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Immobilien: Zurück in die Platte

Viele Ideen und günstige Preise verschaffen Plattenbauten aus DDR-Produktion eine Renaissance. Für Studenten gibt es Sonderpreise und für Senioren viel Service. Um- und Rückbau sind aber nötig

Für Familien mit Kindern ist die Platte kein Renner mehr. Aber für Singles vor und nach der Familienphase. Niedrige Mieten von drei bis vier Euro pro Quadratmeter locken sie an. Zu DDR-Zeiten gab es drei Viertel Drei- bis Fünf-Zimmerwohnungen in den Plattenbauvierteln. Heute macht die WBG aus 88- oder 100-Quadratmeter-Wohnungen Ein- oder Zweizimmer-Einheiten mit bis zu 50 Quadratmetern. Beim Umbau werden Küchen und Bäder mit Fenstern versehen. Nach der Sanierung liegen die Mieten bei fünf bis sechs Euro brutto kalt pro Quadratmeter. „Grundsätzlich hat die Platte Akzeptanz!“ bilanziert Horst Riese, Vorstand der Wohnungsbaugenossenschaft (WBG) überzeugt.

Anders als in Schwedt, Hoyerswerda oder Halle-Neustadt hält sich der Leerstand in Berliner Plattenbauten in Grenzen. Mit Mietnachlässen und Umbauten kommen Wohnungsgesellschaften jungen und alten Mietern entgegen. Doch sinnvolle Konzepte für den Umgang mit dem DDR-Erbe sind gefragt. Vom Abriss bis zur Stadtvilla reicht die Palette . Und weil noch bis 2009 staatliche Finanzspritzen gesichert sind, wird sich bis dahin noch einiges tun beim Plattenbau.

Schon 36 Prozent Ein- bis Zweizimmerwohnungen gibt es im Bereich der WBG. Vorstand Riese wünscht sich noch mehr davon. „Wir unterstützen auch individuelle Ein- und Umbauten“, sagt er. Mieter bauen Whirlpools oder offene Küchen ein, und weil sie selber investieren, bleiben sie auch länger. Erfolge gebe es auch beim betreuten Wohnen: Viele der von Sozialarbeitern begleiteten Jugendlichen werden später reguläre Mieter. Mieterlasse, wie sie andere Wohnungsbaugesellschaften gewähren, gibt die WBG nicht. Um die Zukunft der Gebäude zu sichern, will man älteren Menschen mehr Service bieten . Damit sollen sie so lange wie möglich in der eigenen Wohnung bleiben: „Sie sind unsere treuesten Mieter.“

Andere Wohnungsbaugesellschaften werben besonders um junge Leute. Dazu zählt die Aktion „ein Jahr kaltmietenfrei“ der Genossenschaft „Grüne Mitte“. Junge Paare wohnen ein Jahr umsonst , wenn sie in eine sanierte, aber unrenovierte Wohnung einziehen – nur etwa 2,20 Euro Betriebskosten pro Quadratmeter sind fällig. Das macht bei einer 68-Quadratmeter-Wohnung eine jährliche Ersparnis von 3600 Euro. 183 Wohnungen konnten bereits vermietet werden.

Die Gesellschaft Stadt und Land/WoGeHe erfand das „HAFöG“. Für diese „Hellersdorfer Ausbildungs-Förder-Grundmiete“ gewann sie sogar einen Marketing-Preis. Bei Vorlage von Uni-Ausweis oder Lehrvertrag können junge Leute maximal dreieinhalb Jahre ab 50 Euro monatlich in Hellersdorf wohnen . Erfolg bisher: 250 neue Mietverträge. Auch die Degewo lockte junge Menschen nach Marzahn: Zwei Semester lang zahlen sie die halbe Miete. Eine Neuauflage der Aktion ist geplant.

