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Gründertage. Die Absolventen der TU-Berlin Reiner Lemoine (l.), Matthias Wrona (hinten) und Hans Rattunde Ende der 70er Jahre in Kreuzberg mit ihrem Oszilloskop.

© privat/Katja Gartz

Geschichte der Solarwirtschaft: Vor 33 Jahren gründeten Kreuzberger Atomkraftgegner das "Ingenieurkollektiv Wuseltronik"

Ende der 70er beschlossen die TU-Absolventen Reiner Lemoine, Matthias Wrona und Hans Rattunde, dass sie nicht nur gegen Atomkraft sein wollen

Berlin ist die heimliche Hauptstadt der deutschen Solarindustrie. Die größten Modulproduzenten sitzen zwar in der Provinz. In Berlin ist die Branche dafür besonders breit aufgestellt. Produzenten wie Solon,

Inventux oder Sulfurcell existieren neben renommieren Forschungsinstituten. Die Entwicklung begann vor mehr als 30 Jahren:

Ende der 70er beschlossen die TU-Absolventen Reiner Lemoine, Matthias Wrona und Hans Rattunde, dass sie nicht nur gegen Atomkraft sein wollen. Sie wollten Alternativen auf den Weg bringen. Sie fingen im Wohnzimmer an zu basteln und gründeten 1978 das Ingenieurkollektiv Wuseltronik

in Kreuzberg, das mit wechselnder Belegschaft im Mehringhof sesshaft wurde. Wuseltronik ist die Abkürzung für Wind- und Sonnenelektronik. Die Ingenieure entwickelten Messgeräte, die sie „Wumm“ (kurz für Wu-Messmodul) tauften oder „Wuwickel“ (Wu-Windklassierer). Mitte der 80er Jahre waren die Visionäre unter den Ersten, die sich zunehmend mit der Nutzung von

Solarenergie und Solartechnik beschäftigten. Tragbare Solarkühlgeräte und Solarwechseltrichter zur Netzeinspeisung zählen zu den frühen Produkten. „Wuseltronik war wegweisend für die heutige Solarbranche“, sagt Clemens Triebel, der ab 1985 dem Kollektiv angehörte. Als später für neue Entwicklungen die Module fehlten, gründeten sie 1996 in der Schlesischen Straße in Kreuzberg die Solon AG und produzierten Module selbst. Geld war damals nicht damit zu verdienen, nur Dank eines Förderers, den sie mit Aktien bezahlten, konnten sie weitermachen. Solon ging 1998 als das erste Unternehmen für Solartechnik in Deutschland an die Börse und beschäftigt heute rund 900 Mitarbeiter in aller Welt.

Anfangs liefen die Geschäfte mäßig, das junge Unternehmen wurde von der Industrie nicht ernst genommen. Die Lieferungen der Solarzellen, die sie für ihre Module brauchten, waren unzuverlässig.

So gründete Reiner Lemoine mit drei Partnern ein weiteres Unternehmen zur Produktion von Hochleistungssolarzellen: Q-Cells startete 1999 in Sachsen-Anhalt und ist heute einer der größten Produzenten der Welt. „Der Berliner Senat wollte von den zukunftweisenden Entwicklungen nichts wissen“, erinnert sich Triebel.

Laut Dagmar Vogt, Präsidentin des Berliner Solarnetzwerks, die seit 1998 in der Branche aktiv ist, wurden die Solarpioniere damals als unprofessionell angesehen und der „Stricksockenfraktion“ zugeordnet. „Das führte zu vielschichtigen Problemen, angefangen bei der

Finanzierung, der Beantragung von Fördermitteln bis hin zum Mitarbeiterimage“, sagt Vogt, die 2002 für das Projektmanagement von Solarkraftwerken das Unternehmen Ib Vogt in Charlottenburg gründete und heute 70 Mitarbeiter beschäftigt. Zu den Berliner Pionieren gehört zudem das Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen Solarpraxis, das 1998 von den Ingenieuren Karl-Heinz Remmers und Key Neuberg gegründet wurde sowie das 1989 von Stefan Jonas und Lutz Redmann gegründete gleichnamige Maschinenbauunternehmen, das 1999 in die Photovoltaikindustrie einstieg.

Die Mitbegründer von Solon, Paul Grunow und Stefan Krautner, riefen 2006 das Photovoltaik-Institut als Beratungs-, Prüfungs- und Forschungsunternehmen ins Leben. Zu den Produkten der ersten Stunde gehören Konzepte zur Herstellung von Solarzellen, Modulen, die Forschung zu effizienten Dünnschnitttechnologien. „Die Nähe zur Forschung war in den Anfängen wichtig und ist heute wichtiger denn je“, berichtet Vogt. Gerade in Zeiten hohen Kostendrucks seien neue Entwicklungen wichtig, um Effizienzsteigerungen zu erreichen. Wichtige Forschungseinrichtungen sind auch das Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie (HZB), das Fraunhofer Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration. Das 2008 vom HZB und der TU-Berlin gegründete Kompetenzzentrum Dünnschicht- und Nanotechnologie für Photovoltaik Berlin PvcomB verbindet Forschung und Industrie und macht die neuesten Forschungsergebnisse den Unternehmen zugänglich. Der wichtigste Berliner Standort mit mehr als 20 Solarunternehmen ist der Technologiepark Adlershof. Dort sitzt auch die Sulfurcell Solartechnik GmbH, die 2001 aus dem HZB hervorgegangen ist. Sulfurcell gehört mit 238 Mitarbeitern weltweit zu den drei führenden Herstellern von Dünnschichtsolarmodulen. Die Gründer, die Physiker Nikolaus Meyer und Ilka Luck, entwickelten eine neuartige Solarzelle mit einer dünnen Schicht aus Kupfer, Indium und Schwefel, die günstiger in der Herstellung ist als die bis dahin gängige Siliziumzelle. Auch international glaubt man an Berlins Firmen: Sulfurcell zum Beispiel erhielt in den vergangenen drei Jahren rund 100 Millionen Euro von ausländischen Wagniskapitalgebern. Katja Gartz

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