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Wirtschaft: Gerd Warner

(Geb. 1923)||Nur einmal geriet er in Streit mit seiner Kirche. Es ging um die Modellbahn.

Stand:

Nur einmal geriet er in Streit mit seiner Kirche. Es ging um die Modellbahn. Doch, er hatte viel erreicht. Nach einer steilen Karriere beim Finanzamt Friedenau hatte er sich als Steuerberater niedergelassen und es zu einem der gefragtesten Männer seines Fachs gebracht. Er besaß mehrere Immobilien, eine Ferienwohnung in Südfrankreich, ein Segelschiff und eine Modellbahn, so groß, dass er dafür eine eigene Wohnung anmieten musste.

Gerd Warner aber war Jesuitenschüler, und als solcher wusste er, was wahre Größe ist. Wahre Größe besaßen in seinen Augen allein die Geistlichen.

Gerne dachte er an seine Jugendjahre im jesuitisch geführten „Gymnasium am Lietzensee“ zurück, so glücklich waren die Ruderstunden im Sommer, so charakterstark seine Lehrer.

Pater Heinrich Klein zum Beispiel, der in der Turnhalle ein Requiem für einen jugendlichen Selbstmörder gab, weil der örtliche Pfarrer sich geweigert hatte, den Jungen zu bestatten.

Oder Bischof Preysing, der die Kirche zum Widerstand gegen die Nazis aufrief.

Das waren Männer mit Mut im Herzen und einer klaren Geisteshaltung! Ganz anders verhielt es sich mit seinem Vater. Ein Herumtreiber sei der gewesen, erzählte er manchmal. Ein Lotterleben geführt habe der.

Ja, er wäre wohl selbst ein Pfarrer geworden, hörte man Gerd Warner ab und an seufzen, wäre da nicht dieses Zölibat.

Trotz seiner vorgebeugten Haltung, die von einer Kriegsverletzung herrührte, gaben die Frauen viel auf ein Tänzchen mit ihm. Er wusste im richtigen Rhythmus Füße und Komplimente zu setzen und dabei sanft, doch unerbittlich zu führen.

Es war die Not der Nachkriegsjahre, die ihn trotz seines exzellenten Abiturs in die Ausbildung beim Finanzamt trieb. Nicht, dass ihm diese Arbeit keinen Spaß machte. Aber dass er sich damit sowohl um geistliche, als auch um akademische Würden gebracht hatte, hat Gerd Warner sich nie ganz verziehen. Wenigstens ein Ingenieurs-Diplom hätte drin sein müssen, immerhin hatte er sich in den Maschinenräumen der Kriegsmarine sehr geschickt angestellt.

Doch Gerd Warner war kein kleinmütiger Mensch. Aus verschiedenen Gründen gehindert, selbst zu dem aufzusteigen, was er unter wahrer Größe verstand, stellte er sich eben in den Dienst derselben. Seine begeisterungsfähige und bewundernde Art brachte ihm die Zuneigung vieler Männer von Rang und Namen ein. Wer kannte den Bürgermeister von Marseille? Wer Rainer Barzel? Na bitte. Aber er kannte sie nicht nur, er wusste sie auch geschickt zu umwerben, so dass sie sich für seine Sache engagierten. Seine Sache, das war noch immer sein altes Gymnasium, das als „Canisius-Kolleg“ wiedereröffnet worden war, nachdem die Nazis es 1936 geschlossen hatten. Er beriet die Schule in finanziellen Fragen, verschaffte ihr Freunde und Förderer, war Präsident des Ehemaligen-Verbandes, und, das war ihm seine liebste Aufgabe, er veranstaltete den großen Abschiedsball. Mehr als tausend Gäste folgten alljährlich seiner Einladung. Ein Eröffnungswalzer mit seiner Gattin und danach mit allen anderen!

So sehr Gerd Warner seine alten Lehrer liebte, so blieb er auch Sohn ihrer Kirche. Er ging jeden Sonntag in den Gottesdienst und pilgerte in Zeiten familiärer Sorgen zur Gottesmutter nach Lourdes. Manchmal bat er den Schuldirektor um Zusammenkünfte, in denen es nicht um das Kolleg gehen sollte. Dann bat er den Pater ehrfürchtig um seinen Segen.

Einmal nur hat es Streit gegeben zwischen ihm und der Kirche. Das war, als ein neuer Pfarrer die Wohnung in der Heilig-Geist-Gemeinde nicht länger an Gerd Warners Modellbahn vermieten wollte. Grummelnd verlegte er seine Gleise in den gottlosen Wedding.

Seinen achtzigsten Geburtstag feierte Gerd Warner in weiser Voraussicht an seinem neunundsiebzigsten. Auf einem Spreedampfer. Wenige Monate später hörte sein Herz auf zu schlagen.

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