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Mercedes-Benz: Das stille Ende der Luxusstrategie
2022 wollte Konzernchef Ola Källenius aus Mercedes einen Luxushersteller formen. Nun hat er seine Hochpreisstrategie beerdigt und einen neuen Plan aufgestellt.
Stand:
Mercedes-Benz hat das umstrittene Wort Luxus aus seiner Strategie gestrichen. Der Autobauer will künftig Premiumfahrzeuge in allen Preisklassen anbieten, erfuhr das „Handelsblatt“ aus Konzernkreisen.
Auf der Internetseite heißt es nun nicht mehr, dass man so denken und handeln wolle wie eine Luxusmarke.
Stattdessen sollen Begehrlichkeiten dort entfacht werden, „wo immer unsere Marke auftritt“.
Offiziell kommuniziert hat der Dax-Konzern seine Strategieanpassung nicht. Über derartige Überlegungen hatte das Handelsblatt allerdings schon im Sommer berichtet, jetzt werden sie umgesetzt.
Die Luxusstrategie wurde vom Management still und leise beerdigt.
Patrick Hummel, Autoanalyst von der Schweizer UBS
Mercedes-Chef Ola Källenius hatte unter dem Credo „Marge vor Menge“ den Plan verfolgt, Mercedes auf Profit zu trimmen. Nachdem seine Wette auf einen schnellen Hochlauf der Elektromobilität nicht aufgegangen ist, scheitern nun auch die Luxusambitionen an den Marktrealitäten.
Das zeigt sich auch in der Modellstrategie des Konzerns. So arbeitet der Vorstand bereits seit der Automesse IAA im September an der Einführung eines neuen Einstiegsmodells. Dieses, so verlautet aus Konzernkreisen, soll sich preislich und optisch an der aktuellen A-Klasse orientieren, die nach einer Verlängerung bis Ende 2027 produziert wird.

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Der Konzern will künftig auch wieder mehr Pkw an den Autovermieter Sixt verkaufen. Das ist ebenfalls ein Kurswechsel, eigentlich wollten sich die Schwaben aus diesem margenschwachen Geschäft zurückziehen.
Sixt wirbt gerade mit der neuen Elektro-Coupé-Limousine CLA. „Solche Werbung wird es demnächst mit noch mehr Modellen geben“, sagt ein Mercedes-Manager dem „Handelsblatt“. Ähnliches verlautet aus dem Umfeld von Sixt. Auf Anfrage wollten sich beide Firmen dazu nicht äußern.
Luxusbegriff polarisierte stark
„Die Luxusstrategie, wie Mercedes sie vor drei Jahren vorgestellt hat, wurde vom Management in dieser Form still und leise beerdigt“, sagt Patrick Hummel, Autoanalyst von der Schweizer UBS. Mercedes habe durch die Strategie Marktanteile eingebüßt. Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei Deka Investment, ergänzt: „Wenn Källenius ein neues Einstiegsmodell einführt, ist seine Luxusstrategie endgültig Historie.“
Intern sorgte der Luxusbegriff für vermehrte Diskussionen, weil er zu stark polarisiert hatte. Selbst Topmanager sprachen zuletzt nur noch vom „L-Wort“. Man sei mit dem Luxusansatz zu exklusiv gewesen, verlautet aus Konzernkreisen. Mit dem neuen Markenversprechen „Welcome Home“ und einem traditionelleren Pkw-Design will Mercedes zu früheren Werten zurück.
Im August sagte Källenius im „Handelsblatt“-Interview zu dem Strategieschwenk: „Mercedes steht seit jeher für das Besondere.“ Das Ziel sei, „in allen unseren Segmenten das jeweils begehrenswerteste Angebot zu machen“.
Das Vorhaben ging bislang aber nicht auf: Im ersten Dreivierteljahr sank der Gewinn vor Steuern und Zinsen (Ebit) um fast 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Mercedes ist der einzige deutsche Autobauer, der dieses Jahr in allen wichtigen Märkten mit rückläufigen Absätzen kämpft.
Nur 5,7 Prozent statt der angepeilten acht Prozent Marge
Dabei hatte Källenius erst im Frühjahr 2022 auf einem Kapitalmarkttag an der Côte d’Azur mit dem Fokus seiner Vorgänger auf steigende Absätze gebrochen – und auf hochprofitable Limousinen wie die S-Klasse, noble Maybach-Modelle oder Geländewagen der G-Klasse gesetzt. So könne das „volle Potenzial von Mercedes selbst in einem herausfordernden Umfeld“ entfaltet werden, meinte Källenius damals.
Mercedes hat die Potenziale im Luxussegment damals falsch eingeschätzt.
Horst Schneider, Autoanalyst bei der Bank of America
Der Absatzanteil der Oberklasse-Pkw, so die Pläne, sollte bis 2026 im Vergleich zu 2019 um rund 60 Prozent steigen. Tatsächlich liegt das Plus bislang nur bei rund 35 Prozent. Im ersten Dreivierteljahr standen die Top-End-Modelle für 14,7 Prozent der Verkäufe.
