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Evangelische Kirchengemeinden beklagen ein Nachwuchsproblem im Ehrenamt.

© Julian Stratenschulte/dpa

Websites, Kursprogramm und Creditpoints: Arbeiten für die Konfirmation

Um konfirmiert zu werden, müssen Jugendliche in ihrer Kirchengemeinde zunehmend anpacken. Kinderschützer sehen das kritisch.

Von Laurin Meyer

Zwei Stunden im Kinderkreis helfen, viermal den Gemeindebrief austragen oder beim Osterfeuer anpacken: Wer in der evangelischen St. Georg-Gemeinde in Goslar konfirmiert werden will, der muss ran an die Arbeit. In sogenannten Projekten organisiert die Kirchengemeinde im Harz die ehrenamtlichen Einsätze ihrer Jugendlichen. „Unsere Konfirmanden sollen die Gemeindearbeit kennenlernen“, sagt Pastorin Melanie Grauer. „Sie sollen mit denjenigen in Kontakt kommen, die schon ehrenamtlich arbeiten.“ Wobei: Ganz so freiwillig dürften die Jugendlichen das nicht machen. Insgesamt 20 Stunden solcher Projektarbeiten müssen die meist 13-Jährigen hier ableisten. Das ist Voraussetzung für die anstehende Konfirmation, so verlangen es die Eckbedingungen der Gemeinde.

Auch in anderen Kirchengemeinden übernehmen zunehmend Konfirmanden die Aufgaben der freiwilligen Helfer. Denn im Ehrenamt scheint es an Nachwuchs zu fehlen, so zeigen es jedenfalls Umfragen. Gegenüber der „Zeit“-Beilage „Christ & Welt“ gab zuletzt mehr als die Hälfte der befragten Gemeindemitglieder an, dass die Freiwilligen in ihrer Gemeinde überlastet sind. Dabei ist die evangelische Kirche in hohem Maße abhängig von ihren unbezahlten Helfern. Auf fünf Freiwillige kommt im Schnitt nur ein hauptamtlich Beschäftigter.

Konfirmanden als Lückenfüller?

Zwar ist die bloße Zahl an Freiwilligen über die vergangenen Jahrzehnte gestiegen. Engagierten sich vor knapp 20 Jahren noch gut 900.000 Menschen für die evangelische Kirche, waren es 2016 über 1,1 Millionen. „Was sich ändert, sind die Formen des ehrenamtlichen Engagements“, erklärt eine Sprecherin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Kurzfristige Einsätze seien zunehmend attraktiv, oder solche, die zur eigenen Lebensphase passen: Jugendliche engagieren sich etwa als Betreuer für Jugendgruppen, Eltern im Kindergottesdienst.

Sollen Konfirmanden also übernehmen, was sonst niemand mehr machen will? Jeremias Treu, Studienleiter für Konfirmandenarbeit beim Amt für kirchliche Dienste in Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, kann sich das nur in Ausnahmefällen vorstellen – aus Hilflosigkeit mancher Pastoren, wie er sagt. „Konfirmanden sollten nicht dazu da sein, um Löcher zu stopfen“, sagt Treu, „etwa zum Verteilen von Gemeindebriefen, weil sich niemand mehr findet.“ Doch auch Treu bestätigt, dass in der Konfirmandenarbeit seit einigen Jahren ein Umdenken läuft. Statt Frontalunterricht vom Pastor stehe zunehmend Projektarbeit auf dem Plan.

Gemeinden entscheiden selbst über Konfirmandenunterricht

Das Ziel: Die Jugendlichen früh mitmachen lassen, sie für freiwilliges Engagement begeistern. „Wenn Konfirmanden frühzeitig in die Gemeindearbeit eingebunden werden, dann steigert das ihre Bereitschaft“, sagt Treu. Das zeigt auch eine repräsentative Umfrage der Universität Tübingen. Demnach sei zwei von drei Jugendlichen die freiwillige Hilfe wichtiger geworden, nachdem sie in der Kirchengemeinde mitgearbeitet haben. Ohne eine Tätigkeit stieg die Bereitschaft hingegen nur bei jedem Zehnten.

Wie genau die fast 14.000 evangelischen Kirchengemeinden in Deutschland ihren Konfirmandenunterricht gestalten, ist ihnen selbst überlassen. Die Gemeinschaft der Kirchen, die EKD, gibt nur Leitlinien vor. Sie steht den Gemeinden beratend zur Seite – etwa in Person von Treu.

Websites, Kursangebot und Creditpoints

Einige Gemeinden haben die Aufgabenverteilung an Konfirmanden regelrecht professionalisiert, manch ein System erinnert an eine Hochschule. Über speziell eingerichtete Internetseiten können sich die Jugendlichen etwa zur Grünpflege oder für Botendienste anmelden. Mal müssen sie die Aufgaben als Wahlpflichtkurse belegen, mal aus verschiedenen Projektkategorien wählen. Und für erfolgreiche Arbeitseinsätze verteilt manch eine Kirchengemeinde sogenannte Creditpoints. Wer eine bestimmte Punktzahl erreicht hat, wird zur Konfirmation zugelassen – ähnlich wie zur Abschlussprüfung an der Universität.

Kirchenbeobachter halten das Prinzip für unangemessen: „Es sieht so aus, als wolle die Kirche aus der Not eine Tugend machen“, sagt der Politologe und Autor Carsten Frerk, der in seinen Werken immer wieder die Struktur der Kirchen in Deutschland kritisiert. „Die Aufgaben der Konfirmanden erinnern an eine Verurteilung zu Sozialstunden nach Jugendstrafrecht.“ War die Kirchengemeinde früher noch ein sozialer Treffpunkt, sei das der jüngeren Gesellschaft von heute verloren gegangen, argumentiert Frerk. Auch, weil die Jugendlichen Ersatz gefunden hätten – etwa in den sozialen Medien. Mit verpflichtender Freiwilligenarbeit ließen sich junge Menschen aber nicht zurückgewinnen, meint Frerk.

Freiwilliger Zwang

Und auch Kinderschützer äußern Zweifel an diesem Konzept der Konfirmandenarbeit: „Natürlich ist gegen ein freiwilliges Engagement von Konfirmanden nichts einzuwenden ist“, sagt Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes. Das sei in der christlichen Gemeinschaft fest verankert, die Jugendlichen könnten im Konfirmandenunterricht auch dazu motiviert werden. „Eine Verpflichtung zu freiwilligen Tätigkeiten quasi als Voraussetzung für die Konfirmation ist dagegen problematisch“, sagt Krüger. Der Kinderschützer sieht hier Fragen des Jugendschutzes und des Arbeitsrechts berührt. Das müssten allerdings die zuständigen Behörden klären.

In der St. Georg-Gemeinde in Goslar will man die Jugendlichen nicht als Ersatz für freiwillige Helfer verstanden wissen. Die Projekte seien ohnehin zeitlich begrenzt sind, die Plätze nicht immer gleich verlässlich mit Konfirmanden besetzt. Allerdings: Eine Entlastung für die ehrenamtlichen Mitarbeiter seien sie schon, sagt Pastorin Melanie Grauer, etwa beim Verteilen von Gemeindebriefen. Im Gegenzug würden sie aber auch von den Projekten lernen. Bei der Arbeit mit Kindern werden sie von Erwachsenen begleitet, bei anderen Projekten angeleitet, sagt Grauer. „Das ist mehr ein Geben und Nehmen.“

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