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Wirtschaft: Freie Unternehmer werden wieder hochgehalten

PEKING .Die knapp 3000 Delegierten in Chinas Volkskongreß taten sich schwer mit der Entscheidung.

PEKING .Die knapp 3000 Delegierten in Chinas Volkskongreß taten sich schwer mit der Entscheidung.Freie Unternehmer sollen den sozialistischen Staatsfirmen praktisch gleichgestellt werden, so der Beschluß der Versammlung."Der alte Mao dreht sich im Grabe um, wenn er das hört", kommentierte eine lokale Zeitung.Und so mancher Delegierte in Chinas Hauptstadt hatte zumindest Gewissensbisse.

Doch die Zeit drängt.Chinas Konjunktur stottert, die Wachstumsraten lassen nach.Die maroden Staatsfirmen sollen auf Vordermann gebracht werden.Entlassungen sind die Folge.Sieben Millionen Menschen haben im vergangenen Jahr ihren Arbeitsplatz verloren.Private Unternehmen saugen vom Arbeitsmarkt immer mehr vom menschlichen Strandgut des Sozialismus auf.Derzeit gibt es über 22 Mill.kleine Privatfirmen in China.

Jeder Prozentpunkt weniger Wachstum, sagte Chinas Finanzminister Xiang Huaicheng jüngst, kostet bis zu einer Mill.Arbeitsplätze.Also, weg mit der ideologischen Scheu vor den Privatunternehmen und her mit den neuen Arbeitsplätzen.So die unausgesprochene Logik der Verfassungsänderung, die beschlossen wurde.Tausende von lange Zeit geächteten und dann widerwillig geduldeten Kapitalisten im Reich der Mitte erwarten von der Verfassungsänderung nicht viel und sind trotz alledem erleichtert.In den Zeitungen des Landes werden Lebensläufe geplagter, erfolgreicher, phasenweise inhaftierter und später wieder zu Volkshelden erklärter Unternehmer veröffentlicht.

Zwei davon sind besonders interessant und zeigen die Höhen und Tiefen freier Unternehmer im letzten großen sozialistischen Land auf dem Globus.Zum Beispiel Nian Guangjiu.Nian wurde 1937 als Sohn eines armen Bauern in der Provinz Anhui geboren.Mit seinem Vater verkaufte er auf den Straßen der Heimatstadt Wuhu in den 60er Jahren Lutscher, Obst und Früchte.Als den Behörden die steigenden Umsätze suspekt wurden, landete Nian hinter Gittern.Er hatte sich der "Spekulation" und des "Handels" schuldig gemacht.Die Kulturrevolution duldete keine Gewinne ohne Schweiß und schwere Arbeit.Doch 1976, der Spuk war kaum vorbei, da wollte Nian es wieder wissen.In kurzer Zeit baute er eine kleine Firma auf, die Gua Zi verkaufte, jene bei Chinesen so beliebten, gerösteten Melonenkerne.Doch Nian wurde den staatlichen Konkurrenten zu gefährlich.Sein Marktanteil wuchs unaufhörlich.Und bald war er einer der ersten Millionäre des riesigen Landes.

Nian wurde mit Strafen übersät.Die Behörden versuchten, ihn einzuschüchtern.Doch aus einem Betrieb mit drei Beschäftigten baute er ein Unternehmen mit 103 Mitarbeitern auf.Die jährliche Produktion von Melonenkernen stieg in Wuhu von 500 Tonnen auf 15 000 Tonnen.Und dann kam der Alptraum von 1989.Nach dem Blutbad am Tinanmen-Platz in Peking wurde Nian verhaftet, der Korruption sowie des Mißbrauchs öffentlicher Fonds angeklagt, sein Geschäft geschlossen, sein Besitz beschlagnahmt.

Fast zwei Jahre lang wurde er ohne Gerichtsverfahren festgehalten, dann, im Mai 1991, als "Hooligan" zu drei Jahren Haft verurteilt.Als das politische Klima sich besserte, wurde er 1992 freigelassen.Doch erst nachdem der Kongreß der Kommunistischen Partei im September 1997 private Unternehmen zur "Ergänzung" der sozialistischen Wirtschaft aufgewertet hatte, konnte Nian seine dritte Karriere starten.Schnell baute er über ganz China verteilt 96 Geschäfte auf.Am nationalen Feiertag, dem 1.Oktober 1998, war er Staatsgast der Regierung und wurde in Peking als einer von 96 "Helden der Reform" gefeiert."Die Partei hat uns endlich Schutz gegeben", sagt er heute.

Noch drastischer klingt der kapitalistische Werdegang von Mou Qizhong.Mit 57 Jahren führt er das Handelsunternehmen Land Economic Group.Seinem Vater, einem Banker, machten die Kommunisten nach der Ausrufung der Volksrepublik 1949 das Leben schwer.Er wurde eines von schätzungsweise 30 Millionen Opfern der großen Hungersnot in den frühen sechziger Jahren.

Als die Kulturrevolution ausbrach, sperrten Mou die Hardliner, die er wegen der Konfiszierung seines Geschäftes kritisiert hatte, kurzerhand ein.Er wurde zum Tode verurteilt, doch freigelassen, als der politische Wind sich Ende der siebziger Jahre drehte.Zurück in seiner Heimatstadt Wanxian, in der Provinz Sichuan, eröffnete Mou ein kleines Geschäft, aus dem die Land Economic Group hervorging.

Die Prallelen zur Geschichte von Nian sind erstaunlich.Auch Mou wurde 1983 der "Spekulation" beschuldigt und eingesperrt, aber ein Jahr darauf ohne Prozeß wieder freigelassen.Die staatlich gelenkten Medien feierten ihn 1989 gar als einfallsreichen Kopf, weil er in einem spektakulären Deal 500 Container voller Socken und Schuhe aus überschüssiger Produktion gegen vier russische Tupolew-Flugzeuge tauschte.Nach einer Meldung der Associated Press soll Mou derzeit wieder inhaftiert sein.Über seinen Verbleib ist nichts bekannt.(HB)

MARKUS GÄRTNER

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