zum Hauptinhalt
Fliegen gilt inzwischen als verpönt. Von Flugscham ist die Rede.

© imago images / Arnulf Hettrich

Grünen-Vordenker Ralf Fücks: „Für die meisten Flüge gibt es keine Alternative“

Die Zahl der Flugreisen zu reduzieren, hält Ralf Fücks für unrealistisch. Deshalb muss Fliegen teurer werden, meint der Chef des Zentrums Liberale Moderne.

Herr Fücks, Sie haben sich „schuldig bekannt“ manchmal ins Flugzeug zu steigen. Ist Fliegen ein Verbrechen?

Fliegen ist ein uralter Traum der Menschheit. Wir fliegen, aber angesichts des Klimawandels haben wir kein gutes Gewissen dabei. Natürlich ist nicht jeder Flug notwendig, etwa der berühmte Wochenendausflug nach Mallorca. Aber das sind Ausnahmen. Für die meisten Flüge gibt es schlicht keine realistischen Alternativen.

Das sehen die Flugscham-Aktivisten aber anders.

Fliegen ist tief in der modernen, globalisierten Welt verankert. In der Wirtschaft sowieso, aber auch Wissenschaft, Kultur und Sport sind ohne Fliegen undenkbar. Das gilt auch für die Zivilgesellschaft, die sich auf internationalen Konferenzen trifft. Auch die Klimaschützer müssen zu ihren Gipfeln irgendwie hinkommen. Der Appell, gar nicht mehr zu fliegen, geht an der Realität vorbei. Da sollten wir uns ehrlich machen.

Auf das Fliegen zu verzichten ist also nicht nur eine Frage des guten Willens?

Ganz recht. Wir bewegen uns in einer Gemengelage von Zielkonflikten und Widersprüchen der modernen Gesellschaft. Wer etwa für eine liberale Einwanderungspolitik ist, kann schlecht gegen das Fliegen sein. Ein wachsender Teil aller Flüge ist migrationsbedingt: Die Leute besuchen ihre Familien. Und dass sich heute auch Arbeiter und Angestellte einen Urlaubsflug leisten können, ist erstmal ein Fortschritt.

Airlines sind die neuen Kohlekonzerne, heißt es jetzt oft. Ist die Häme nicht berechtigt angesichts des hohen CO2-Ausstoßes für eine einzelne Reise?

Das Flugzeug ist mitnichten der Klimakiller Nummer eins, sondern erzeugt zwei bis drei Prozent der globalen Emissionen. Das Ausmaß der Kritik korreliert nicht mit der realen Bedeutung. Niemand fordert, das Smartphone abzuschaffen, obwohl der Energiebedarf für das Internet schon heute deutlich höher liegt.

Mit schlechtem Gewissen weiter zu fliegen, bringt uns aber auch nicht weiter.

Selbst wenn alle Deutschen mit Flugscham zuhause bleiben, steigt der globale Luftverkehrs weiter rasant an – mit Wachstumsraten von etwa vier Prozent im Jahr. Diese Steigerungsraten sehen wir vor allem in den Schwellenländern, insbesondere in Asien. Deshalb muss es vor allem darum gehen, das Flugzeug in die klimaneutrale Zukunft mitzunehmen. Wir müssen über alternative Technologien reden, nicht über schlechtes Gewissen.

Ralf Fücks ist Mitglied bei den Grünen und Geschäftsführender Gesellschafter des Zentrums Liberale Moderne.
Ralf Fücks ist Mitglied bei den Grünen und Geschäftsführender Gesellschafter des Zentrums Liberale Moderne.

© promo

Elektroflugzeuge sind eine kühne Vision, mehr aber auch nicht im Moment.

Ob die je kommen, ist aus physikalischen Gründen zweifelhaft. Aber klimafreundliches Fliegen ist dennoch keine Fata Morgana. Biokerosin aus Algen, synthetische Kraftstoffe aus überschüssigem grünem Strom, all das ist technisch machbar. Wir müssen damit jetzt im industriellen Maßstab anfangen, weil die Erneuerung der Luftflotte einen langen Vorlauf braucht.

Die Politik diskutiert gerade lieber über eine Kerosinsteuer. Ist das Symbolpolitik?

Fliegen sollte teurer werden. Wir können die Kosten des Klimawandels nicht länger ausblenden. Die CO2-Bepreisung ist der richtige Weg. Nur verheddern wir uns, wenn wir vorrangig auf nationale Lösungen setzen. Die deutsche Luftverkehrssteuer bringt mehr als eine Milliarde an Einnahmen, hat aber kaum eine Lenkungswirkung. Es muss größer gedacht werden, mindestens europäisch, besser noch weltweit.

Bringt uns der Flugscham-Streit weiter, weil er uns das Problem ins Bewusstsein ruft? Oder vergiftet er eher die gesellschaftliche Debatte?

Menschen für ihre ökologische Verantwortung zu sensibilisieren ist gut und richtig. Aber die Blockwart-Aktivisten, die privates Verhalten skandalisieren, tun ihrer Sache einen Bärendienst. Sie vergiften das gesellschaftliche Klima und verhindern damit die Allianzen, die wir für den Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft brauchen. Für den Klimaschutz ist damit nichts gewonnen, im Gegenteil.

Welche Rolle spielen Bewegungen wie „Fridays for Future“?

Die neue Klima-APO erhöht den Handlungsdruck auf die Politik. Auch Union und FDP verstehen jetzt, dass sie aus ihrer bloßen Abwehrhaltung herauskommen müssen. Das ist ein Fortschritt.

Die Kritiker sehen den Flugverkehr auch als Symptom für unsere Wachstumsabhängigkeit. Mehr, mehr, mehr von allem – auf Kosten des Planeten.

Die Weltwirtschaft wird weiter wachsen, ob es uns gefällt oder nicht. Deshalb müssen wir Wohlstand abkoppeln vom Naturverbrauch. Klimaneutralität erfordert nichts weniger als eine grüne industrielle Revolution, einschließlich Energieerzeugung, Verkehr, Städtebau, Landwirtschaft. Das ist ein hoch komplexes Unterfangen. Slogans wie Flugscham reduzieren aber diese Komplexität, weil sie das Problem privatisieren, obwohl es eigentlich um Strukturen geht.

Ist nicht das Wachstumsdogma selbst der Kern des Problems?

Die globale Wirtschaftsleistung wird sich in den kommenden 20 Jahren in etwa verdoppeln. Nicht wegen eines fiktiven Dogmas, sondern aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung und des Aufstiegs von Milliarden Menschen aus bitterer Armut in die Mittelschicht. Das ist die Realität, mit der wir uns konfrontieren müssen.

Und nun?

Die aufsteigenden Länder des Südens werden auf umweltverträgliches Wachstum umschalten, sobald sie dafür technologische Alternativen sehen. Man sieht das heute schon beim rapiden Wachstum erneuerbarer Energien oder Chinas Umstieg auf Elektromobilität. Hier liegt unsere Verantwortung: Wir müssen zeigen, dass man Wohlstand, Klimaschutz und soziale Sicherheit unter einen Hut bekommen kann.

Felix Wadewitz

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false