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Wirtschaft: Cord Schauenburg

(Geb. 1945)||Überzeugungen können sich ändern, müssen aber sein.

Überzeugungen können sich ändern, müssen aber sein. Eigentlich wäre er gerne Busfahrer geworden. Doch schon der Großvater war Arzt in Berlin, die älteren Geschwister wurden Mediziner, und so folgte Cord Schauenburg der Familientradition. Er studierte zur Zeit der Studentenproteste – und er protestierte mit. Beeindruckt vom Sozialismus absolvierte er in einen Moskauer Krankenhaus sein Praktikum.

In Berlin lebte er natürlich in Wohngemeinschaft mit Gleichgesinnten. Dort und in den politischen Gruppen ging es immer wieder um den großen Traum: Ein neues Gesundheitssystem, in dem Ärzte und Kranke als gleichberechtigte Partner agieren würden.

1979 starben kurz hintereinander die Eltern. Cord Schauenburg suchte Abstand. Auch um endlich zu seiner Homosexualität stehen zu können. Das war, solange die Eltern gelebt hatten, unmöglich: Ein schwuler Doktor? Jetzt zog er für ein Jahr nach Bologna.

Dort geschah gerade Erstaunliches: Die Irrenhäuser wurden aufgelöst. An deren Stelle traten selbstverwaltete Wohngemeinschaften, Tagesstätten und Kooperativen, in denen Kranke und Gesunde zusammenarbeiteten. Das entsprach so ziemlich Cords Idealen. Zurück in Berlin arbeitete er in der Gruppe „Schwule Ärzte und Therapeuten“ sowie in einer Weddinger WG für psychisch Kranke. In einem schwulen Chor fand er seine große Liebe – auch der Freund: ein Therapeut.

Seit 1983 arbeitete Cord Schauenburg in einer Kreuzberger Arztpraxis, natürlich im Kollektiv. Ärzte bekamen den gleichen Lohn wie die Bürokräfte, einmal in der Woche gab es das Plenum, man arbeitete mit linken Gesundheitszentren zusammen und informierte sich über alternative Medizin.

Cord Schauenburg hörte zu, er interessierte sich für das Leben seiner Patienten und behandelte auch mal ohne Krankenschein. Akupunktur und Naturheilkunde standen auf einer Stufe mit Antibiotika und Cortison. Das manchmal stundenlange Warten nahmen die Patienten in Kauf – ihr Arzt nahm sich eben für jeden Zeit. Die Sachbearbeiter der Krankenkassen hatten es dagegen nicht leicht mit ihm. Bis sie aufgaben, rief er sie wieder und wieder an, etwa um einer Krebskranken, die Angst vor der Chemotherapie hatte, eine Misteltherapie zu bewilligen.

Die Alternative Liste bot ihm den Posten als Gesundheitsstadtrat an, er lehnte ab, denn dann hätte er nur noch am Schreibtisch sitzen müssen. Außerdem gab es auch so mehr als genug zu tun. Er, der sich immer wieder mit dem Nationalsozialismus beschäftigte, fand heraus, dass sein Großvater 1938 als Nutznießer der Rassengesetze die Praxis eines jüdischen Arztes übernommen hatte. Dieser wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert. Cord Schauenburg suchte in Israel nach der Familie des Arztes, fand aber niemanden mehr.

Zur Entspannung renovierte er ein altes Bauernhaus in der Nähe von Göttingen. Und war stolz, dass sein alternativer Reisigputz noch nach Jahren an der Wand hing, während der konventionelle des Nachbarn längst bröckelte.

Er trank gerne guten Wein, liebte üppiges Essen. Und er war ein leidenschaftlicher Raucher, der es unmöglich fand, dazu auf den Balkon geschickt zu werden. Bis er selber aufhörte und für die verantwortungslose Raucherei kaum noch Verständnis aufbrachte. Überzeugungen können sich ändern, müssen aber immer mit vollem Herzen gelebt werden.

Alle paar Jahre nahm er sich drei Monate frei für eine weitere Leidenschaft, die Bahn. Er reiste, natürlich nur per Bahn, in deren Kursbüchern er stundenlang versank. Mit einem Freund fuhr er zum Nordkap, nach Paris und Mailand. In der Stadt fuhr er aus Prinzip Bahn und Bus.

1998 eröffnete Cord Schauenburg eine HIV-Schwerpunktpraxis. Im selben Jahr wurde bei ihm Krebs diagnostiziert. Bis 2002 praktizierte er, erst als sicher war, dass alles auch ohne ihn weitergehen würde, zog er sich zurück. Er reiste noch mal mit der transsibirischen Eisenbahn und heiratete seinen Freund. Über den Tod wollte er nicht sprechen, er machte lieber Pläne und stellte eine Bahnreise für dieses Frühjahr zusammen.

Von seinem Grab aus kann man die S- Bahngleise sehen.

Sarah Schmidt

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