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Immobilien: Nur die Ruhe

Direkt am Jüdischen Friedhof in Weißensee wird ein Fabrikareal zum Wohngebiet – mit sanierten Denkmälern und Townhouses

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Noch deutet wenig darauf hin, dass sich in den nächsten zwei Jahren die ehemalige Gummiwarenfabrik Carl Müller an der Puccinistraße im Weißenseer Komponistenviertel in ein Quartier mit großzügigen Wohnungen und grünen Freiflächen verwandeln soll. Leer stehen die denkmalgeschützten Fabrikgebäude, die zwischen 1898 und 1930 errichtet worden sind; und die Brachen dazwischen wirken noch spröde. Hier standen bis vor kurzem einige weniger wertvolle Bauteile, welche die Berliner Unternehmensgruppe Ticoncept hat abreißen lassen, um den Weg für die „Puccini Hofgärten“ frei zu machen.

Ticoncept erwarb das gut ein Hektar große Areal an der Herbert-Baum-Straße vor einem Jahr von der bundeseigenen TLG Immobilien. Da stand die Fabrik schon über zehn Jahre leer. Oft fuhr damals Jens Schämann, der Vertreter der Investoren , an dem verwaisten Fabrikgelände vorüber. Noch vor zwei Jahren, sagt er, habe er nicht den Mut gehabt, hier zu investieren. „Aber vor ein paar Monaten dachte ich dann: Könnte doch klappen.“

In dieser Einschätzung fühlt sich Schämann heute bestätigt. „Im Moment spüren wir Aufwind, was Immobilienprojekte in Berlin anbelangt“, sagt er. Nachdem jahrelang im Berliner Wohnungsbau fast nichts ging, sehen Investoren mittlerweile tatsächlich wieder gute Chancen, Käufer und Mieter für neue Wohnanlagen zu finden. Ob Berlin Campus am Rummelsburger See, Prenzlauer Gärten (Bötzowviertel), Palais Kolle Belle (Kollwitzstraße) oder Voltage Berlin im Bayerischen Viertel – in ausgewählten Lagen entstehen wieder Wohnungen, die, glaubt man den Investoren, auch Käufer finden.

Wie die meisten Projekte richten sich die Puccini Hofgärten an eine eher finanzkräftige Zielgruppe. Die Wohnungen werden nicht vermietet, sondern verkauft; sie sind mit 50 bis 280 Quadratmeter teilweise recht groß und mit 2 000 bis 3 000 Euro pro Quadratmeter nicht gerade billig. Die Projektentwickler von Ticoncept sowie die beauftragten Architekten Wolf Rüdiger Kehrer und Thomas Hänni haben dabei ein Konzept erarbeitet, das Alt- und Neubauten miteinander kombiniert. In den fünf denkmalgeschützten Gebäuden entstehen Lofts mit Industrieatmosphäre. Das große Fabrikgebäude erhält zudem ein zusätzliches Geschoss mit Penthouses. Zwei neu errichtete Apartmenthäuser bieten "normale" Wohnungen an, und vierstöckige Townhouses sind für diejenigen gedacht, die ihr eigenes Reihenhäuschen haben möchten. "Wir schaffen", sagt Architekt Kehrer, "Wohnsituationen für ganz unterschiedliche Bevölkerungsgruppen: Singles, Familien, ältere Menschen." Insgesamt entstehen mit einem Investitionsvolumen von 20 Millionen Euro 77 Wohneinheiten.

Vor besondere Herausforderungen stellte die Planer die Nachbarschaft zum Jüdischen Friedhof Weißensee. Dieser, mit über 40 Hektar Größe und Grabstätten von prominenten Persönlichkeiten wie dem Maler Lesser Ury oder dem Schriftsteller Stefan Heym einer der bedeutendsten jüdischen Friedhöfe Europas, ist von den Puccini Hofgärten nur durch eine bis zu sieben Meter hohe Mauer getrennt. Direkt an sie angrenzend sehen die Architekten nun ein Parkdeck mit hundert Stellplätzen vor. Dessen Dach wird begrünt und dient damit als Privatgarten für die Townhouses. Das Konzept ist nach Angaben der Projektentwickler mit der Jüdischen Gemeinde und den Denkmalbehörden abgestimmt; die Baugenehmigung erwarten die Investoren in diesen Wochen.

Als Vorzug der Wohnanlage nennen Schämann und Ticoncept-Geschäftsführer Ingo Koltermann vor allem ihren grünen Charakter. Tatsächlich beträgt die Geschossflächenzahl nur 1,0; dies bedeutet, das auf dem 11 000 Quadratmeter großen Grundstück eine Geschossfläche von ebenfalls 11 000 Quadratmeter errichtet wird. Das ganze Gebiet wird umzäunt, so dass Eltern Kinder unbesorgt spielen lassen können, es soll einen Doorman geben. Trotz der grünen Innenhöfe und der Nachbarschaft zum Jüdischen Friedhof sprechen die Ticoncept-Marketingleute bewusst von Townhouses und Lofts. Das sind eigentlich urbane Immobilienprodukte, die nach Ansicht von Marktbeobachtern nur in absolut innerstädtischen Lagen angenommen werden. Als solche aber würden die meisten Berliner Weißensee gewiss nicht bezeichnen. Doch Schämann gibt sich überzeugt, dass das Konzept auch an diesem Standort funktioniert. Verweisen kann er darauf, dass die Puccinistraße nur wenige hundert Meter von der Grenze zu Prenzlauer Berg entfernt ist und dass man mit der Tram in einer Viertelstunde den Alex erreicht.

Jedenfalls ist die Nachfrage der Käufer laut Schämann groß – und zwar bisher größtenteils von Eigennutzern. Dies ist nicht selbstverständlich, da der Denkmalschutzstatus und die Lage im Sanierungsgebiet (siehe blauer Kasten) erhebliche steuerliche Vorteile bieten, die in der Regel hauptsächlich Kapitalanleger ansprechen. Noch im Frühjahr beginnen die Sanierungsarbeiten an der sogenannten kleinen Fabrik an der Ecke zur Herbert-Baum-Straße; die dort entstehenden Lofts sollen Ende dieses Jahres fertiggestellt sein. Bis Herbst 2009 stellen die Verantwortlichen den Abschluss des gesamten ersten Bauabschnitts in Aussicht.

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