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Entspannen oder arbeiten? Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen hat man die Wahl.

© Getty Images/iStockphoto

Grundeinkommen als Experiment: Obwohl sie bedingungslos Geld bekommen, arbeiten die Menschen weiter

Ein Berliner Verein zahlt 308 Menschen monatlich ein Grundeinkommen von 1000 Euro – ohne Gegenleistung. Sieben weitere Plätze sind jetzt frei.

Neun Jahre lang wurde Gabi von ihrem Chef um ihr Geld betrogen. Ihm war klar, wie dringend sie es braucht, wie wenig sie sich wehren kann. Dann wollte es der Zufall, dass der Name der 60-Jährigen ausgelost wurde – und sie gewann plötzlich ein bedingungsloses Grundeinkommen für zwölf Monate. „Behalt die 180 Euro und ich muss dich nicht mehr ertragen!“, sagte Gabi bei der nächsten Auszahlung, die nicht stimmte – und verließ das Restaurant. Wie sie es genoss, die Nächte nicht mehr zu arbeiten und eine Weile bloß zwei Jobs zu haben.

Die Geschichte von Gabi ist eine von 24 Geschichten, die in dem Buch „Was würdest du tun?“ stehen. Mitautor ist Michael Bohmeyer. 2014 gründete er in Berlin den Verein „Mein Grundeinkommen“, der Spenden einnimmt und davon inzwischen 308 Grundeinkommen vergeben hat: Ein Jahr lang 1000 Euro im Monat haben. Unabhängig vom Kontostand, ohne irgendeine Gegenleistung. An diesem Dienstag werden gleich sieben weitere Namen bekannt gegeben.

Was verändert sich mit dem Geld? Wie lebt es sich, wenn die Existenz gesichert ist, ohne dafür etwas tun zu müssen? Werden Menschen tatsächlich faul, wie Skeptiker meinen? Diese Fragen stellte sich Bohmeyer mit seiner Kollegin Claudia Cornelsen und besuchte einige Gewinnerinnen und Gewinner. Am Ende des im Januar erschienenen Buchs schreibt Bohmeyer, er habe ganz unterschiedliche Begegnungen gehabt, mit einem Obdachlosen, mit gewöhnlichen Angestellten bis hin zu einem Millionärssohn. Nicht nur Vorzeigemenschen seien es gewesen, sondern auch solche, „die ein Deutschland in den Grenzen von 1937 proklamieren, die für ihre Kinder keinen Unterhalt bezahlen, die das Sozialamt betrügen, die Steuern hinterziehen, die schwarzarbeiten und Drogen nehmen“.

Entgegen allen Befürchtungen zeige sein Experiment trotzdem keine Hinweise auf „soziale Katastrophen“. Das Grundeinkommen habe das Leben der Menschen aus seiner Sicht im guten Sinne geprägt – und zwar nicht nur wegen der 12.000 Euro, sondern vor allem wegen der Bedingungslosigkeit.

Einige bildeten sich fort oder gründeten Firmen

Manche lernten ihren Job wieder neu lieben. Einige verloren ein lang andauerndes Bauchweh aus Sorgen. Andere bildeten sich fort, gründeten eigene Firmen. „Sie kommen nicht mehr irgendwie zurecht, sondern spüren Unternehmenslust und Wirkungsdrang“, schreibt Bohmeyer. Seine Schlüsse decken sich mit den Ergebnissen einer Online-Umfrage des Vereins. Nur drei von 43 Gewinnern haben demnach ihren Job gewechselt. Einer kündigte ohne neuen Plan. Neun nahmen sich eine Auszeit. Die Mehrheit lebt fast wie zuvor, aber mit weniger Existenzängsten. Stattdessen sind sie entspannter, gesünder und mutiger.

