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Wirtschaft: "Mit blühenden Landschaften hatten wir wenig am Hut"

Prognos schätzt Einkommensgefälle zwischen den neuen und alten Ländern langfristig auf 20 Prozent / Prognosen kein Politikersatz TAGESSPIEGEL:Herr Barth, für alles und jedes werden Prognosen erstellt; besonders in Wahlzeiten.Wozu brauchen wir Prognosen?

Prognos schätzt Einkommensgefälle zwischen den neuen und alten Ländern langfristig auf 20 Prozent / Prognosen kein Politikersatz TAGESSPIEGEL:Herr Barth, für alles und jedes werden Prognosen erstellt; besonders in Wahlzeiten.Wozu brauchen wir Prognosen? Sollen Prognosen Fakten schaffen? BARTH:Es gibt die unterschiedlichsten Gründe.Aber jeder, der zukunftsgerichtet handelt, braucht Informationen über die Zukunft.Als Wirtschaftspolitiker und Politiker beispielsweise will man natürlich vorausschauen, die Dinge beeinflussen, Fehlentwicklungen der Konjunktur, des Arbeitsmarktes vermeiden, etwa durch antizyklische Politik oder durch Förderung von Investitionen.Außerdem: jeder schaut auf Prognosen, beinahe schon instinktiv. TAGESSPIEGEL: Sind Prognosen eine Art soziales Heilmittel? Sollen Prognosen das Gefühl von Sicherheit vermitteln? BARTH: Das geht zu weit.Jeder, der sich als ernstzunehmender Prognostiker bezeichnet, grenzt sich von Futurologen ab.Was wir machen, hat nichts mit Sternenguckerei oder Kaffeesatzleserei zu tun.Wir tragen Informationen zusammen, die in die Zukunft reichen. Dazu kommen die Erfahrungen über bestimmte Zusammenhänge, die in der Vergangenheit gemacht wurden.Nehmen wir die Konsumfunktion: Wir wissen, wenn die Einkommen steigen, dann steigt normalerweise auch der private Verbrauch.Soll heißen: Diese konditionierten Prognosen sind immer nur so verläßlich wie die Annahmen, auf denen sie beruhen.Beispiel Asienkrise.Wenn die Asienkrise regional begrenzt bleibt, nicht über den Zusammenbruch von Kreditketten zu einem weltweiten Flächenbrand führt, dann wird die Auswirkung auf die Weltkonjunktur in diesem Jahr verhältnismäßig gering sein. TAGESSPIEGEL:Es ist also nicht sicher... BARTH: Ich gehe trotzdem davon aus.Die betroffenen südostasiatischen Länder sind dabei, sich den nötigen Anpassungsmaßnahmen zu stellen, und Währungsfonds, Notenbanken und Geschäftbanken der Industrieländer haben deutlich gemacht, daß sie willens und in der Lage sind, einem Flächenbrand entgegenzuwirken. TAGESSPIEGEL:Gibt es im Prognose-Geschäft nationale Besonderheiten? BARTH:Es gibt wenig, wohl aber unterschiedliche Prognoseformen.Klar ist, daß es absolute Sicherheit nicht geben kann.Bei den Status Quo Prognosen geht es um die Frage, wie sich Dinge entwickeln, wenn es keine Veränderungen der Rahmenbedingungen gibt.Die Wahrscheinlichkeitsprognosen beantworten die Frage, was passiert, wenn man Veränderungen der Rahmenbedingungen - etwa Maßnahmen der Finanz- oder der Geldpolitik - einbezieht.Die Status Quo Prognose, vielfach im politschen Bereich angewandt, hat die Aufgabe einen Handlungsbedarf aufzuzeigen.Sie kann also zutage fördern, was auf dem Arbeitsmarkt passiert, wenn keine zusätzlichen Maßnahmen ergriffen werden und in der Wirtschaftspolitik alles so bleibt wie es ist. TAGESSPIEGEL: