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Wirtschaft: Ausländer laufen entmutigt ihrem Geld hinterher

MOSKAU .Als im letzten Herbst erstmals eine russische Großbank vor dem Konkurs stand, sollte die Liquidation der Tokobank Anlaß für eine längst fällige Beschleunigung der Wirtschaftsreform sein.

MOSKAU .Als im letzten Herbst erstmals eine russische Großbank vor dem Konkurs stand, sollte die Liquidation der Tokobank Anlaß für eine längst fällige Beschleunigung der Wirtschaftsreform sein.Diese Kursänderung, wie sie auch von dem Internationalen Währungsfonds (IWF) seit Jahren gefordert wird, hätte den etwa 300 Gläubigern, einschließlich Dutzende von amerikanischen und europäischen Banken, wenigstens die Hoffnung gegeben, einen Teil ihrer Kredite zurückzuerhalten.Fast ein halbes Jahr später haben sich diese Hoffnungen allerdings vollends zerschlagen, denn statt des geplanten Schulbeispiels für eine ordnungsgemäße Liquidation sind lediglich die westlichen Geldgeber von einer Handvoll russischer Unternehmen aus dem Sattel gehoben worden.Bei dem Kampf um die Kontrolle der russischen Großbank bediente man sich altbewährter Hilfsmittel, wie Schein-Kreditansprüche, dubiose Offshore-Unternehmen sowie Drohanrufe.Die auf diese Art und Weise mürbe gemachten westlichen Gläubigerbanken zogen anschließend vor Gericht, appellierten an die russische Zentralbank und baten sogar die kommunistische Partei um Hilfe.Auch zahlreiche Politiker äußerten ihre Besorgnis und der Vizepräsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) David Hexter faßte die Vorgänge um die Tokobank treffend zusammen: "Die Angelegenheit ist eben ein heilloses Durcheinander."

Dabei galt die vom Konkurs bedrohte Tokobank noch bis Mitte der 90er Jahre als das Modell einer westlich orientierten Großbank.Sie spezialisierte sich in ihrer Hauptgeschäftstätigkeit auf die Kreditvergabe und beschränkte sich nicht auf die sonst üblichen Währungsspekulationen und kurzfristigen Schuldverschreibungen.Nachdem die EBWE Anteilseigner wurde, reihten sich zahlreiche ausländische Banken ein und sie liehen der Tokobank um die 300 Mill.Dollar: Zu ihnen gehörten unter anderem die Dresdener Bank, die Bank of Amerika und Bankers Trust.

Ab Mai des letzten Jahres änderte sich die Lage: Das ehemalige Vorzeigeinstitut hatte sich offensichtlich zu einem Bankrottunternehmen entwickelt.Es sah sich plötzlich in einer Solvenzkrise, resultierend aus überhöhten Kreditvergaben an marode russische Unternehmen, die gleichzeitig auch Aktionäre der Tokobank waren.Die so hervorgerufene Finanzkrise ließ den Schuldenberg bis zum vergangenen Oktober auf insgesamt 510 Mill.Dollar anwachsen.Als sich die Gläubiger im Oktober erstmals versammelten, mußte festgestellt werden, daß die Verbindlichkeiten allein gegenüber den westlichen Banken inzwischen 340 Mill.Dollar betrugen.Eine Liquidation der Tokobank schien der einzig vernünftige Ausweg aus dem Dilemma zu sein.Die Gläubiger mußten lediglich über den Liqudator sowie ein Komitee als Kontrollinstanz entscheiden.Obwohl man sich bald auf die Zusammensetzung des Komitees geeinigt hatte, wurde von russischer Seite ein Großteil der abgegebenen Stimmen für ungültig erklärt.Somit erhielten die ausländischen Gläubiger lediglich drei der sieben Sitze im Komitee.Mit diesen Mehrheitsverhältnissen war es möglich, Andrei Fedotow als Liquidator einzusetzen, ein Mann, der zuvor schon bei einer russischen Gläubigerfirma als Finanzberater gearbeitet hat.Mit seiner Hilfe gelang es, mittels einer raffinierten Strategie die Kontrolle über das Konkursverfahren und die Aufteilung des Vermögens zu erlangen und ganz auf russische Seite zu ziehen.

Obwohl der Vermögensbestand bei der letzten Bankprüfung im Jahr 1997 noch auf eine Mrd.Dollar taxiert wurde, müssen die westliche Gläubiger davon ausgehen, daß ein Großteil des Geldes verloren ist.Denn viele Schuldner sind auch gleichzeitig Aktionäre der Tokobank.Daher ist es eher unwahrscheinlich, daß die Deckung der Darlehen überhaupt 60 Prozent betragen wird.Zu diesen Ungereimtheiten paßt auch der nicht ganz koschere Ablauf der Liquidation an sich: Es stellen beispielsweise fünf Offshore-Unternehmen fragliche Ansprüche gegen die Tokobank.Verdächtig scheint weiterhin, daß alle Stränge immer wieder bei den beteiligten russischen Unternehmen zusammenlaufen: Die Kontrolle der Liquidation obliegt einer Unternehmensgruppe, die Verbindungen zu dem Präsidenten der ZAO Metal Investment Co.Mikhail Zhivilo.Zhivilo steht wiederum mit allen russischen Unternehmen des Gläubiger-Komitees in Verbindung, mindestens zwei der mysteriösen Offshore-Firmen eingeschlossen.

Zufällig ist er nun auch noch ein Exkollege von Fedotow, dem Liquidator.Fedotow gesteht, daß die Liquidierung der Tokobank tatsächlich mit einigen "Widersprüchen" behaftet ist.Inkompetenz streitet er aber vehement ab."Das ist eben das erste Mal, daß eine große Bank mit so vielen Geldgebern pleite ist.Und jeder von ihnen erwartet mehr, als ihm zusteht." Die Pleite der Tokobank ist kein Einzelfall.Das zeigt die rasant steigende Anzahl von Konkursanmeldungen auf über 10 000 im Jahre 1998.

Das Liqidationsverfahren der Tokobank ist ein komplexer Prozeß.Die Liegenschaften allein in Moskau, zu denen der Toko Turm und die Bankzentrale zählen, werden mit über 100 Mill.Dollar beziffert.Hinzu kommt der Darlehensbestand von schätzungsweise 600 Mill.Dollar.Die Gläubiger der Tokobank waren sich allerdings darüber im Klaren, daß ein Großteil des Darlehensbestands nicht liquidiert werden würde.Die zusätzliche Forderung der fünf nebulösen Offshore-Unternehmen in Höhe von 210 Mill.Dollar ließ die Aussicht auf einen glimpflichen Ausgang schwinden.Die Legitimation dieser Rückforderung wurde von den westlichen Gläubigern angezweifelt, es wurden auch nie glaubwürdige Belege geliefert.

Durch monatelange rechtlichen Kämpfe desillusioniert, haben viele der ausländischen Gläubiger der Tokobank das Handtuch geworfen.Keiner von ihnen glaubt tatsächlich, ihren Anteil zurückzuerhalten.So ist das siebenköpfige Komitee zusammengeschrumpft.Denn die Dresdner Bank, die Österreichische Bank und die IFC haben sich entschlossen, alle Treffen des Komitees zu boykottieren.Den richtigen Schluß zog ein Moskauer Magazin: Die "Schlammschlacht" kommt einer Raubtierfütterung gleich.

Übersetzt und gekürzt von Karen Wientgen (Albanien, Konsens), Birte Heitmann (Russland) und Svenja Rotley (Kapitalkontrollen).

ANDREW HIGGINS

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