Mercedes hat hier seine Ziele mittlerweile gesenkt, peilt noch einen Absatzanteil zwischen 14 und 15 Prozent an. Anders als von Källenius vermutet, sind selbst die wichtigen vermögenden Kunden in China angesichts der wirtschaftlichen Lage sehr zurückhaltend. „Mercedes hat die Potenziale im Luxussegment damals falsch eingeschätzt“, sagt Horst Schneider, Autoanalyst bei der Bank of America.
Nachfolger für die A-Klasse
Zweifelsohne ist das Umfeld herausfordernd: Im wichtigsten Automarkt China gibt es durch mehr als 100 Autohersteller große Überkapazitäten, es herrscht ein ruinöser Preiskampf. In den USA schmälern Zölle die Rendite. In Europa bremst die Konjunktur die Autonachfrage.
Doch selbst „bei sehr ungünstigen Marktbedingungen“ plante Källenius in der dominanten Autosparte bis zur Mitte des Jahrzehnts mit einer Marge von mindestens acht Prozent. Tatsächlich liegt die bereinigte Ebit-Marge in den ersten neun Monaten 2025 nur bei 5,7 Prozent.

© Daimler AG
Källenius wollte das Einstiegssegment mit margenschwachen Modellen wie der A- oder B-Klasse ausdünnen. Der Anteil dieser Fahrzeuge am gesamten Pkw-Absatz sollte zwischen 2019 und 2026 um ein Viertel schrumpfen. Tatsächlich ist dieser aber nur um ein Zehntel gesunken. Die Kompaktmodelle standen in den ersten neun Monaten dieses Jahres für 27 Prozent des Absatzes.
Die 2015 auf den Markt gekommene und 2023 überarbeitete A-Klasse ist in Europa bei Händlern und Kunden noch immer beliebt: Mercedes hat in Europa zwischen Januar und Oktober fast 59.000 Fahrzeuge des Modells verkauft. Im Vorjahreszeitraum waren es 64.000. Das zeigen vom Handelsblatt ausgewertete Zahlen des Dienstleisters Dataforce.
Källenius ist daher davon abgerückt, die A-Klasse ersatzlos zu streichen. Sie läuft nun bis Ende 2027 und damit zwei Jahre länger vom Band als geplant. Allerdings nicht im Werk Rastatt, sondern im ungarischen Kecskemet, wo die Produktionskosten 70 Prozent niedriger sind als hierzulande.
Steilheck-Limousine für die europäischen Kunden
Für die Zeit danach arbeitet Mercedes an einem Nachfolgemodell. Källenius hat die Hoffnung, eine jüngere Zielgruppe zu erreichen und sie langfristig an höherpreisige Modelle heranzuführen. Er will den Einstieg in die Marke preislich nicht zu anspruchsvoll gestalten. Das Basismodell der A-Klasse kostet rund 34.000 Euro. Für das nächstteurere Modell, den CLA, sind fast 10.000 Euro mehr fällig.
Das neue Modell soll wie die bisherige A-Klasse eine Steilheck-Limousine sein, die vor allem europäische Kunden anspricht. In Asien und den USA dürfte sich ein solches Modell zwar kaum verkaufen. Allerdings rücken die Hersteller zunehmend davon ab, ein Auto für den Weltmarkt zu bauen, sondern sie lokalisieren die Produktion stärker, um die Geschmäcker der verschiedenen Märkte besser zu treffen. Die geopolitischen Spannungen verstärken diesen Trend.
Das neue Modell soll auf der Plattform MMA (Mercedes Modular Architecture) gebaut werden, die schon entwickelt wurde. Neben dem bereits erhältlichen CLA und dem sportlicheren CLA Shooting Brake basieren auch die neuen Kompakt-SUVs GLB und GLA darauf. Källenius wollte die Zahl der Kompaktmodelle auf vier reduzieren, nun werden es fünf sein. Die B-Klasse soll wie geplant zum Jahresende auslaufen.
Mercedes macht wieder mehr Geschäfte mit Sixt
Mit der Strategieanpassung schaut Mercedes wieder stärker auf den Absatz. „Mercedes hat die Schraube zu sehr Richtung Luxus gedreht und will mit der angepassten Strategie eine neue Balance finden, damit die Verkaufszahlen nicht zu stark sinken“, sagt UBS-Branchenexperte Hummel. Was die Erhaltung von Stückzahlen angeht, sei der Konzern mit dem Luxusfokus zu optimistisch gewesen.
Im ersten Dreivierteljahr hat Mercedes acht Prozent weniger Autos verkauft als vor Jahresfrist. Selbst die Verkäufe der S-Klasse und der Maybach-Modelle sanken prozentual zweistellig.
