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Nachwuchs gesucht. Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder schrumpft, junge Hoffnungsträger werden knapp. Darum sollen in Zukunft auch Uni-Absolventen mit Trainee-Programmen für eine hauptberufliche Laufbahn gewonnen werden. Foto: ddp

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Wirtschaft: Ideologie und Idealismus

Guter Nachwuchs ist rar bei den Gewerkschaften. Dabei sind die Aufstiegschancen für Talente groß – bis in Aufsichtsräte der Dax-Konzerne.

Wenn Oliver Burkhard im April als Personalchef beim Stahlkonzern Thyssen-Krupp antritt, hat er sein wichtigstes Ziel erreicht: Im Vorstand des Dax-Konzerns bestimmt er die Geschicke der mehr als 150 000 Beschäftigten mit.

Burkhard wird schwierige Entscheidungen treffen müssen: Nach Korruptionsaffären und Milliardenverlusten heißt es bei Thyssen-Krupp Aufräumen und Sparen. Burkhard wird dann als Arbeitgebervertreter bei Verhandlungen mit Betriebsräten und Gewerkschaftern eine für ihn ungewohnte Rolle einnehmen müssen. Bislang ist der 41-Jährige es gewohnt, sich für bessere Bezahlung und Arbeitsplatzgarantien einzusetzen. Denn er hat sich vom einfachen Verwaltungsangestellten beim Statistischen Bundesamt zum Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen hochgearbeitet – und wechselt nun erstmals aus dem Gewerkschaftslager auf die Arbeitgeberseite.

Ein Gewerkschafter als Topmanager mit Millionengehalt: Das Mitbestimmungsgesetz von 1976 macht es möglich. In rund 700 Großunternehmen mit mehr als 2000 Mitarbeitern gilt die paritätische Mitbestimmung: Arbeitnehmervertreter besetzen dort die Hälfte der Aufsichtsratsposten. Davon dürfen Gewerkschaften zwei bis vier Plätze besetzen. Als gleichberechtigtes Vorstandsmitglied wird zudem ein Arbeitsdirektor bestellt, der das Vertrauen der Angestellten genießt und im Management für Personal- und Sozialangelegenheiten zuständig ist – wie Burkhard bei Thyssen-Krupp. In weiteren 1500 mittelgroßen Unternehmen sitzen nach Mitbestimmungsgesetz ebenfalls zu einem Drittel Arbeitnehmervertreter in den Kontrollgremien.

Solche steilen Gewerkschaftskarrieren stehen heute stärker als früher Quereinsteigern offen. Denn die meisten Gewerkschaften plagen Nachwuchssorgen: Die Zahl ihrer Mitglieder schrumpft, junge Talente werden knapp. Allein in der mit rund zwei Millionen Mitgliedern größten deutschen Gewerkschaft IG Metall werden bis 2017 fast vierzig Prozent der rund 2500 hauptamtlichen Gewerkschafter aus Altersgründen ihre Posten geräumt haben.

Die Gewerkschaften werben daher nicht mehr nur in Betrieben und unter ihren ehrenamtlichen Mitarbeitern um Nachwuchs. Sie wollen nun auch Uni-Absolventen für eine hauptberufliche Gewerkschaftskarriere gewinnen. Die Quereinsteiger sollen neuerdings mit Traineeprogrammen fit gemacht werden für den ersten Karriereschritt: die Position des Gewerkschaftssekretärs. „Damit wollen wir ganz bewusst frisches Blut in die Organisation holen“, sagt Joachim Beerhorst, bei der IG Metall für Personalentwicklung zuständig. Mit rund 3000 Euro monatlich sind die Traineestellen für Hochschulabsolventen ordentlich bezahlt, als Gewerkschaftssekretär locken dann Jahresgehälter von 60 000 bis 90 000 Euro brutto.

Ohne die passende Einstellung und eine gehörige Portion Idealismus werde es aber nichts mit der Gewerkschaftskarriere, warnt Beerhorst. „Wir sprechen mit Bewerbern sehr intensiv darüber, was die Entscheidung für eine Gewerkschaftslaufbahn bedeutet.“ Sie sei in den allermeisten Fällen eine fürs Leben. „Wer erst einmal eine Gewerkschaft als Arbeitgeber im Lebenslauf stehen hat, hat es danach in der Wirtschaft nicht leicht, einen Job zu finden“, sagt Beerhorst. Denn noch immer herrsche in den Chefetagen das Vorurteil, Gewerkschafter seien vor allem Unruhestifter. Den Nachwuchs schrecken solche Vorbehalte nicht: „Natürlich mache ich mir darüber Gedanken“, sagt Christine Keul. Sie ist seit November 2012 als Trainee bei der IG Metall. „Man sollte sich schon darüber klar sein, dass das eine politische Organisation ist, deren Überzeugungen man teilen sollte.“ Die 26-Jährige kam über eine kaufmännische Berufsausbildung und ein anschließendes Studium der Sozialökonomik als Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung zur IG Metall.

