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Logistik: "Ein Viertel aller Lkw fährt leer durch die Gegend"

Der Chef der Berliner Logistikberatung 4Flow Stefan Wolff spricht im Interview über die Digitalisierung seiner Branche, IT-Sicherheit und Flüchtlinge.

Herr Wolff, Studien haben ergeben, dass nur wenige Mitarbeiter in den Unternehmen etwas mit dem Stichwort Logistik 4.0 anfangen können. Das Thema ist Schwerpunkt beim Deutschen Logistikkongress, der heute in Berlin beginnt. Was versteht Ihre Branche darunter?

Grundsätzlich geht es um die Vernetzung verschiedener Maschinen und Materialien in der Wirtschaft. Sie generieren mithilfe von Sensoren Daten, die die Industrie nutzen kann, um die Produktion effizienter zu machen. Wenn man das einen Schritt weiterdenkt, kommt man bei der Logistik 4.0 an: Mit den Daten lassen sich ganze Logistikketten und Transportwege auch über Kontinente hinweg viel besser miteinander vernetzen und Prozesse optimieren.

Können Sie das anhand eines Beispiels erklären?
Nehmen wir das Auto, das Ihnen meldet, dass die Bremsscheiben ausgetauscht werden müssen und der Wagen in die Werkstatt muss. Womöglich greift Ihr Auto dann auf Ihren persönlichen Kalender auf dem Smartphone zu, setzt sich autonom mit der Werkstatt in Verbindung und schlägt Ihnen einen freien Termin vor.

Industrie 4.0 ...
Ganz genau. Logistik 4.0 wäre, wenn dann auch noch die Ersatzteile für die Bremsscheibe aus dem Zentrallager für die Werkstatt automatisch bestellt werden, wenn klar ist, wann der Kunde vorbeikommt. Die Bremsscheiben liegen dann schon bereit, und die Reparatur kann sofort losgehen.

Wie sieht Logistik 4.0 im Fernverkehr aus?
Heutzutage fährt etwa ein Viertel aller Lkw komplett leer durch die Gegend. Im Durchschnitt liegt die Lkw-Auslastung in Deutschland zwischen 50 und 70 Prozent. Dabei könnten wir heute schon mithilfe der derzeit verfügbaren Software-Sensoren und Daten auf eine Auslastung von 80 Prozent kommen, mit Sensoren und noch mehr Datentechnik auf bis zu 95 Prozent. Damit wären erheblich weniger Lastwagen auf der Straße.

Welche Konsequenzen hätte das für die Wirtschaft und Gesellschaft?
Die Unternehmen können durch bessere Vernetzung eindeutig Kosten einsparen. Aber auch für das Verkehrsaufkommen, ein Drittel kommt ja immerhin aus dem Güterverkehr, das für die Wirtschaft ja erheblich ist, hätte Logistik 4.0 eindeutig positive Effekte.

Der Umgang mit riesigen Datenmengen beschäftigt nicht nur Ihre Branche. Wie geht der Wirtschaftszweig mit dem Thema Datensicherheit um?
Es ist eine der ganz großen Herausforderungen der Zukunft. Auf der einen Seite sehen wir, dass sich wegen Big Data bei den Unternehmen die Geschäftsmodelle verändern. Was früher mit Papier oder Nachdenken erledigt wurde, geschieht heute mit Systemen, die unzählige Daten verarbeiten. Ich muss ehrlich zugeben: Viele Fragen sind noch nicht gelöst.

Welche?
Ich denke da zum Beispiel an das Thema IT-Sicherheit. Auf der Welt gibt es sehr unterschiedliche Sicherheitsstandards – in Deutschland sind wir schon ziemlich gut, in anderen Ländern sind sie dagegen unterentwickelt. Aber auch bei den Kapazitäten der digitalen Infrastruktur stoßen wir an unsere Grenzen. Wenn jedes Gerät Daten sammelt und sendet, dann explodieren die Datenmengen. Das können unsere heutigen Systeme noch nicht leisten. Es gibt einen großen Bedarf an digitaler Infrastruktur, der bisher noch nicht da ist.

Forschen Sie selber auch in diesem Bereich?
Ja. Wir haben eine eigene Abteilung, die sich unter anderem mit Risikomanagement beschäftigt.

Worum geht es dabei?
Je mehr Daten wir nutzen und je abhängiger wir von ihnen sind, desto höher ist das Risiko, dass Informationsströme plötzlich abbrechen oder Dritte Daten missbrauchen. Wir erforschen zusammen mit der TU Berlin, wie Unternehmen bestimmten Risiken begegnen können.

Im Zuge der Flüchtlingskrise machen viele europäische Länder ihre Grenzen dicht. Wie wirkt sich das auf Ihre Branche aus?
Unser Wirtschaftszweig ist stark effizienzgetrieben. Wir wollen Aufträge am liebsten schnell und kostengünstig erledigen. Jegliche Form der Regulierung steht diesem Anspruch entgegen. Die Flüchtlingskrise betrifft uns an vielen Stellen. Wenn irgendwo Grenzen dichtgemacht werden und unsere Transporte nicht mehr durchkommen, müssen wir flexibel reagieren. Wenn wir Logistikketten für unsere Kunden entwickeln, erarbeiten wir immer Notfallpläne für alle möglichen Ereignisse.

Welche Szenarien gehören dazu?
Die Sperrung eines Straßentunnels oder eines Hafens kann ebenso dazugehören wie die Sperrung einer Grenze. Wir leiten dann unsere Warenströme möglichst schnell um. Im besten Fall bekommt der Kunde gar nichts davon mit. Aber auch die Speditionen sind von den zunehmenden Flüchtlingsströmen betroffen. Manche Flüchtlinge nutzen Container, Lastwagen oder Eisenbahnen, um in bestimmte Länder einzureisen. Die Branche denkt deswegen zum Beispiel über bessere Kontrollmechanismen auf Containern und Lkw nach. Wir wollen ja nicht, dass jemand zu Schaden kommt.

Stefan Wolff (50) ist Gründer und Vorstandsvorsitzender der Berliner Logistikberatung 4Flow. Er ist ehrenamtliches Vorstandsmitglied der Bundesvereinigung Logistik (BVL).

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