Obwohl die Margen bei Einstiegsmodellen deutlich niedriger sind, tragen diese zu einer besseren Auslastung der Fabriken und höheren Absätzen bei. „Ein A-Klasse-Nachfolger ist ein Volumenmodell, das mit dem 1er-BMW vergleichbar ist“, sagt Analyst Schneider. „Mercedes muss insgesamt einen bestimmten Absatz erreichen, um für Händler relevant zu bleiben.“
Daher macht Mercedes vornehmlich in Deutschland auch wieder mehr Geschäfte mit Sixt. In der Mietwagenbranche wird das als Zäsur gewertet. Für Autohersteller sind Verkäufe an Vermieter ein typischer Weg, um die Verkaufszahlen zu steigern. Allerdings geht dies oft mit hohen Rabatten einher. Zu den neuen Verträgen mit Sixt sagte ein Mercedes-Manager, man habe deutlich bessere Konditionen verhandelt.
Gerade bewirbt der Autovermieter den CLA. Man merke, dass auf dem Modell der Druck laste, hohe Absätze zu erzielen, heißt es aus dem Umfeld von Sixt. Für Sixt gilt es als reizvoll, neue Mercedes-Modelle zu vermieten, um sich als Premiumanbieter zu positionieren.
Noch sieht man keinen Effekt in der Statistik: Bis diesen Oktober verkaufte Mercedes in Deutschland laut Dataforce rund 20.500 Modelle an Autovermieter, im Vorjahreszeitraum waren es 21.800.
Nach „Electric only“ ist auch die Luxusstrategie gescheitert
Andere Aspekte von Källenius’ Wirtschaftslogik bleiben bestehen. So will Mercedes weiterhin möglichst wenige Rabatte beim Autoverkauf gewähren – und die Kosten drücken, um strukturell profitabler zu arbeiten. Zwischen 2019 und 2024 hat Mercedes die Fixkosten inflationsbereinigt um fast ein Fünftel gesenkt. Bis 2027 sollen sie um weitere zehn Prozent fallen.
Marktbeobachter loben den neuen Kurs. „Es ist ein guter Schritt und die logische Konsequenz aus der Fehleinschätzung beim Thema Luxus der vergangenen Jahre“, sagt Moritz Kronenberger, Fondsmanager bei Union Investment.

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Dennoch hat Källenius den Strategiewechsel nicht öffentlich eingeräumt. „Wir passen uns an, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern“, sagte er vor einigen Tagen. Die Anpassungsfähigkeit sei in so einem dynamischen Umfeld sehr wichtig. Ein Branchenkenner sagt dazu: „Mercedes hängt das Thema nicht an die große Glocke. Källenius sähe nicht gut aus, wenn er seine Strategie nach relativ kurzer Zeit korrigieren müsste.“
Schließlich ist es für den Manager die zweite strategische Wette, die nicht aufgeht. Im Sommer 2021 hatte er unter dem Eindruck drohender Fahrverbote für Verbrenner seine „Electric only“-Strategie ausgerufen. Bis Ende des Jahrzehnts wollte Källenius unter günstigen Marktbedingungen nur noch vollelektrische Neuwagen anbieten.
Schon dieses Jahr sollte die Hälfte des Absatzes aus reinen Elektroautos und Plug-in-Hybriden bestehen. Dieses Ziel hat Källenius längst kassiert und peilt nun bis 2027 eine Elektroquote von mindestens 30 Prozent an. Im ersten Dreivierteljahr lag der Anteil bei 21 Prozent, reine Stromer machten sogar nur neun Prozent aus.
Auf der Homepage wurde auch diese strategische Säule angepasst. Statt führend bei der Elektromobilität zu sein, will Mercedes jetzt ein „weltweit führendes Produkterlebnis“ schaffen – unabhängig von der Antriebsart.
Neue S-Klasse wird Ende Januar vorgestellt
Källenius will die aktuelle Schwäche mit der größten Neuwagenoffensive der Konzerngeschichte überwinden. Bis 2027 sollen Dutzende neue Fahrzeuge auf den Markt kommen. Auch das Angebot an Elektroautos soll deutlich verbreitert werden.
Das gilt vor allem für Oberklassewagen. Ende Januar stellen die Stuttgarter eine technisch und optisch deutlich überarbeitete Version der S-Klasse vor. Auch neue AMG-Sportwagen sowie Modelle von Maybach und der G-Klasse sind geplant.
Im „Core“ genannten Segment mit Mittelklasseautos wie der C- oder E-Klasse will Källenius mit dem Markt wachsen. Mit neuen Modellen schließt Mercedes eine Lücke bei Stromern. Dieses Jahr wurde der vollelektrische SUV-Bestseller GLC vorgestellt, 2026 soll die elektrische C-Klasse kommen. Die Elektro-E-Klasse könnte auf 2027 vorgezogen werden.
Den neuen GLC gibt es im Leasing in der Basisversion mit einer Monatsrate von 470 Euro. „Das ist ein aggressiver Preis und darauf ausgelegt, die Absatzzahlen zu steigern und Marktanteile zurückzugewinnen“, sagt UBS-Analyst Hummel.
Källenius will bis 2027 zwei bis 2,2 Millionen Pkw verkaufen. Vergangenes Jahr war die Zahl unter die Marke von zwei Millionen gefallen. Zudem strebt er bis dahin eine Marge im Pkw-Bereich von mindestens zehn Prozent an. Die Ziele sind wie das neue Auftreten von Mercedes: bescheidener.
Dieser Text erschien zuerst beim „Handelsblatt“.
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