchen. Als Kläger hat er in einem solchen Strafverfahren eine ähnliche Rolle wie sonst der Staatsanwalt.

SCHLICHTER

Vorher aber müssen sich die Kontrahenten an einen Tisch setzen und nach einer einvernehmlichen Lösung suchen. So will es in Berlin das Schiedsamtsgesetz. Mit Hilfe eines ehrenamtlichen Vermittlers soll eine Lösung für den Konflikt gefunden werden.

Anke Schönberg, Schiedsfrau in Charlottenburg-Wilmersdorf, hat in ihrer Wohnung schon einige Beleidigungsfälle geschlichtet. „Meistens steckte dahinter ein jahrelanger Streit unter Nachbarn“, sagt sie. Wenn es gut läuft, wird am Ende ein Vergleich geschlossen, in dem sich die eine Seite entschuldigt und beide erklären, die Verhaltensweisen, die zum Zwist führten, künftig zu vermeiden. Es kommt aber auch vor, dass die Schiedsfrauen und -männer versuchen, den Beleidigten vom Antrag auf das Schiedsverfahren abzubringen. „Bei reinen Bagatellen kann das sinnvoll sein“, sagt Anke Schönberg. Meistens geht es ohnehin nicht um ein strafbares Verhalten. Bedenkt zum Beispiel ein Verkehrsteilnehmer den anderen mit spöttischen Blicken, mag das zwar unangenehm sein, ist aber kein Gesetzesverstoß.

MEINUNGSFREIHEIT

Auch das Grundrecht der Meinungsfreiheit setzt dem Strafrecht Grenzen. Die wohl bekannteste Entscheidung hierzu traf das Bundesverfassungsgericht, das Strafurteile wegen des Satzes „Soldaten sind Mörder“ aufhob. Dem lag auch die Erwägung zugrunde, dass die Beleidigung sich als persönliche Kränkung entweder gegen einzelne oder eine überschaubare Gruppe richten muss. Also zum Beispiel erkennbar gegen Soldaten der Bundeswehr.

ARBEITSRECHT

Auch im Arbeitsrecht spielt die Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und strafbarer Kränkung eine große Rolle. Kritik in der Sache zum Beispiel muss generell hingenommen werden, selbst wenn sie harsch ist. Erklärt etwa der Chef in einer Konferenz: „So etwas Simples hätte ja sogar Herr X gekonnt“, ist das für sich genommen noch keine Beleidigung. Deshalb ist auch die systematische Schikane durch Vorgesetzte oder Kollegen, das Mobbing, rechtlich oft schwer zu fassen. Selbst Schimpfworte sind per se nicht zu beanstanden, wenn der Umgangston ohnehin rau ist, zum Beispiel auf der Baustelle.

Anders sieht es aus, wenn üble Gerüchte in die Welt gesetzt werden. Wer „herabwürdigende“ Tatsachen behauptet, von denen er nicht weiß, ob sie wahr sind, kann sich wegen übler Nachrede strafbar machen. Kennt er den fehlenden Wahrheitsgehalt, geht es um Verleumdung. Diese zieht eine höhere Strafe nach sich. Allerdings kommt es für die rechtliche Beurteilung auf die Umstände des Einzelfalls an. Nach dem Strafgesetzbuch können eine Beleidigung oder eine üble Nachrede mit einer Freiheitsstrafe von maximal einem Jahr oder einer Geldstrafe geahndet werden. Verleumdungen können Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren oder Geldstrafen nach sich ziehen.

Für das Verhalten gegenüber Vorgesetzten gelten keine strengeren Maßstäbe als für das unter Kollegen. Wer den Chef beleidigt, muss allerdings auch mit einer Abmahnung oder einer verhaltensbedingten Kündigung rechnen. Geht es um einen besonders gravierenden Fall, hält das Bundesarbeitsgericht eine fristlose Kündigung für rechtens.

SCHADENERSATZ

Die Straftat kann auch Schadenersatz- und Schmerzensgeldforderungen nach sich ziehen. „Dann geht es meistens um einen immateriellen Schaden durch die Verletzung des Persönlichkeitsrechts“, erklärt Frank Lansnicker, Fachanwalt für Arbeitsrecht. Hohe Summen sprechen die Gerichte allerdings nur in schweren Fällen zu. Viele Zwistigkeiten beenden die Parteien durch einen Vergleich.

Ein Beispiel aus Lansnickers Kanzlei: In einer Betriebsratssitzung notierte der Schriftführer, ein bestimmter Tagesordnungspunkt würde nur wegen „intriganten Arschlochverhaltens“ seines Kollegen besprochen. Der klagte daraufhin auf Schadenersatz. „Wir haben uns dann darauf geeinigt, dass der Beklagte sich entschuldigt und 100 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung zahlt.“

Ein Gericht hätte wohl kaum mehr Schadenersatz zugesprochen. Oft gibt es sogar gar nichts. Das entschied zum Beispiel das Landgericht Hanau im Fall eines Schülers, der von einem Lehrer drei Ohrfeigen kassiert hatte. Strenger sind die Richter dagegen, wenn die Beleidigung einen rassistischen Hintergrund hat. Die Beschimpfung einer farbigen Frau als „Affe“ zog 360 Euro Schadenersatz nach sich.

Eva Kehr

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