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Tendenz steigend. Immer mehr junge Menschen entscheiden sich für ein duales Studium.

© imago/Westend61

Duales Studium: Jetzt bloß nicht die Balance verlieren

Wer dual studiert, wird vergütet – und doppelt gefordert. Die Lehrpläne sind straff, die Urlaubstage rar. Das erfordert Ausdauer.

Sein Entschluss stand früh fest. Bereits in der Oberstufe wusste Hamit Canan, dass er dual studieren möchte. Ein Schulausflug bei Siemens hat ihn in seinem Berufswunsch zusätzlich bestärkt: Ein duales BWL-Studium mit einer Ausbildung zum Industriekaufmann sei genau das Richtige für ihn. Nach seinem Abitur vor zwei Jahren sammelte er zunächst erste Berufserfahrungen, bevor er das duale Studium bei Siemens startete. Zeitgleich arbeitete er bereits einige BWL-Inhalte vor, um sich vorzubereiten: „Man muss sich genau überlegen, worauf man sich einlässt und ob es zu einem passt“, sagt der 20-Jährige.

Hamit Canan ist einer von mehr als 100 000 dual Studierenden in Deutschland. Nach aktuellen Zahlen des Bundesinstituts für berufliche Bildung (Bibb) entscheiden sich immer mehr junge Menschen für diesen Karriereweg. Zum Vergleich: Im Jahr 2004 waren es noch knapp 15 000. Besonders beliebt sind laut Silvia Hofmann vom Bibb Ingenieurwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften und Informatik. Aber auch der Bereich Soziales, Pflege, Erziehung und Gesundheit sei in den vergangenen Jahren stark gewachsen.

Die Vorteile liegen auf der Hand. „Duales Studium bietet die Verzahnung von Wissenschaft und Praxis und einen frühen Kontakt mit dem Arbeitsleben“, sagt Claudia Engfeld, Pressesprecherin der IHK Berlin. Die Übernahmequote liege bei rund 80 Prozent, zudem biete die Vergütung während des Studiums finanzielle Sicherheit. Die Zielgruppe seien Bewerber mit einem hohen Maß an Motivation und einer hohen Leistungsbereitschaft. Zugangsvoraussetzung sei in der Regel die Fachhochschulreife oder das Abitur.

Man lernt an der Uni und im Unternehmen

„Die Bewerbungsfristen für duale Studiengänge sind meistens ein Jahr vor Studienbeginn“, sagt Hamit Canan. Der Bewerbungsprozess läuft in der Regel über den Arbeitgeber. Bei Canan bestand er aus zwei Teilen: Er durchlief eine Onlinebewerbung mit einstündigem Test und im zweiten Schritt ein eintägiges Assessmentcenter bei Siemens. Er konnte überzeugen – und wurde genommen.

Das typische Studierendenleben kennt der angehende Industriekaufmann nicht, Semesterferien hat er keine. Dafür jedoch 30 Urlaubstage in den Praxisphasen. Theorie und praktisches Lernen wechseln sich ab: Acht Wochen lang geht er in die Hochschule, dann folgen Klausuren und Hausarbeiten. Anschließend stehen mehrere Wochen Berufsschule an und die Praxisphase im Unternehmen. „Die Inhalte sind abgestimmt mit den Themen aus Uni und Berufsschule“, sagt der 20-Jährige. Das helfe, die Kenntnisse unmittelbar im Beruf zu festigen.

Je nachdem, ob er arbeitet oder studiert, sieht Canans Alltag unterschiedlich aus. In den Uniphasen verbringt er den Tag in der Hochschule und arbeitet dann abends die Lehrveranstaltungen vor und nach. In den drei Monaten werde der Stoff eines regulären Unisemesters behandelt. „Du hast jeden Tag zu tun“, sagt er. Das straffe Pensum motiviert ihn: „Die Abwechslung aus Theorie und Praxis sorgt dafür, dass du dich permanent weiterentwickelst und Neues lernst“.

„Ich wollte etwas machen, womit ich Geld verdienen kann“

Nach dreieinhalb Jahren Studium kann Canan bei Siemens übernommen werden. Er schließt dann mit einem Bachelor of Arts und der Ausbildung zum Industriekaufmann ab. Doch der doppelte Abschluss ist nicht der einzige Pluspunkt: Im Gegensatz zum klassichen Studenten erhält er von Anfang an eine monatliche Ausbildungsvergütung – auch während der Uniphasen.

Julian Radu (Name geändert) entschied sich nach dem Abitur ebenfalls für ein duales Studium bei einer deutschen Großbank. Seine Motivation war klar: „Ich wollte etwas machen, womit ich Geld verdienen kann“, sagt der 21-Jährige. Sein Vater arbeite in einer Bank, deshalb habe er sich dort beworben.

Ähnlich wie Hamit Canan besteht Radu einen Online-Test und später das Assessmentcenter. Trotz der kurzfristigen Bewerbung bekommt er den Platz: BWL-Bachelor mit Schwerpunkt Bankwesen. Den Alltag empfindet er von Anfang an als stressig. „Die Uni ist sehr anspruchsvoll“, sagt er. Die Hausarbeiten müssen in der Praxisphase gemacht werden. Wer eine Prüfung nicht besteht, muss im nächsten Semester nachschreiben, kann den Kurs aber nicht erneut besuchen. Vorlesungen bis 20 Uhr sind nicht unüblich, die Anwesenheit ist Pflicht.

Die Mehrzahl der Absolventen bleibt im Ausbildungsbetrieb

Irgendwann wird Radu der Druck zu hoch: „Ich habe mich nach acht Stunden Uni nicht nochmal hingesetzt und drei Stunden nachbereitet, das hat mir das Genick gebrochen“. Er besteht nicht alle Prüfungen. Hinzu kommt, dass er das Studium nicht verlängern darf. „Es war für mich ein Problem“, sagt er. Nach vier Semestern bricht er ab und wechselt in die Ausbildung. Heute sagt er: „Man sollte ein duales Studium nur dann anfangen, wenn man sich zu 100 Prozent über die Branche sicher ist“. Schließlich ziele es darauf ab, künftig in genau dem Bereich eingesetzt zu werden.

Die Erkenntnisse der Studie „Duales Studium – und dann?“ der Hans-Böckler-Stiftung vom Januar 2019 bestätigen: Die Mehrzahl der dual Studierenden plane, nach erfolgreichem Studienabschluss in ihrem Ausbildungsbetrieb zu bleiben. Die gut qualifizierten Absolventinnen und Absolventen werden aber auch teilweise gezielt abgeworben. Besonders für Kinder von Nichtakademikern sei die Jobsicherheit nach dem Abschluss ein wichtiges Argument, heißt es in der Studie. Die Abbruchsquoten im dualen Studium sind gering und liegen bei sieben Prozent.

Julian Radu ist mit seiner Entscheidung trotz allem zufrieden. Er will nach seiner Ausbildung studieren, in einer Bank sieht er sich nicht. Er möchte mehr als 30 Urlaubstage haben – und mehr Zeit, um sich weiterzubilden.

Hamit Canan plant, an sein duales Studium einen Master anzuhängen. Für ihn zählt nur eins: Alles geben, um bestmöglich abzuschließen.

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