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Statt Ruhe zu verordnen setzen Unternehmen auf Druck.

© dpa

Menschliche Grenzen: Immer noch ein bisschen mehr

Fast jeder Fünfte geht an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit. Weil es der Mensch aber nicht schafft, sich ewig weiter zu optimieren, soll neben Pillen die Technik helfen.

Der Mensch wird ständig an seine Grenzen erinnert. Wenn sein Körper schmerzt, weil ihn etwas zu sehr anstrengt, er müde wird, weil er Schlaf braucht. Der Mensch mag seine Grenzen aber nicht. Ebenso wenig der Chef, der maximale Leistung, maximale Produktivität von seinen Mitarbeitern fordert.

Anbieten kann ihm der Mitarbeiter seine physische Arbeitskraft sowie kognitive, emotionale und soziale Fähigkeiten. Wie ausgeprägt diese sind, hängt von der Veranlagung des Einzelnen ab, seinem Wissen, seinen Erfahrungen – aber auch von der Art seiner Arbeit. Der Hirnforscher Gerald Hüther veranschaulicht das am Beispiel des Multitaskings: Am besten sei es, wenn sich ein Mitarbeiter auf eine einzige Aufgabe konzentrieren kann. Soll er seine Aufmerksamkeit auf zwei Dinge lenken, sei das problematischer, aber machbar. Bei fünf Dingen leide die Qualität. So wie die Körperkraft sind Aufnahmefähigkeit, Informationsverarbeitung und Kreativität limitiert.

Um doch noch etwas mehr aus sich herauszuholen, erscheinen zahlreiche Artikel und Bücher, mit Titeln wie „endlich produktiv“, „wie Kopfarbeiter produktiv werden“, „101 Rezepte für produktives Arbeitsverhalten“. Eine wichtige Regel lautet: Erhole dich, lass deinen Geist zur Ruhe kommen. Doch trotz der immer gleichen Ratschläge setzen viele Führungskräfte auf Druck. „Das funktioniert aber nur bei einfachen Arbeiten, wo jemand nicht viel nachdenken muss“, sagt Hüther, „bei anspruchsvollen Jobs ist Druck tödlich.“

Millionen optimieren sich mit Pillen

Das Resultat: Fast jeder fünfte Deutsche gab in einer Studie der Bertelsmann-Stiftung an, bis an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit zu gehen. Ist ein Mitarbeiter über einen längeren Zeitraum mit Anforderungen konfrontiert, die ihn überfordern, entsteht jedoch ein chronischer Stresszustand – womöglich mit einem „Burn-out“ als Folge. Zwar handelt es sich dabei um nichts anderes als eine Depression; aber der Ausdruck des Ausgebranntseins drückt besser aus, worum es geht: Ich kann nicht mehr! Knapp drei Millionen Deutsche gaben an, schon einmal verschreibungspflichtige Medikamente genommen zu haben, um im Beruf mehr zu schaffen, als ihnen möglich ist.

Weil es der Mensch nicht schafft, sich ewig weiter zu optimieren, soll neben Pillen die Technik helfen. In Zukunft werden wahrscheinlich immer mehr Roboter Kollegen sein, die keinen schlechten Tag haben oder erschöpft sind, sondern nur stumpf tun, was von ihnen verlangt wird. Sie sollen bloß eintönige Routinearbeiten übernehmen, heißt es oft, aber weil sie mittlerweile auch das Erinnern und das Lernen lernen, macht sich Hüther Sorgen: „Was bleibt vom Menschen noch übrig, wenn immer mehr seiner Fähigkeiten von der Maschine übernommen werden?“ Der Gesellschaft sei noch nicht klar, was sie da tun würde. Der Mensch schaffe mit der Maschine nicht nur seine Störfaktoren wie Gefühle und Stimmungen ab, sondern auch sich selbst.

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