Die Wohnungsgesellschaften sind flexibel geworden, um die riesigen Wohnkomplexe vor den Toren der Stadt zu bevölkern. Denn jeder Mieter, der wegzieht, stellt sie vor massive Probleme, weil die Gemeinschaftskosten dann auf weniger Parteien umgelegt werden müssen. Dann steigen die Preise und weitere Kündigungen folgen – es droht eine finanzielle Schieflage. Vor Herausforderungen stellt der Mieterschwund auch die Techniker: In der Kanalisation fließt das Wasser nicht mehr ab. Die Fernwärmeeinrichtungen kämpfen mit Überkapazitäten. Öffentliche Verkehrsmittel werden unrentabel. Doch Leerstand ist nicht nur ein Problem der Platte: Es gibt ihn auch in Hinterhöfen in Friedrichshain und in Neuköllner Altbaugebieten. Glück im Unglück: Plattenbauten sind relativ flexibel und kostengünstig zu sanieren. Doch ist eine Sanierung auch städtebaulich sinnvoll?

Nicht immer, meint Stefan Forster aus Frankfurt am Main. Die Platten seien eine städtebauliche Fehlentwicklung, die es zu korrigieren gelte. Hochhäuser mit elf oder mehr Geschossen vor den Toren der Stadt hält er für obsolet. Deshalb will er möglichst kostengünstig Plattenbauten in kleinteilige Siedlungen umformen. Sein preisgekröntes Projekt steht in thüringischen Leinefelde. Dort war zwischen 1960 und 1989 eine Industriestadt mit l6000 Einwohnern aus dem Boden gestampft worden. Nach der Wende, 1995, betrug der Wohnungsleerstand 30 Prozent. Forster entkernte eine Plattenbauzeile von 180 Metern Länge bis auf den Rohbau, nahm das oberste Geschoss sowie jeden zweiten Treppenhauskern mit den anliegenden Wohnungen weg. Vor den Blöcken entstanden Vorgärten und private Hauseingänge . Alle Wohnungen in den neu entstandenen Stadtvillen waren nach Fertigstellung rasch belegt.

Ähnliches wird in Berlin beim Teilrückbau der Ahrensfelder Terrassen im Norden Marzahns verwirklicht. Wohnblocks mit ehemals 1670 Wohnungen werden zu drei- bis sechsgeschossigen Häusern mit 409 Wohnungen zurückgebaut. Anstelle der Einheitsgrundrisse entstehen nun 39 Wohnungstypen mit zwei bis viereinhalb Zimmern und einer Fläche zwischen 48 und 102 Quadratmetern. Es gibt Balkone oder Dachterrassen, moderne Küchen und Bäder. Drei Zimmer mit einer Fläche von 91 Quadratmetern sind für 685 Euro zu mieten . Zwei Zimmer mit 55 Quadratmetern für 464 Euro. Doch der Umbau war teuer: 30 Millionen Euro flossen aus Bundes-, Landes- und Eigenmitteln in das Vorzeigeprojekt.

Deshalb sehen nicht alle in der „Edelplatte“ den richtigen Weg. Architekt Forster fürchtet, dass bald auch kein Geld für größere Vorhaben mehr da ist. Zudem sei mit dem Rückbau ein echter Kapitalverlust verbunden. In Berlin und Potsdam hält sich der Leerstand in Grenzen: In Marzahn-Hellersdorf, mit 100000 Wohnungen das größte europäische Plattenbaugebiet, stehen etwa 10000 Wohnungen leer. „Die Platte ist vernünftig“, sagt Hermann Vetter vom Berliner Mieterverein. Er ist gegen Abriss, weil ein knapperes Angebot zu einer neuen Wohnungsnot führe. Ganz ohne Rückbau geht es aber auch in Berlin nicht. Der Wohnpark zwischen Märkischer Allee und Golliner Straße fiel als erstes der Abrissbirne zum Opfer. Das 18- und 21-geschossige Doppelhochhaus an der Marchwitzstraße wurde Platte für Platte abgetragen. Heute gibt es dort einen Park.

Rita Gudermann

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