Der Verein sieht sich auch durch die Politik bestätigt: Die Linke denke darüber nach, in Thüringen das bedingungslose Grundeinkommen einzuführen. Die Grünen wollten es in Schleswig-Holstein ausprobieren. Die CDU diskutiere zumindest über eine Grundrente und die SPD über die Abschaffung von Hartz IV. Derzeit überprüft auch das Bundesverfassungsgericht die Frage, ob und in welchem Umfang die Sanktionen bei Hartz IV zulässig sind. Das Thema werde inzwischen ernst genommen.

Wie die Bevölkerung dazu steht? Laut einer aktuellen Studie des Deutschen Wirtschaftsinstituts (DIW) befürworten zwischen 45 und 52 Prozent der Deutschen die Idee. Allerdings gibt es Unterschiede zwischen den Altersgruppen. Am beliebtesten ist das Konzept bei Personen, die jünger als 25 sind - der sogenannten Generation Z. Frauen und Männer über 65 Jahre stehen dem Grundeinkommen etwas ablehnend gegenüber. Zudem sind Menschen mit höherer Bildung, niedrigem Einkommen und einer politisch linken Denkrichtung eher dazu geneigt, den Vorschlag gut zu finden.

Das DIW interpretiert die Ergebnisse unter anderem so, dass es vor dem Hintergrund der Digitalisierung und Alterung der Gesellschaft das Bedürfnis gebe, über Alternativen zum bestehenden Sozialsystem nachzudenken. Ob die Befragten aber tatsächlich die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens gut finden würden, sei fraglich. Es lagen nämlich keine Informationen über die mögliche Finanzierung vor – insbesondere nicht dazu, welche andere Leistungen gekürzt oder welche Steuern erhoben werden müssten, um es zu ermöglichen.

Grundeinkommen soll empirisch geprüft werden

Die Grünen drängen angesichts der Zustimmungswerte darauf, das Grundeinkommen in Modellprojekten zumindest zu testen. Wenn die Mehrheit dafür sei, „verdeutlicht das einmal mehr, dass die Zeit über Hartz IV hinweggegangen ist und wir dringend über neue Formen der sozialen Mindestsicherung diskutieren müssen“, sagt der Arbeitsmarktexperte Wolfgang Strengmann-Kuhn. „Diese Diskussion solle auf eine empirische Basis gestellt werden. Das wäre ein logischer nächster Schritt.“ Tatsächlich wollen Michael Bohmeyer und das DIW demnächst eine Gruppe von hundert Menschen aussuchen, die über eine längere Zeit als bisher ein Grundeinkommen bekommen und die Effekte wissenschaftlich untersuchen.

In anderen europäischen Ländern wie Litauen, Ungarn oder Slowenien, in denen der Sozialstaat weniger ausgeprägt ist, sind laut der DIW-Studie weitaus mehr Menschen von der Idee angetan. Dort möchten zwei Drittel der Bevölkerung lieber heute als morgen die neue Sozialleistung einführen. In Österreich, den Niederlanden und Frankreich ist die Bevölkerung ähnlich hin und her gerissen wie hier. Noch skeptischer sind die Menschen in Schweden, Norwegen und der Schweiz. Dort lehnen knapp zwei Drittel der Befragten ein bedingungsloses Grundeinkommen ab.

Finnland hatte 2017 einen Versuch gewagt und zog vor kurzem eine gemischte Bilanz: Für das Experiment waren 2000 Arbeitslose im Alter zwischen 25 und 58 Jahren zufällig ausgewählt worden. Sie bekamen zwei Jahre lang 560 Euro im Monat, steuerfrei, ohne Auflagen zu erfüllen. Mit dem Projekt wollte Finnland Möglichkeiten ausloten, sein Sozialsystem billiger und flexibler zu machen. Damit es sich für die Gruppe lohnt, trotzdem arbeiten zu gehen, wurde zusätzlich verdientes Geld vom Staat geringer belastet. Die Menschen waren weniger gestresst, fühlten sich sicherer, schauten zuversichtlicher in die Zukunft. Sie fanden aber nicht besser oder schlechter einen Job als all jene Arbeitslose, die nur vom Staat abhängig waren.

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