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Wirtschaft: Geb. 1936

Maki Ishii

Maki Ishii

Jedes Leben hat seine Melodie. Maki Ishii hat lange gebraucht, um seine zu finden. Dabei war er Komponist. Lange hat er sich gemüht, Noten wie Perlen auf eine Schnur zu reihen, dass am Ende glänzende Schmuckstücke entstanden. Als er die Technik endlich beherrschte, stellte er fest, dass es Schmuckstücke waren, die auch andere hätten schaffen können. Was Maki Ishii fehlte, war die eine besondere Perle. Die Perle, die aus dem Schmuckstück ein Unikat macht. Wo er die Perle suchen sollte, das hat Maki Ishii lange Zeit nicht gewusst.

Vielleicht war die Suche so schwierig, weil Ishii mit der falschen Melodie groß geworden war, der Melodie der westlichen Welt, die sie Anfang des 20. Jahrhunderts im Haus seines Vaters hörten. „Pionier des Modernen Tanzes“ haben sie den Vater in Tokio genannt. Modern bedeutete europäisch, und so ließ er sein Ballett zu Chopin, Debussy oder Strawinsky tanzen. Melodien, die aufregend neu klangen – ganz fern der japanischen Musiktradition. Das erste Stück, dass Maki Ishii mit 15 bei einer Schulfeier dirigierte, war Mozarts „Kleine Nachtmusik“.

Mit 22 ging Maki Ishii nach Berlin, um an der Hochschule für Musik zu studieren. Er lernte bei Boris Blacher und bei Josef Rufers, den großen deutschen Komponisten der fünfziger und sechziger Jahre. Er lernte die Technik der deutschen Musik, ihre Harmonien und Noten. Er war ein fleißiger und guter Schüler, seine Kompositionen wurden in Berlin, Darmstadt und im holländischen Bilthoven aufgeführt. Ishii beherrschte die Kompositionstechnik perfekt, und doch schrieben die Kritiker, seine Stücke seien nur „blinde Nachahmungen“. „Du musst deine eigene Ausdrucksform finden“, sagte ihm auch sein Lehrer Rufers nach einem Konzertabend.

In der Nacht danach fühlte Ishii sie zum ersten Mal: seine Melodie. Er spürte sie in seinem Innern, so wie man seinen Herzschlag spürt, wenn man die Hand auf die Brust legt. Es war der Klang aus einer Welt, die er längst vergessen hatte – der Klang der Trommeln und Mundorgeln aus dem japanischen Kaiserpalast. Als kleiner Junge war er einmal mit seinem Vater dort gewesen. Jetzt, fast 20 Jahre später, war der dumpfe Ton der Trommeln wieder da und Ishii ahnte, dass er die eine, die besondere Perle in Deutschland nicht finden würde.

Er ging zurück nach Japan. Aus Berlin nahm er zwei Dinge mit: das Wissen, um die Technik des Komponierens und die Liebe. Bei einem Gitarrenkonzert hatte er eine Japanologie-Studentin kennen gelernt. In Tokio haben sie geheiratet. Die Melodie, die er in der Nacht kurz vor seiner Abreise gehört hatte, trug Ishii in sich. Aber er konnte sie auch in Japan nicht in Noten fassen, sie blieb nur ein Gefühl. Er versuchte sich in den verschiedensten Musikrichtungen: elektronische Musik, serielle Musik und Gruppenmusik. Doch die Perle kam darin nicht vor. Sein Geld verdiente er mit Kompositionen für Werbespots – Whisky, Waschmittel und Nescafé.

Drei Winter waren vergangen, seit Ishii nach Japan zurückgekehrt war. Als der vierte Winter kam, besuchte er zum Fest des Wasserholens einen buddhistischen Tempel. Es war der Klang der Sokai, der Holzschuhe der Mönche, auf dem Steinboden, der ihn erschaudern ließ. „Jenes Schaudern, das einen überkommt, wenn man in den Tiefen seines Seins angerührt wird“, hat er später gesagt. Das monotone Klacken der Holzschuhe erfüllte den Tempel und mischte sich mit dem Sutragesang der Mönche zu einer Melodie – zu Ishiis Melodie. Hier, in der kalten Tempelhalle, hörte er, was so lange schon in ihm geklungen hatte: die Stimme seiner Heimat, die traditionelle japanische Musik. Das war sie, die Perle, die ihm gefehlt hatte. Der Tempelbesuch war der Anfang einer langen Reise, so hat Ishii seine Karriere als Komponist und Dirigent bezeichnet. Die Musik, die er schuf, war wie sein Leben: das Beste aus zwei Welten, der fernöstlichen und der westlichen.

So wie Maki Ishii gelebt hat, ist er auch beerdigt worden. Ein Teil seiner Asche ist in Japan begraben worden, der andere auf dem Waldfriedhof in Lankwitz.

Dagmar Rosenfeld

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