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Wirtschaft: Der Preis der Zeit

Die Bahn hat sich selbst zu Entschädigungen bei Verspätungen verpflichtet. Bund und EU wollen mehr

Der ICE steht auf freiem Feld. Wegen einer Baustelle ist nur ein Gleis befahrbar. In wenigen Minuten geht es weiter, kündigt eine Stimme per Lautsprecher an. Nur ein paar Minuten. Die Fahrgäste schauen trotzdem nervös auf die Uhr. Der Zug ist schließlich schon mit Verspätung losgefahren. Wie viele Minuten werden es am Schluss sein? Und der eine oder andere fängt bereits an zu rechnen, ob er wenigstens einen Gutschein als Ausgleich für die Verspätung bekommt.

Jahrzehntelang waren die Kunden im Bahnverkehr auf die Kulanz des Konzerns angewiesen. Einen Anspruch auf Entschädigung, die man notfalls auch vor Gericht einklagen kann, gibt es erst seit Oktober 2004. In dem Monat trat die sogenannte Kundencharta der Bahn in Kraft, die allerdings nur für den Fernverkehr gilt. Bei mindestens einer Stunde Verspätung haben die Kunden Anspruch auf ein Trostpflaster, das sie auf mehreren Wegen einfordern können (siehe Kasten): einen Gutschein im Wert von 20 Prozent des Fahrpreises. Dieser kann an den Fahrkartenschaltern der Bahn und in etwa 3400 Reisebüros mit Bahnagentur eingelöst werden. Beim immer populäreren Ticketkauf im Internet kann man ihn noch nicht verwenden, weil es technische Schwierigkeiten gibt. „Das ist auf der Agenda, es gibt aber keine kurzfristige Lösung“, sagt ein Bahnsprecher.

Pro Tag würden im Schnitt etwa 900 Gutscheine wegen Verspätungen ausgegeben, sagt der Sprecher. Die Zahl sei relativ konstant. 900 Fahrgäste entsprächen etwa einem gut besetzten ICE. Dabei fährt die Bahn nach eigenen Angaben täglich 1000 Fernverkehrszüge und befördert damit im Schnitt 300 000 Passagiere. Unter bestimmten Umständen gibt es auch mehr als einen Gutschein. Kann der Passagier die Reise nicht bis 24 Uhr fortsetzen, weil es einen Zugausfall oder eine -verspätung gibt, übernimmt die Bahn bis zu 80 Euro an Übernachtungskosten plus Taxi.

Über die verbrieften Ansprüche hinaus seien weitere Kulanzleistungen möglich, sagt der Bahnsprecher. Das werde „mit Fingerspitzengefühl beim Einzelfall“ entschieden – etwa, wenn ein Zug 58 Minuten Verspätung hat und damit die Entschädigungsgrenze knapp verpasst wird. Auch die Betreuung auf den Bahnsteigen sei ausgebaut worden. Und hin und wieder werden wegen Verspätungen Freigetränke ausgegeben.

Im Mai 2006 wurde außerdem in Schleswig-Holstein ein Pilotprojekt für Entschädigungen im Nah- und Regionalverkehr der Deutschen Bahn gestartet. „Das Projekt wird bis auf Weiteres fortgesetzt“, sagt der Bahnsprecher. Bei einer Verspätung von mindestens einer Stunde gibt es einen Gutschein im Wert von 25 Prozent des Fahrpreises, nach mehr als zwei Stunden im Wert von 50 Prozent. Die Zahl der Entschädigungsfälle halte sich aber in Grenzen. Auf weitere Bundesländer werde die Regelung bisher nicht ausgeweitet, weil die Bahn bereits heute für Verspätungen im Regionalverkehr geradestehen muss. Denn diese Leistung wird von den Ländern beziehungsweise ihren Verkehrsgesellschaften bei der Bahn oder ihren Konkurrenten in Auftrag gegeben – und bezahlt. Bei zu vielen Verspätungen werden Pönalen an die Besteller fällig, aber nicht an die Kunden. Damit die Bahn nicht doppelt bezahlen müsse, sei ein Entgegenkommen bei den Pönalen nötig für die Einführung einer direkten Entschädigung auch für die Fahrgäste, sagt der Sprecher.

Doch schon bald könnten die Bahn und ihre Mitbewerber von Brüssel zu einer Ausweitung der Kundenrechte gezwungen werden (siehe Interview). Das ist im Rahmen des 3. Eisenbahnpakets zur Liberalisierung des Marktes in Europa vorgesehen.

Die Bundesregierung arbeitet ebenfalls an einer gesetzlichen Regelung. Der Abschlussbericht einer Arbeitsgruppe von Bund und Ländern werde voraussichtlich Mitte März vorgelegt, heißt es im federführenden Justizministerium. Entschädigungen solle es im gesamten Schienenverkehr geben – also nah und fern –, sagt ein Ministeriumssprecher. Es sei außerdem vorgesehen, dass der Bericht der Arbeitsgruppe einen Vorschlag für einen Gesetzestext enthält. Das Gesetzgebungsverfahren wird aber wohl erst im Sommer gestartet. Denn Bund und Länder haben sich darauf verständigt, dass man sich inhaltlich eng an die erwartete EU-Verordnung anlehnen will.

Die Deutsche Bahn lehnt zwar eine europaeinheitliche Regelung nicht ab, warnt aber vor höheren Belastungen – etwa wenn sie dazu verpflichtet würde, statt Gutscheinen Entschädigungen in bar zu gewähren. „Kundenrechte sind bei jedem Unternehmen ein Bestandteil der Preiskalkulation“, sagt der Bahnsprecher. Bei allen Regelungen müsse also nicht nur darauf geachtet werden, ob sie praktikabel sind, sondern auch darauf, inwiefern sie der wirtschaftlichen Kraft eines Unternehmens angemessen seien. Sonst könne die Bahn im Wettbewerb mit Flugzeug und Auto zurückfallen.

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