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Wirtschaft: Den Ernst ihrer Lage erkennen die Brasilianer nur schwer

BRASILIA .Brasiliens Präsident Fernando Henrique Cardoso hat offenbar aus Verärgerung über Forderungen der oppositionellen Bundesstaaten nach Schuldenerleichterung ein geplantes Treffen mit den Gouverneuren abgesagt.

BRASILIA .Brasiliens Präsident Fernando Henrique Cardoso hat offenbar aus Verärgerung über Forderungen der oppositionellen Bundesstaaten nach Schuldenerleichterung ein geplantes Treffen mit den Gouverneuren abgesagt.Bereits Ende der vergangenen Woche hatte Cardoso die Forderungen der Bundesstaaten zurückgewiesen.

In Brasilien steht die Regierung vor einem Scherbenhaufen.Fast fünf Jahre hatte der "Plano Real", das Stabilitätsprogramm von Präsident Fernando Henrique Cardoso, Wirtschaftswachstum bei stabilen Preisen gesichert.Selbst die Armen bekamen etwas vom Kuchen ab.Bloß, der Wohlstand war gepumpt.Milliardensummen aus dem Ausland waren nach Brasilien geflossen und hatten wie Treibstoff auf den Wirtschaftsmotor gewirkt.Trotz aller Mahnungen des Präsidenten, nun endlich den Staat und die Gesellschaft durch Reformen bei der Steuer, den Renten und der Verwaltung zu modernisieren und zu entschlacken, dachten Brasiliens Politiker nicht daran, den Rotstift zu zücken; ganz im Gegenteil.Man hatte ja die "Kölner Heinzelmännchen", das Auslandskapital, im Lande.

Nun sind die "Kölner Heinzelmännchen" weg; sie hatten zu Recht kein Zutrauen mehr, daß Brasilien die notwendige Sanierung der Staatsfinanzen rechtzeitig schafft.Der überteuerte Real hatte keine Deckung mehr.Die kleinen Abwertungsschritte reichten nicht aus - und die Notenbank verpulverte mehr als ein Dutzend Milliarden Dollar, um die Währung zu stabilisieren.Der Notenbank-Chef Gustavo Franco nahm seinen Abschied; sein Nachfolger, Francisco Lopez, hielt sich genau drei Wochen im Amt, dann wurde er von der Abwertungswelle hinweggerafft.

Seit Anfang dieser Woche hat Brasilien einen neuen Notenbankchef: Arminio Fraga Neto, 42, der Mann der zuvor den "Quantum"-Fonds des Großinvestors George Soros für Lateinamerika betrieben hatte.Arminio Fraga Neto ist der sechste Zentralbank-Chef seit Präsident Fernando Henrique vor vier Jahren sein Amt antrat: ein Mann mit Blitzkarriere durch internationale Bankhäuser, Gastspielen bei der brasilianischen und nordamerikanischen Notenbank, mit einem Doktorgrad der Princeton-University und, wie sein Freund Malan, Brasiliens Finanzminister betont, profunden Kenntnissen über die internationalen Finanzmärkte.

Von Arminio Fraga erwartet man Treue gegenüber den IWF-Auflagen und eine Beruhigung der Märkte.Doch Wunder kann das "Wunderkind" Fraga wohl kaum bewirken.Fraga ist noch nicht durch den Kongreß bestätigt worden; in der Notenbank werden mehr Stühle gerückt als Entscheidungen getroffen.Die brasilianische Zentralbank ist ein Spielball politischer Interessen - sie besitzt keine wirkliche Autonomie.Und ihre Direktoren wechseln von heute auf morgen in die Privatwirtschaft, um ihr Insider-Wissen zu verzinsen.Bei Arminio Fraga war es auch so - zufällig pendelt er heute in die andere Richtung.Und morgen? Der IWF hat Brasilien dringend geraten, solche Praktiken zu unterbinden.

Die grundsätzliche Frage aber bleibt: Wird sich Brasilien an die Empfehlungen des IWF halten oder, wie bislang immer noch, nach Ausflüchten suchen?

George Soros, der Pate von Fraga, hat erst kürzlich in Davos hervorgehoben, daß Brasilien bessere Chancen als Rußland oder manche asiatischen Staaten hat.Das stimmt.Die brasilianische Industrie ist kein Schrotthaufen, die Banken sind keine Casinos, und die politischen Entscheidungsprozesse sind nicht geheim.

Doch weder mit Cardoso noch unter seinen Vorgängern sind wirklich einschneidende Reformen erfolgt.Der "custo brasil", die Reibungskosten der Wirtschaft durch eine hypertrophe Bürokratie, die teuren Privilegien mächtiger Gruppen wie der Latifundisten und der politischen Kaste bis in die Gemeinderäte hinunter, sind nicht angetastet worden.

Die Einsicht, daß Brasilien die unproduktiven, nutzlosen Kosten radikal reduzieren muß, ist unter den Politikern kaum verbreitet.Ausgerechnet der Provinzgouverneur (und Ex-Präsident) Itamar Franco, der mit seinem Gerede von einem Moratorium, also der Einstellung aller Schuldenrückzahlungen, die aktuelle Krise ins Rollen brachte, bleibt stur dabei: Die Verweigerung, die Schulden abzutragen sei ein moralisches Recht.Zum Ehrenkodex eines preussischen Offiziers, gehörte es, sich selber zu entleiben.In Brasilien neigen viele Politiker einer extrem anderen Meinung zu: Wenn Brasilien seine Rechnung nicht bezahlen kann, dann liegt die Schuld beim Weltwährungsfonds, also bei den "Kölner Heinzelmännchen".

CARL GOERDELER

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