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Wende: Wie Ost und West zusammenwuchsen

Nach der Wende prophezeiten Experten Berlin einen Bauboom. Wo sie recht behielten – und wo nicht.

Als das Jahr 1990 eingeläutet wurde, ahnte Wulff Aengevelt, dass es ein ganz besonderes für ihn werden würde. Zwar konnte noch niemand wissen, dass Deutschland neun Monate später seine Wiedervereinigung feiern würde. Aber Aengevelt, Chef eines traditionsreichen Düsseldorfer Maklerhauses, hatte längst begonnen, die Chancen der neuen politischen Konstellation zu nutzen.

„Ich hatte mich am Abend des 9. November 1989 entschieden, in den Osten zu gehen“, erzählt Aengevelt zwanzig Jahre später. Und er handelte schnell: Am 1. Februar 1990 eröffnete er in der Fasanenstraße, also noch in West-Berlin, eine Niederlassung. Um an Zahlenmaterial über den Ost-Berliner Immobilienmarkt zu kommen, aktivierte der Unternehmer einen Kontakt zum Institut für Geografie der Humboldt-Universität. Die dort erhobenen Daten verarbeitete er zum ersten „City Report Berlin“, der im September 1990 erschien.

Liest man den Bericht heute, erkennt man grandiose Fehleinschätzungen – ebenso wie erstaunlich präzise Voraussagen. Im Jahr 2010 werde es in Berlin 18 Millionen Quadratmeter Bürofläche geben, prophezeite Aengevelt. Heute sind es etwa 17,8 Millionen. Umgekehrt teilte der Report die Irrtümer, denen damals fast alle Fachleute erlagen. Die Bevölkerungszahl der Region Berlin werde von 4,3 auf 5,7 Millionen Menschen steigen, hieß es, weshalb bis zu 800 000 Wohnungen gebaut werden müssten – eine viel zu hohe Zahl, wie wir heute wissen. Außerdem werde West-Berlin, die größte Industriestadt der Bundesrepublik, „diesen Rang nach der Verschmelzung mit dem Osten erst recht behaupten und sogar noch ausbauen können“. In Wirklichkeit erlebte Berlin eine massive Deindustrialisierung.

Dennoch: Für Aengevelt lohnte sich das Engagement. Im Februar 1991 führte sein Unternehmen im Verbund der Deutschen Immobilien-Partner (DIP) eine erste Ausschreibung durch, um im Auftrag der Treuhand Liegenschaftsgesellschaft (TLG) Käufer für nicht mehr betriebsnotwendige Liegenschaften ehemals volkseigener Betriebe zu finden. Das Besondere an diesem sogenannten Berliner Modell: Nicht der Interessent mit dem höchsten Gebot bekam den Zuschlag, sondern derjenige, der Investitionen und den Erhalt von Arbeitsplätzen garantierte. Die ganz großen Brocken wie etwa die heiß begehrten Grundstücke an der Friedrichstraße wurden allerdings nicht auf diesem Weg vermarktet; vielmehr handelte es sich beispielsweise um Bäckereien in Hellersdorf oder Gewerbegrundstücke in Treptow.

Unumstritten war dieses Vorgehen nicht. „Im Staatsauftrag makeln sich die smarten Brüder (nämlich Wulff und sein Bruder Lutz) zu Multimillionären“, schrieb damals der „Spiegel“ unter Verweis auf die Provisionen, die die Aengevelts von der TLG erhielten. Die Konkurrenz habe aber durchaus ihre Chancen gehabt, entgegnet Wulff Aengevelt heute: Jeder andere Makler habe für die Kaufinteressenten tätig werden und sich so ebenfalls seine Provision verdienen können.

Dem Osten ist Aengevelt jedenfalls treu geblieben. 1992 verlegte er sein Berliner Büro in die Mauerstraße in Mitte.

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