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Wirtschaft: Der Profizocker

Es gibt wenige, die vom Wetten leben können. Dirk Paulsen tut es. Er hat seine eigene Glücksformel

Das Telefon klingelt. Dirk Paulsen hebt ab, redet und schaut dabei weiter gespannt auf seinen Computer-Bildschirm. Er spielt gerade eine Partie Backgammon. Gleich beginnt auch noch ein Fußballländerspiel im Fernsehen. Es sind zwar nur die Unter-20-Jährigen, aber auch die sind für Paulsen interessant. Der Mann hat eine Wette laufen. Und die würde er ungern verlieren.

Dirk Paulsen lebt vom Wetten. Als Berufsbezeichnung gibt der 45-Jährige Profizocker an. „Es gibt viele, die von sich sagen, sie sind Profis“, sagt er. „Und jeder bildet sich ein, etwas zu können.“ Er ist stolz darauf, es wirklich zu können. Und darum stört ihn, dass sein Beruf in Deutschland als verrucht gilt. „Wenn ich sage, ich bin Informatiker, ebbt das Interesse schnell ab“, sagt der Berliner. „Wenn ich sage, ich bin Profizocker, dann fragen die meisten gespannt nach.“

Und so muss er sich immer wieder auf’s Neue rechtfertigen für seine Profession. Aber vielleicht hängt das ja auch mit dem glanzvollen Lebensstil zusammen. „Dein Lebensstil ändert sich gewaltig. Wenn du 5000, 10000 oder 15000 Euro gewinnst, dann leistest du dir eben hinterher auch mal was Schönes.“

Wichtig sei aber, auch in einer Pechsträhne nicht gleich nervös zu werden. „Wenn du mal einen Monat nicht gewinnst, dann muss es eben auch gehen. Aber man verkauft trotzdem sein zweites Auto dann nicht gleich.“

Dabei setzt er an einem Wochenende schon mal 100000 Euro und mehr ein. Natürlich verteilt auf mehrere Spiele. Wie bei einem Börsenprofi bleibt über die gesamte Zeit mehr Gewinn als Verlust. Professionelles Wetten ist mehr als das Setzen auf den Lieblingsverein. „Die Wahrscheinlichkeit, dass Brasilien ein Spiel gegen Deutschland gewinnt, ist nicht gottgegeben“, sagt Paulsen. Es ist hohe Mathematik. Wahrscheinlichkeiten berechnen, Quoten vergleichen und dann die vermeintlich günstigste Quote auswählen. Mehr will Paulsen nicht verraten, denn das ist ja irgendwie die Glücksformel. „Es gibt immer Spieler, die verlieren, aber es gibt eben auch immer Spieler, die gewinnen. Und das wiederum hängt von der Qualität der Spieler ab.“ Er gehört häufig zu den Gewinnern, weil er strategisch an die Spiele herangeht und weil er schon lange im Geschäft ist. Seit mehr als 20 Jahren spielt er Backgammon und seit 15 Jahren wettet er professionell auf Fußball. „Wenn ein Team ein paarmal verliert, aber gut spielt, dann setze ich mal auf das Team“, sagt Paulsen. „Viele andere orientieren sich eher an den vielen Niederlagen und so kommt eine günstige Quote zustande.“

Auf die klassischste aller Wettformen – die Pferdewette – setzt er nicht. „Im Moment mache ich nur etwas im Fußball und Tennis.“ Zu einem echten Buchmacher ist er schon lange nicht mehr gegangen. „Buchmacherläden in Deutschland haben keine Ausstrahlung“, sagt der Profiwetter. „In Österreich ist das anders, da hat das Glückspiel einen anderen gesellschaftlichen Stellenwert.“ Wenn er hoch spielt, dann trägt er auch eine Menge Geld mit sich herum und das Gefühl mag er nicht. Auch den Gemeinschaftsaspekt wischt er mit einem Satz weg: „Das ist nur Geschäft.“ Das Drumherum spielt keine Rolle. „Der Markt hat sich in den letzten Jahren total verändert. Es wird viel über das Internet gemacht.“

Mit dem Internetzeitalter sind die Tage der gammeligen Spelunken und verrauchten Wettbüros endgültig vorbei. Wetten hat nichts Verruchtes mehr, sondern ist zu einer sterilen Wettbörse geworden – wie der Aktienmarkt. Ohne zerknüllte Wettscheine. „Im Internet bekommt man fast die gleichen Angebote wie beim Buchmacher“, sagt Paulsen. Zudem kann rund um die Welt rund um die Uhr gesetzt werden. „Die asiatischen Anbieter boomen derzeit“, sagt Paulsen. Deren System ist jedoch etwas komplizierter als zum Beispiel das deutsche Oddsetsystem. Es wird nicht nur auf Sieg, Unentschieden oder Niederlage gewettet, sondern bekommt durch ein Handicap einen zusätzlichen Reiz. So kann man zum Beispiel auch auf ein bestimmtes Torverhältnis wetten. Außerdem gibt es variable Kurse. Die Quote hängt also auch davon ab, wie viel auf ein Team gesetzt wurde. Bei Oddset gibt es hingegen Festkurse.

Auch in Berlin boomt derzeit das Wettgeschäft, doch die vielen – laut Senat illegalen – Wettagenturen interessieren Paulsen nicht. Illegal sind nach Auffassung des Senats die Agenturen, die Wetten an ausländische Buchmacher vermitteln. Nach Schätzungen von Experten haben seit dem Jahr 1999 rund 120 Wettbüros in der Hauptstadt eröffnet. 38 haben inzwischen wieder aufgegeben.

Das Landeskriminalamt und Finanzsenator Thilo Sarrazin, bei dem das Glücksspielreferat angesiedelt ist, beobachten die Szene genau. Das Referat veranlasst, wenn es von einem neuen Wettbüro erfährt, eine Untersagungsverfügung und stellt Strafanzeige. Doch beschlagnahmt und geschlossen wird nicht mehr, seit das Landgericht Berlin im September 2003 die Verwaltung aufgefordert hat, erst einmal die für Ende des Jahres anstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten. Seit klar ist, dass die Untersagungen nicht vollstreckt werden, machen immer mehr neue Wettagenturen in der Stadt auf.

Paulsen legt Wert darauf, im legalen Markt sein Geld zu verdienen, bei Wettanbietern im Internet. Wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit mit einer günstigen Quote zusammenfällt, dann greift er zu. „Ich muss nur Tag und Nacht schauen, wo es die günstigsten Quoten gibt.“ Das Spiel ist vorbei. Gleich beginnt die nächste Suche. Immer auf der Suche nach der Glücksformel.

Ingo Wolff

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