„Wer es nur auf einen sicheren Job oder eine schnelle Karriere abgesehen hat, sollte wissen: Die meisten hochrangigen Gewerkschaftspositionen sind Wahlämter“, sagt Joachim Beerhorst. Ohne persönliche Empfehlungen, Netzwerke und Seilschaften kommt in den Großgewerkschaften keiner voran.

Und auch wer vom großen Geld durch lukrative Nebeneinkünfte träumt, liegt falsch. Gewerkschaftsvertreter der zum Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) zugehörigen Gewerkschaften müssen ihre Loyalität zur Organisation in barer Münze beweisen. Für Gewerkschaftssitze in Aufsichtsräten wird nur aufgestellt, wer 90 Prozent der Vergütung – im Schnitt immerhin mehr als 300 000 Euro jährlich – an die gewerkschaftseigene Hans-Böckler-Stiftung überweist. 30 Millionen Euro kommen so jedes Jahr zusammen.

Dennoch ist die Konkurrenz um die einflussreichen Aufsichtsratsposten groß. In 2012 und 2013 stehen in zahlreichen Konzernen Aufsichtsratswahlen an. Auch die Arbeitnehmerposten werden neu besetzt. Qualifizierte Frauen haben besonders gute Chancen, in diese Kontrollgremien gewählt zu werden. Schon heute stellt die Arbeitnehmerseite deutlich mehr Aufseherinnen als die Kapitalgeber.

Wer einen Sitz ergattert, ist nah dran am Management – oftmals womöglich zu nah, wie der aktuelle Fall des ThyssenKrupp-Aufsichtsrats Bertin Eichler zeigt. Der gelernte Industriekaufmann und Vize der IG Metall sitzt im Kontrollgremium des Konzerns – und steht jetzt öffentlich in der Kritik, weil er sich vom Vorstand zu Reisen in der First Class zur Formel 1 nach Schanghai, an die Copacabana, nach Thailand, nach Kuba und in die USA einladen ließ. Auch wenn sich IG-Metall-Chef Berthold Huber vor den Gewerkschaftsvertreter stellt: Wer solche Vergünstigungen in Anspruch nimmt, gerät in den Verdacht, er nicke womöglich auch Vorstandsvorschläge zu schnell ab. Eichler zeigt sich zumindest teilweise einsichtig: Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten hätten an sich eigene und strenge Maßstäbe anzulegen. Er will nicht wieder kandidieren.

Konkurrierende Branchen- und Großgewerkschaften und unabhängige Arbeitnehmervertreter kämpfen darum, ihre Kandidaten in die Kontrollgremien zu hieven – denn wer möglichst viele Posten besetzt, gewinnt an Einfluss in Wirtschaft und Politik. „Bei der Besetzung von Aufsichtsratsposten prallen oft Welten aufeinander. Die Kandidaten der verschiedenen Gewerkschaften stehen für unterschiedliche Kulturen der Gewerkschaftsarbeit“, sagt Sigrid Betzen. Sie ist Geschäftsführerin der Bankangestellten-Gewerkschaft DBV. Die Mitarbeit in der Branchengewerkschaft sei überwiegend ehrenamtlich, weniger als Hauptberuf ausgelegt. Die Loyalität der Gewerkschafter gelte dadurch in erster Linie ihrem Betrieb und seiner Belegschaft, sagt die 49-jährige Juristin. „Die eigenen Mitarbeiter kennen ihr Unternehmen und die Interessen der Belegschaft schließlich am besten.“

So sitzt etwa Karin Ruck, Vertriebsmitarbeiterin und Betriebsrätin der Deutschen Bank, für den DBV bei ihrem Arbeitgeber als Vizechefin im Aufsichtsrat. Spezialgewerkschaften wie der DBV tickten anders als große Gewerkschaftstanker wie Verdi, erklärt Ruck. „Wir hängen an keiner Partei, ebenso wenig an einem Dachverband und dessen politischer Agenda. Und es gibt auch keinen großen Verwaltungsapparat, in dem man sich hocharbeiten muss oder Funktionäre, die mit Posten bedient werden müssen.“ So stieg Ruck, die seit ihrem 25. Lebensjahr im Betriebsrat aktiv ist, schnell in verantwortungsvolle Positionen auf. Wenn Ruck ihren Posten als Vize-Aufsichtsratschefin im Mai abgibt, bleibt sie als Betriebsrätin und Vertriebsangestellte bei der Deutschen Bank tätig.

Der Machtkampf um die Neubesetzung von Rucks Posten zwischen den Branchengewerkschaften und Verdi ist im vollen Gange: Verdi-Chef Frank Bsirske will den Einfluss seiner Organisation beim größten deutschen Geldhaus ausbauen und reklamierte den Posten für sich – inzwischen scheint sich aber Konzernbetriebsratschef Alfred Herling als Kompromisskandidat durchzusetzen. Der ist zwar Verdi-Mitglied, seine Karriere hat er aber traditionell gemacht – in der Bank. (HB)

Sarah Sommer

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