Konkret: Was hätte Deutschland in dem Fall zu erwarten? BARTH:Die Zahl der registrierten Arbeitslosen dürfte dann im Jahresdurchschnitt 1998 bei rund 4,5 Millionen liegen. TAGESSPIEGEL:Angesichts der Flut von Konjunkturprognosen fragt man sich: wo liegt die Sättigungsgrenze? BARTH:Der Sachverständigenrat, die Institute, die Verbände, die Banken - alle legen Konjunkturprognosen vor.Wir machen das nicht mehr.Es hat keinen Sinn etwas verkaufen zu wollen, was andere verschenken. TAGESSPIEGEL:Kritisieren Sie die Alimentierung der Gemeinschaftsinstitute oder werben Sie selber um öffentliche Gelder? BARTH:Wir sind kein Institut, wir sind ein Forschungs- und Beratungsunternehmen ohne Subventionsgeber.Das hat unserer Unabhängigkeit übrigens nicht geschadet. TAGESSPIEGEL:Heißt das, wer Steuergelder kassiert, ist käuflich? Sind Steuergelder für Institute ein Sündenfall? BARTH:Ich will zu der Frage, ob es gut oder schlecht ist, den Instituten den Geldhahn teilweise abzudrehen, nicht Stellung nehmen.Grundsätzlich ist aber die Unabhängigkeit der Arbeit überlebenswichtig - für alle.Im übrigen stehen wir, Prognos und die Institute, in Teilbereichen durchaus in Konkurrenz zueinander.Wenn das Bundeswirtschaftsministerium im Frühjahr Themen ausschreibt, kommen alle, auch wir, zum Zuge.Bekommen wir aber einen Auftrag nicht, weil wir zu Vollkosten kalkulieren müssen, wirft das schon Probleme auf. TAGESSPIEGEL:Wie beeinflusst die Prognose die Meinungsbildung? BARTH:Das Phänomen der sich selbsterfüllenden Prognose ist bekannt.Wer in Erwartung steigender Preise heute kauft statt morgen, bewirkt höhere Inflationsraten.Als Prognostiker müssen wir versuchen, solche Effekte nicht schon zu antizipieren.Wir dürfen mit unseren Prognosen auch nicht Politik machen wollen. TAGESSPIEGEL:Werden Prognosen nicht auch gezielt eingesetzt, um dem politischen Gegener zu schaden? BARTH:Mir sind solche Fälle nicht bekannt.Der Vorwurf, Gefälligkeitsgutachten zu erstellen, ist auf alle Fälle ein Todesurteil für jeden ernstzunehmenden Prognostiker. TAGESSPIEGEL:Wie wirkt sich der Status des Auftraggebers auf die Prognosen aus? Oder ist es egal, ob Unternehmer oder Politiker Aufträge vergeben? BARTH:Grundsätzlich ist eher der Inhalt maßgeblich, weniger der Status.Wir zeigen die Entwicklungen auf und machen Zusammenhänge deutlich.Prioritäten setzen die Auftraggeber. TAGESSPIEGEL:Wie steht es mit den Flops und Tops? Wie hoch ist die Fehlerquote, wie hoch die Trefferquote? BARTH: Prognos gehörte nach der Wende zu denjenigen, die gar nicht soviel mit den blühenden Landschaften am Hut hatten.Wir haben damals wiederholt gesagt: Im Jahr 2010 wird der Abstand im Durchschnittseinkommen zwischen West- und Ostdeutschland immer noch erheblich sein.Das Bruttoinlandprodukt pro Kopf wird im Osten um etwa 20 Prozent unter dem im Westen liegen.Damals sind wir ziemlich geprügelt worden.Heute wissen wir: das war noch zu optimistisch.Die Dauer des Anpassungsprozesses und den damit verbundenen Transfersbedarf haben wir recht gut eingeschätzt. TAGESSPIEGEL: Und Fehler macht Prognos nicht? BARTH:So kann man das nicht sagen.Wir haben beispielsweise erwartet, daß sich der technologische Wandel in einigen