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Gimmicks für Einsteiger. Jugendliche sollten sich über Unternehmen, die Zugaben zur Ausbildung anbieten, gut informieren.

© dpa

Lehrstellenmarkt: Oh, wie verführerisch

Handys, Fitness am Arbeitsplatz oder sogar Dienstwagen: Was sich Berliner Arbeitgeber alles einfallen lassen, um Azubis zu locken.

Raus aus der Schule und mit eigenem Verdienst, Smartphone, Tablet-PC oder sogar einem Auto eine Berufsausbildung starten? Das klingt verlockend – und ist kein unrealistischer Wunschtraum Jugendlicher mehr. Viele Unternehmen werben heute offensiv um den immer knapper werdenden Nachwuchs.

Die Lage auf dem Berliner Ausbildungsmarkt führt dazu. Azubis sind gesucht. Immer mehr Unternehmen können kaum ihre Lehrstellen besetzen. 610 Plätze blieben laut Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin im vergangenen Jahr frei.

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Andererseits finden weiterhin viele Jugendliche keine Stelle. Mit Ausbildungsbeginn 2013 gingen laut Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) Berlin-Brandenburg 830 Jugendliche leer aus. Für dieses Missverhältnis, auch „Matching“ genannt, gibt es viele Gründe: Manche Ausbildungsberufe sind unter Jugendlichen kaum bekannt. Viele bemühen sich um die gleichen, sehr gefragten Berufe. In anderen Fällen finden Unternehmen kaum qualifizierten Nachwuchs für ihre Stellen. Dazu kommt der allmählich spürbare demografische Wandel. Das alles schürt den Wettbewerb um den talentierten Nachwuchs, der sich auch bei der Ausbildungsvergütung widerspiegelt, die in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen ist (siehe Kasten).

Auf der Suche nach geeigneten Azubis treten die Unternehmen nun verstärkt in Kontakt mit Schulen, präsentieren sich auf Ausbildungsmessen oder versuchen durch klassische Werbung auf Plakaten oder über das Internet auf sich aufmerksam zu machen. Um gegenüber anderen Unternehmen hervorzustechen, lassen sie sich einiges einfallen.

So sprechen Firmen vermehrt auch Jugendliche aus dem Berliner Umland an, übernehmen Kosten für die Bahnfahrt oder bezuschussen die Miete in der Stadt. Unternehmen finanzieren ihren Azubis den Besuch eines Fitnessstudios, sie richten in der Arbeitsstätte einen Sportraum ein oder zahlen Nichtraucherprämien, berichtet IHK-Ausbildungsexperte Gerd Woweries.

Die Restaurant-Kette Marché wirbt mit vier Azubi-Smarts, die kostenlos nutzen kann, wer im dritten Ausbildungsjahr einen Zeugnisschnitt von 1,0 hat. Das Unternehmen will sich durch Zusatzangebote für zukünftige Arbeitnehmer attraktiv machen, aber auch „gewonnene Auszubildende motivieren und anspornen“, erklärt Sprecherin Anja Lottmann. Jugendliche können Lieferanten bei Fahrten begleiten, Messen besuchen und an einem „Azubi-Award“ teilnehmen.

Bei dem Industrieunternehmen Berliner Glas haben angehende Feinoptiker die Möglichkeit, für drei Wochen bei der Tochtergesellschaft Swissoptik in Heerbrugg im Osten der Schweiz zu hospitieren. Die Auszubildenden lernen dort den Tagesablauf in allen Abteilungen kennen und begleiten Schweizer Azubis in die Berufsschule, erklärt Sprecherin Iris Teichmann. Im Rahmen des dualen Studiums wird ein Student in Kürze zu einer Tochtergesellschaft in Wuhan in China reisen. Die Reisekosten werden übernommen.

IHK-Ausbildungsexperte Woweries empfiehlt, zwischen attraktiven Gimmicks und vielversprechenden Ausbildungsangeboten zu unterscheiden. „Der eigentliche Anreiz für Jugendliche sollte sein, eine gute Ausbildung zu bekommen“, sagt Woweries. Dazu zählten innovative Ausbildungsinhalte, wenn Azubis zum Beispiel die Gelegenheit bekommen, einen Tag lang selbst ein Hotel, ein Restaurant oder eine Supermarktfiliale zu leiten. Auch Auslandsreisen, Prämien für gute Leistungen und Angebote für einen Ausgleich zur Arbeit seien sinnvoll. Angebote wie Smartphones oder Computer hingegen würden zwar realen Wünschen von Jugendlichen entsprechen, seien aber im Vergleich zu einer guten Ausbildung vergänglich.

Für David Fischer von der DBG Jugend Berlin-Brandenburg ändern Prämien oder einzelne Zusatzleistungen „nichts an der Grundproblematik, dass unter anderem im Dienstleistungs- und Gastro-Bereich die Ausbildungsbedingungen nicht sehr attraktiv sind“. Für die Jugendlichen heiße das oft viele Überstunden, ausbildungsfremde Tätigkeiten und hoher Arbeitsdruck bei geringer Vergütung. Hinzu kämen in diesen Arbeitsbereichen regelmäßige Verstöße gegen Schutzregeln für Azubis, so Fischer.

Viele Jugendliche starten mit falschen Erwartungen eine Ausbildung, meint Katharina Schumann von der Handwerkskammer Berlin. Sie wollen zum Beispiel Maskenbildner werden, sind aber überrascht, wenn sie hören, dass sie dann vor allem am Abend arbeiten müssen.

Die zunehmende Firmenwerbung für Berufe und Ausbildungsangebote verstärke ein altes Problem. In der Werbung werde der zukünftige Beruf eben nicht realistisch dargestellt, zur Bundeswehr zu gehen zum Abenteuer, Arbeit in der Veranstaltungstechnik zu einer coolen Konzertreise. Tourneen zu begleiten und Konzertauftritte vorzubereiten sei aber kein Angebot an die Jugendlichen, sondern eben die Tätigkeit im Beruf „Fachkraft für Veranstaltungstechnik“, kommentiert Schumann. Und das bedeute auch oft nicht Vergnügen, sondern Stress. Auch ein Auto bekomme man in vielen Berufen nicht zum Spaß zur Verfügung gestellt, sondern weil man für die Arbeit viel herumfahren müsse.

Ihrer Beobachtung nach entscheiden Jugendliche weniger nach Geld oder Materiellem als nach dem Image eines Berufs. Schumann rät: Schulen und Eltern sollten Jugendlichen dabei helfen, sich ein realistisches Bild vom Wunschberuf zu machen.

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