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Wer soll das bedienen? Viele Unternehmen brauchen nicht nur zur Steuerung komplizierter Maschinen (hier der Leitstand eines Elektrizitätswerks) speziell ausgebildete Facharbeiter. Von denen aber gibt es zunehmend weniger, weil die Bevölkerung schrumpft.

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Fehlende Spezialisten: "Fachkräftemangel gibt es seit den Zeiten der Pest"

In der Wirtschaft fehlen Spezialisten. Schuld sind der Geburtenrückgang und mangelnde Ausbildung.

Wann das angefangen hat? Da muss Karl Brenke eine Weile nachdenken. „Wenn man so will, gibt es das Phänomen Fachkräftemangel eigentlich schon seit den Zeiten der Pest“, sagt er schließlich. „Als die wütete, fehlten etliche Bauern.“

Karl Brenke ist Arbeitsmarktexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Ob die Seuche im Mittelalter wirklich der erste Fall von Fachkräftemangel war, kann natürlich niemand beweisen. Die Anekdote zeigt aber: Das Problem gibt es nicht erst seit gestern. Allerdings nimmt es stetig zu.

So hat der Autobauer BMW gerade angekündigt, langfristig auch für die deutschen Standorte Spezialisten aus dem Ausland anwerben zu wollen. Der Grund: Hierzulande könnten bald Fachkräfte fehlen, zum Beispiel in den Bereichen Leichtbau, Elektronik oder Antriebstechnik.

Unter Fachkräften werden alle Menschen verstanden, die über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen. Laut einer im April veröffentlichten Studie des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) fehlten in ihrer Branche in diesem März fast 30 000 Fachkräfte – der Großteil davon in Süddeutschland. Dadurch seien der Bundesrepublik rund drei Milliarden Euro an Wertschöpfung entgangen. Zeitgleich erklärte die Berliner Handwerkskammer, dass im vergangenen Jahr mehr als 300 betriebliche Ausbildungsplätze nicht besetzt werden konnten, weil die Betriebe keine geeigneten Jugendlichen gefunden hätten. Das Problem wird sich nach Ansicht der Handwerkskammer noch verschärfen. Weil es immer weniger Schulabgänger gibt, sieht sie einen Fachkräftemangel voraus.

Die Ursache dafür ist die schlichte Tatsache, dass in Deutschland immer weniger Kinder geboren werden. Die Bevölkerung schrumpft, deshalb gibt es zwangsläufig weniger Arbeitskräfte. Die VDI-Studie rechnet vor, dass heute auf 347 000 Ingenieure im Alter von 56 bis 65 Jahren nur 343 000 Ingenieure im Alter von bis zu 35 Jahren kommen.

Wie stark der Fachkräftemangel aber genau wird, wann er sich bedrohlich auswächst – und in welchen Branchen – mit diesen Fragen tut man sich beim IAB, dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit, ein wenig schwer. „Mit Sicherheit lässt sich das gar nicht vorhersagen“, heißt es von den Forschern,

Fest stehe aber, dass die Branchen Chemie, Kunststoff, Glas, Bau und Baustoffindustrie besonders betroffen sind. Darüber hinaus sei das Problem im Süden Deutschlands größer als im Norden und der Westen sei stärker betroffen als der Osten. Warum das so ist, erklärt ein anschauliches Bild des DIW-Experten Brenke. „Die langfristige Entwicklung des Fachkräftemangels kann man sich als Spirale vorstellen, die um eine aufsteigende Gerade kreist“, sagt er. „So ähnlich wie eine Schlange, die sich um einen Äskulapstab windet.“

Ob der Fachkräftebedarf über oder unter der Geraden liegt, das entscheidet die Wirtschaftskraft. In Boomzeiten oder in Regionen, in denen Firmen viele Aufträge haben und deshalb mehr Personal benötigen, ist der Bedarf an Fachkräften größer. In wirtschaftlich schlechten Zeiten oder mäßig entwickelten Gebieten ist er folglich geringer. Das erklärt die regionalen Unterschiede und warum sich das Problem des Fachkräftemangels durch die Krise etwas entschärft hat. Das heißt aber auch: Von Entwarnung kann kaum gesprochen werden. Sobald die Wirtschaft wieder anzieht, wonach es derzeit aussieht, nimmt auch der Fachkräftemangel wieder zu.

Dass die Millionen Arbeitslosen, die keine Stelle finden, diese Spezialisten ersetzen könnten, dieser Gedanke geht nicht auf. Handelt es sich bei der Mehrzahl doch um das Gegenteil von Fachkräften – also um schlecht, wenig oder gar nicht ausgebildete Menschen.

Über die Qualität der Ausbildung beschwert sich auch Ortwin Wohltat, Chef des Verbandes der Berliner und Brandenburger Softwareunternehmen SIBB. Unternehmern wie ihm fehlen nicht nur Fachkräfte, sondern auch die Möglichkeit solche selbst auszubilden, sagt er. „Die potenziellen Azubis haben einfach nicht mehr die gewohnte Qualität.“ Die Ursache sieht er in der Qualität der Schulen. „Überall fehlen Lehrer“, sagt er. „In Berlin gibt es zum Teil Schulen an denen kein Informatikunterricht stattfindet.“ Das verbaue allen potenziellen IT-Technologen den Weg.

Eine Verbesserung der Ausbildung in Deutschland halten auch die Arbeitsmarktexperten für möglich. „Warum zum Beispiel“, fragt Brenke, „ist es nötig, junge Leute drei Jahre in eine Erstausbildung zu stecken und dann kommt nichts mehr?“ Er schlägt eine kürze Grundausbildung und dann lebenslanges Lernen vor.

Andere Experten empfehlen die stärkere Einbindung von älteren, erfahrenen Kräften und fordern eine spezielle Förderung von Frauen. Gerade in technischen Berufen seien sie deutlich unterrepräsentiert. Wieder andere wollen die Unternehmer selbst stärker in die Verantwortung nehmen und zum Ausbilden anhalten, oder die Berufsberatung verbessern.

Ansonsten bleibt nur noch die Möglichkeit, den Fachkräftemangel über den Zuzug von Arbeitern aus dem Ausland auszugleichen. Die Greencard war vor einigen Jahren so ein Versuch, der aber wenig gebracht hat. „Theoretisch aber könnten wir das Problem abmildern, in dem wir den Zuzug erleichtern“, sagt Karl Brenke. Allerdings sagt er auch, dass das dann strenggenommen nur eine Verlagerung des Problems ist, keine Lösung. „Da fast alle benachbarten Industriestaaten mit einer schrumpfenden Bevölkerung kämpfen, fehlen die Kräfte, die zu uns kommen, dann woanders.“

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