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Ein Fahrer in Peking nutzt die App des Fahrdienstleisters Didi, der ins Kreuzfeuer der chinesischen Aufsichtsbehörden geraten ist.

© REUTERS

Machtkampf mit Taxi-App Didi: Wie China versucht, seine Tech-Plattformen zu zähmen

Chinas Technologiekonzerne wachsen weltweit rasant. Doch der Fahrdienst Didi zeigt, wie hart Peking auch gegen heimische Firmen vorgeht.

Während man in Deutschland „ubert“, ordern Chinesen ein „Didi“: Der Online- Fahrdienstvermittler hat den Alltag in der Volksrepublik von Grund auf verändert. War es noch vor einer Dekade möglich, in Sekundenschnelle eins der unzähligen Taxis von den Hauptstraßen heranzuwinken, funktioniert dies längst nur mehr über die Smartphone-App. Und die größte von allen ist mit Abstand Didi, dessen Marktanteil auf nahezu 90 Prozent hochschnellte.

Doch seit Ende Juli steht der Tech-Konzern im Kreuzfeuer der chinesischen Aufsichtsbehörden. Sie knöpfen sich Didi an gleich drei Fronten vor: Datensicherheit, kartellrechtliche Vergehen und Ausbeutung seiner Arbeiter. Während einige jener Grabenkämpfe zwischen Regierung und eines von Chinas erfolgreichsten Unternehmen wohl auch eine Frage von politischer Macht sind, steht bereits jetzt fest: Die allseits verfügbaren und extrem günstigen Mobilitätsplattformen in China werden sich nachhaltig wandeln.

Ein Rückblick: Didi – chinesisch für „kleiner Bruder“ – wurde vor nunmehr neun Jahren in Peking von einem ehemaligen Manager des E-Commerce-Riesen Alibaba gegründet. Zunächst diente die Plattform vor allem als Hilfe für Taxifahrer, online neue Kundschaft zu gewinnen. Später avancierte die App ähnlich wie Uber zum traditionellen Fahrdienstvermittler. Das Wachstum der ersten Jahre war rasant. Was nicht zuletzt an dem riesigen Markt von 1,4 Milliarden Chinesen liegt, von denen selbst nach optimistischen Schätzungen maximal jeder Vierte über ein eigenes Auto verfügt.

„Blutbad“ im Wettbewerb mit Uber

Als Uber auf dem chinesischen Markt Fuß fassen wollte, lieferten sich die beiden Unternehmen ein regelrechtes „Blutbad“, wie einige Ökonomen es nennen: Sowohl Didi als auch Uber versuchten über Discounts und Dumping-Preise die Marktherrschaft in der Volksrepublik zu erlangen. Der Kampf hatte einen klaren Sieger: 2016 gab die US-Konkurrenz aus San Francisco ihre Ambitionen in der Volksrepublik auf und verkaufte das China-Geschäft an Didi.

Der Expansionshunger der Chinesen war riesig, zunächst wollte man den südostasiatischen Raum erobern, später den Rest des Kontinents. Doch für die globalen Ambitionen brauchte das Unternehmen möglichst viel Kapital, weshalb ein Börsengang drängte. Und in der Tat lief das Debüt Ende Juli am New Yorker Aktienmarkt zunächst glatt: Man konnte rund 4,4 Milliarden Dollar einsammeln, insgesamt wurde der Wert des Tech-Konzerns auf mehr als 76 Milliarden Dollar geschätzt. Doch dann klopfte Chinas Cyber-Aufsichtsbehörde an die Tür.

Razzia in der Firmenzentrale kurz nach der Börsengang

Nur wenige Tage nach der Börsenlistung leitete sie eine Untersuchung gegen Didi ein, inklusive Razzia in der Firmenzentrale in Peking. Dabei ging es nicht nur um eine Machtdemonstration Pekings. Der Regierung missfiel der aus ihrer Sicht überhastete Börsengang in Übersee. Die teils radikalen Schritte in der Regulierung der Tech-Konzerne erklärte die Kommunistische Partei am Donnerstag so: Im Kampf gegen Ungleichheit und für „gemeinsamen Wohlstand“ gehe es nicht darum, „die Reichen zu töten, um den Armen zu helfen“, sagte Han Wenxiu von der einflussreichen Kommission für Finanz- und Wirtschaftsangelegenheiten am Donnerstag in Peking. Das Land müsse sich auch davor hüten, „in die Falle des Wohlfahrttums zu tappen“, fügte er hinzu. Vielmehr müssten diejenigen, die zuerst reich geworden seien, denen helfen, die bislang zurückgeblieben seien.

Bei Didi geht es der Regierung wohl vor allem um neue Regulierungen der Datensicherheit, die als langfristige Grundlage für die künftige Digitalwirtschaft herhalten müssen. Nun also ordnete die Staatsmacht an, dass Didi vorerst seine App aus den chinesischen App-Stores entfernen muss. Für Anleger und Unternehmen waren die vergangenen Wochen seit dem Börsengang eine einzige Talfahrt: Die Didi-Aktie stürzte seither um mehr als 40 Prozent ab.

