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Wirtschaft: Kassen: SPD-Kurskorrektur würde Milliarden kosten

Rücknahme der Gesundheitsreform könnte Beiträge hoch treiben / Ärzte, Kliniken und Pharmabranche sollen belastet werden

Berlin (brö/ce). Krankenkassen und Politiker haben davor gewarnt, die Gesundheitsreform wieder rückgängig zu machen und Elemente wie die Praxisgebühr abzuschaffen. Das würde zu steigenden Beiträgen führen und Arbeitsplätze vernichten, sagten sie dem Tagesspiegel. „Wer jetzt das Zurückdrehen der Reformen fordert, nimmt in Kauf, dass die Kassen die Beiträge wieder anheben müssen“, sagte Norbert Klusen, Vorstandsvorsitzender der TechnikerKrankenkasse. Nötig seien vielmehr weitere Reformen, um neue Kostensteigerungen zu vermeiden.

Nach der Demission von Kanzler Gerhard Schröder vom Amt des SPD-Vorsitzenden hatte es in der Partei Forderungen nach einem grundsätzlichen Politikwechsel gegeben. Seit mehreren Monaten schneidet die SPD in Umfragen schlecht ab. Harald Schartau, Landeschef in Nordrhein-Westfalen, hatte verlangt, „die Fehler der Reformen zu korrigieren“, etwa bei den Krankenkassenbeiträgen für Betriebsrentner, die nun beim vollen statt beim halben Satz liegen. Zudem hatte Klaus Wiesehügel, SPD-Politiker und Chef der Gewerkschaft IG Bauen, Agrar, Umwelt, die Abschaffung der Praxisgebühr verlangt. Sie sei „ungerecht, weil sie nur die Kranken belastet“.

Techniker-Chef Klusen nannte die Forderung „blanken Populismus“. „Allein die Abschaffung der Praxisgebühr würde über zwei Milliarden Euro kosten“, sagte er dieser Zeitung. „Und wenn man die Erhöhung der Kassenbeiträge für Betriebsrenten rückgängig macht, kostet das 1,6 Milliarden Euro“. Dieses Geld müsse man dann an anderer Stelle einsparen. „Wer sagt, die Praxisgebühr muss weg, muss gleichzeitig sagen, wo das Geld dann herkommen soll“, erklärte Ingo Kailuweit, Vorstandschef der Kaufmännischen Krankenkasse KKH. Damit setze man „bewusst die Beitragssenkung aufs Spiel“.

Klusen verteidigte die Anfang des Jahres in Kraft getretene Reform als notwendig. Ohne die Veränderungen wäre der durchschnittliche Beitrag auf 15 Prozent gestiegen. „Das hätte die Menschen noch stärker belastet und in den Unternehmen noch mehr Arbeitsplätze vernichtet.“ KKH-Mann Kailuweit befand, die Praxisgebühr sei wichtig, weil damit zum ersten Mal die Chance bestehe, die Ausgaben für ärztliche Leistungen zu bremsen. Ob die Gebühr tatsächlich wie ein Steuerungsinstrument wirke, wisse man erst nach einem Jahr, nicht nach sechs Wochen.

Die Krankenkassen-Chefs plädierten dafür, weitere Reformen im Gesundheitswesen anzugehen. „Es darf jetzt keinen Reformstopp geben“, sagte Klusen. Stattdessen müsse sich die Politik Gedanken über eine echte Reform machen. „Es ist mehr Wettbewerb unter den Ärzten und Krankenhäusern nötig, damit die Qualität für die Patienten besser wird“, regte er an. Die Regierung müsse etwa den Aufbau von Gesundheitszentren in der ambulanten Versorgung erleichtern. Kailuweit von der KKH bemängelte, „es fehlt ein Beitrag von Ärzten, Krankenhäusern und der Pharma-Industrie zur Stabilisierung der Kosten“. Durch mehr Wettbewerb oder eine Senkung der überhöhten Arzneimittelkosten könne man schon viel erreichen.

„Blanker Populismus“

Auch Politiker wandten sich gegen Pläne für einen Reformstopp. Der CDU-Sozialexperte Andreas Storm warnte davor, die Praxisgebühr abzuschaffen. „Dann würde man die Gesundheitsreform aushebeln. Er verwies darauf, dass die Praxisgebühr „Kernelement der Agenda 2010“ sei. Schon in seiner Regierungserklärung im März 2003 habe Gerhard Schröder die Praxisgebühr gefordert.

Storm verlangte jedoch Nachbesserungen bei der Belastung von Rentnern. Die geplante Besteuerung von Renten ab 2005 und das Erheben des vollen Krankenkassenbeitrags auf Betriebsrenten würde insgesamt „eine Gesamtbelastung ergeben, die viel zu hoch ist“. Der CDU-Politiker verlangte, eine neue Gesamtlösung zu finden. Die Erhebung des vollen Beitragssatzes auf die Betriebsrenten schaffe zudem „erhebliche Probleme mit dem Vertrauensschutz“.

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