Feldern rascher vollzieht.Hingegen können wir die Arbeitsmarktentwicklung ganz gut einschätzen. TAGESSPIEGEL: Mit dem Wandel in der Arbeitswelt, dem technologischen und gesellschaftlichen Wandel, steigen die Anforderungen an Prognostiker.Welchen Ansprüchen muß man als Prognostiker heute genügen? BARTH:Ein Beispiel: Wir fragen uns natürlich was geschehen muß, damit sich Deutschland als Hochlohnland im internationalen Wettbewerb behaupten kann.Wenn Lebensstandard und Lohnniveau nicht zur Disposition stehen, aber auch nicht immer mehr Leute ohne Beschäftigung dastehen sollen, müssen zwangsläufig auf dem Weltmarkt für unsere Produkte Preise erzielt werden, die unsere relativ hohen Kosten decken.Das heißt: wir müssen uns intensiv mit dem technologischen Wandel auseinandersetzen.Und das ist nur eine Variable eines ganzen Datenkranzes.Mit anderen Worten: Interdisziplinarität ist für uns wichtig. TAGESSPIEGEL:Wann lehnen Sie einen Auftrag ab? BARTH:Grundsätzlich kümmern wir uns um jede seriöse Fragestellung.Aber jedem muß klar sein, daß wir unabhängig sind - auch gegenüber dem Auftraggeber.Davon leben wir.Es kann also passieren, daß das Resultat nicht dem entspricht, was der Auftraggeber gerne hören möchte. TAGESSPIEGEL:Hat es in solchen Fällen schon einmal Klagen gegen Prognos gegeben? BARTH: Unsere Kundschaft weiß im allgemeinen, daß unsere Aussagen Überprüfungen durchaus standhalten.Allenfalls kommt vor, daß man hier und da noch ausführlichere Ausarbeitungen wünscht.Unsere Auftraggeber werden anspruchsvoller, erwarten in kürzerer Zeit mehr Arbeit. TAGESSPIEGEL:Welchen Stellenwert hat die politische Neutralität der Mitarbeiter? BARTH:Wir fragen niemanden, den wir einstellen, nach seiner politischen Einstellung, in unserer Arbeit sind wir jedoch parteipolitisch neutral. TAGESSPIEGEL:Mit welchen Themen beschäftigt sich Prognos im Wahljahr 1998? BARTH: Wir arbeiten an einem neuen Deutschland-Report, der alle drei bis fünf Jahre neu herausgebracht wird und sich mit grundsätzlichen Perspektiven von Wirtschaft und Gesellschaft beschäftigt. TAGESSPIEGEL:Wagen Sie eine persönliche Prognose? Was passiert mit Deutschland, wenn der Fortschritt weiter eine Schnecke bleibt? Und: welche Aufgaben haben Ihrer Ansicht nach in der Wirtschaftspolitik der nächsten Regierung Priorität? BARTH:Wie müssen uns Gedanken darüber machen, wie der Innovationsprozeß beschleunigt werden kann.Wenn wir den zunehmenden Wettbewerb bestehen und von der hohen Arbeitslosigkeit wegkommen wollen, müssen wir uns um Innovationen kümmern.Außerdem muß die Steuerreform über die Bühne gebracht, müssen die Reformen im Bildungswesen vorangebracht und mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt, mehr Spielraum für einzelbetriebliche Vereinbarungen umgesetzt werden.Die Abschaffung des Flächentarifvertrages fordere ich aber nicht.Das würde ja Streikrecht auf betrieblicher Ebene bedeuten, was sich ernsthaft niemand wünschen kann. TAGESSPIEGEL:Sie unterschreiben die Aussage, daß es keine linke oder rechte, sondern nur eine moderne Wirtschaftspolitik gibt? BARTH:Wenn Sie mich damit nicht zum Wahlhelfer von Schröder machen, ja.

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