Didi ist eine „Datenkrake“

Die Bedenken der chinesischen Regierung sind durchaus begründet. Didi ist schließlich das, was man als eine „Datenkrake“ bezeichnen würde: Das Unternehmen besitzt – aus Sicherheitsgründen – nicht nur sämtliche persönlichen Informationen von seinen 13 Millionen Fahrern – vom Strafregister bis hin zu Bankinformationen. Sondern es kennt auch die Ausweisnummern seiner knapp 400 Millionen Kunden. Zudem wird jede Fahrt aufgenommen – via Audio und Video. Nicht zuletzt haben sämtliche Didi-Autos eine ganze Menge künstlicher Intelligenz im Fahrzeug integriert; etwa um sicherzustellen, dass die Fahrer nicht einschlafen.

Welche Macht das Unternehmen mit seinen Daten hat, offenbarte die Tech- App bereits vor ein paar Jahren unfreiwillig: Gemeinsam mit der Nachrichtenagentur Xinhua publizierte man die Trips von Didi-Fahrern von sämtlichen Ministerien in Peking. Anschließend wertete man aus, welche Regierungsbeamten offenbar die meisten Überstunden leisteten. Außerdem analysierte Didi die Fahrten von und zum Ministerium für Innere Sicherheit, um dann anhand der damaligen Nachrichtenlage zu spekulieren, welche Fälle wohl gerade für lange Arbeitszeiten sorgten. Was wohl als unterhaltsame PR-Offensive gedacht war, lässt bei Chinas Regierung die Alarmglocken schrillen.

App wegen Preispolitik gegenüber Kunden in der Kritik

Doch dies war nur das erste Minenfeld für Didi. Bereits seit Längerem ist die App wegen ihrer Preispolitik gegenüber Kunden in die Kritik geraten: Viele User posteten auf sozialen Medien, dass Didi unterschiedliche Preise von verschiedenen Nutzern für die gleiche Dienstleistung verlangt. Da sich ein solcher Vorwurf nur schwer belegen lässt, versuchte sich ein Professor von der Fudan-Universität mit einem Studenten-Team an einem Experiment: Sie nahmen 50.000 RMB in die Hand – umgerechnet etwas über 6000 Euro –, um mehr als 800 Didi-Fahrten mit verschiedenen Handy-Accounts zu ordern. Das Ergebnis: Android-Nutzer mussten für dieselben Routen stets weniger zahlen als Besitzer eines iPhones. Das Kalkül dahinter ist wohl, dass Apple-Kunden tendenziell über ein höheres Einkommen verfügen.

Mitte August holte auch das Transportministerium gegen Didi wegen dessen prekärer Arbeitsverhältnisse aus. Man möchte künftig eine Obergrenze dafür einführen, wie viel Provision Online- Fahrdienstvermittler von ihren Fahrern verlangen können. Außerdem sollen künftig auch deren Pausenzeiten genauestens festgelegt werden. Vor allem aber müssen Didi und seine Wettbewerber ihren Fahrern künftig einen ordentlichen Arbeitsvertrag inklusive sozialer Absicherung anbieten.

Chinas Staatsführung geht gegen prekäre Beschäftigung in der Plattform-Ökonomie vor

Vize-Transportminister Li Huaqiang begründete den Schritt während einer Pressekonferenz beim Pekinger Staatsrat so: Einige Plattformen hätten ihre „dominante Marktposition“ dazu ausgenutzt, um „Preisregeln willkürlich anzupassen“ und „Provisionssätze zu überhöhen“. Dies habe unter anderem zu längeren Überstunden der Fahrer geführt. In einer ersten Reaktion führte das Unternehmen einen Dienst für seine Fahrer ein, bei dem sie transparent einsehen können, wie viel sie im Vergleich zum Fahrpreis der Kunden verdient haben.

Schon seit Längerem hat sich Pekings Staatsführung vorgenommen, das Problem der prekären Beschäftigungsverhältnisse innerhalb der Plattform-Ökonomie zu lösen. Premierminister Li Keqiang sprach zuletzt davon, dass 84 Millionen Chinesen solche flexiblen Tätigkeiten ausführen – etwa Essenskuriere oder aber auch Didi-Fahrer. Mitte Juli publizierte die Kommunistische Partei schließlich „Leitlinien zum Schutz der Rechte und Interessen von Arbeitnehmern in neuen Beschäftigungsformen“.

Jene Maßnahmen sind eine Erinnerung daran, dass viele boomende App-Dienstleister tatsächlich auf einer moralisch fragwürdigen Prämisse basierten: der Ausbeutung seiner Millionen Arbeitsmigranten aus den Hinterlandprovinzen, die zum Geldverdienen in die Ostküstenmetropolen ziehen. Diese sind bereit, für Dumping-Löhne zu schuften, um den Großstädtern innerhalb von Rekordzeiten einen Café Latte an die Bürotür zu bringen oder nach Hause zu fahren, ohne jegliche soziale Absicherung zu erhalten. Für Mobilitätsplattformen wird sich kurzfristig wenig ändern, denn derzeit bringen sich gerade die Konkurrenten von Didi mit Discount-Angeboten in Stellung, um von der Misere des strauchelnden Marktriesen zu profitieren.

Fabian Kretschmer, Peking

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