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Wie zu Hause. In manchen Firmen generieren die Mitarbeiter im Wohnzimmerambiente Ideen. Zum Beispiel bei Google oder der Agentur Jung von Matt.

© IMAGO/Florian Schuh

Arbeitsräume: Ort der Ideen

Wie Büros gestaltet sein sollten, damit Mitarbeiter kreativ und leistungsfähig sind.

Haben Sie schon einmal von den Müllers aus Köln gehört? Der fiktiven deutschen Durchschnittsfamilie, deren Wohnzimmer in der Werbeagentur Jung von Matt in Hamburg steht, eingerichtet mit Schrankwand, Polstergarnitur, Raufasertapete und Flachbildschirm? In diesem typisch deutschen Ambiente holen sich die Werber Anregungen für ihre Arbeit. „Man muss sich in die Gedanken- und Gefühlswelt der Zielgruppe hineinversetzen, um wirksame Kommunikation gestalten und auf Augenhöhe kommunizieren zu können“, sagt Julia Rathmann, verantwortlich für Strategische Planung in der Agentur.

Regelmäßig wird das 2004 ins Leben gerufene „WoZi“ den Wohngewohnheiten der Deutschen angepasst. Für die Werber ist das Zimmer Teil des Arbeitsalltags: „Wir treffen uns hier regelmäßig zu Konferenzen, um zu diskutieren und uns Neues auszudenken“, sagt Julia Rathmann. Für die Agentur ist das WoZi aber auch ein kontinuierliches Lern- und Lehrprojekt. „Wir halten es ständig aktuell und wachsen so mit unserem Wohnzimmer. Durch das ständige Updaten betreiben wir permanente Zielgruppenforschung: Es gibt uns immer wieder Anlass, über das Leben, die Sorgen, die Wünsche und aktuellen Themen der Deutschen nachzudenken.“

Bei Google stehen Rutschen im Büro

Nicht nur bei Jung von Matt haben mausgraue Amtsstuben ausgedient. Arbeitgeber gestalten Büroräume auf ganz unterschiedliche Weise. Die Ferienwohnungsvermittler von AirBnB zum Beispiel arbeiten in ihrem Headquarter in San Francisco in Wohnzimmern oder Küchen, die originalgetreu Räumen aus Bali, Paris und aller Welt nachgebaut sind, die das Unternehmen auf seiner Webseite anbietet – vom Häkelkissen über das Sofa bis zum Topflappen am Regal. Die Google-Mitarbeiter in Berlin entwickeln auf dem Sofa Konzepte, ihre Hamburger Kollegen arbeiten in einem Büro, das wie ein Flugzeug gestaltet ist. In Zürich dagegen ähneln die Google-Räume mit ihren Rutschen und Lümmelecken eher Spiel- als Arbeitsplätzen. Und nicht nur bei Start-ups gehört der Kicker inzwischen fest zum Büroinventar. Solch außergewöhnliche Innenraumgestaltung dient natürlich nicht nur dem Wohlempfinden der Mitarbeiter.

Das Thema Arbeitsplatzgestaltung beschäftigt nicht nur Unternehmen, sondern auch Wissenschaftler. In der Arbeitsgruppe „Menschen in Räumen“ untersuchen Psychologen und Bauphysiker der Universität Hohenheim den Einfluss äußerer Faktoren wie Licht und Temperatur auf die Kreativität und Produktivität von Probanden. „Dabei fanden wir zum Beispiel heraus, dass bei gedimmtem Licht kreative Aufgaben besser gelöst werden können“, sagt Psychologin Anna Steidle. „In einer mit etwa 1500 Lux hell ausgeleuchteten Umgebung schnitten die Probanden hingegen bei analytischen Aufgaben besonders gut ab.“

Bei 19 Grad sind die Verkäufer netter

Auch die Temperatur beeinflusst die Produktivität. In Tests gingen Verkäufer bei kühlen 19 Grad offener auf ihre Kunden zu und waren auch eher bereit, Rabatte zu geben, als in wärmeren Räumen. Anna Steidle erklärt das mit einem höheren Anschlussmotiv, also dem Wunsch nach menschlicher Nähe in einer kühlen Umgebung.

Trotzdem lässt sich die ideale Beleuchtung oder Temperatur für ein Büro kaum definieren. Nicht zuletzt, weil Menschen ihre Arbeitsumgebung gerne mitgestalten – nach ihren persönlichen Bedürfnissen. So sei Arbeitnehmern oft eine gewisse Privatheit und Kontrolle über die eigene Umgebung wichtig, dass sie also zum Beispiel das Licht der jeweiligen Tätigkeit anpassen können, sagt Steidle. Außerdem finden alle Befragten Tageslicht wichtig und dass sie ein Fenster öffnen können.

Familienfotos und privater Nippes müssen demnach aber nicht sein, heben jedoch die Motivation. „Sie sinkt dann dramatisch, wenn Menschen angewiesen werden, Familienfotos von der Wand abzunehmen“, berichtet die Psychologin. Sind Mitarbeiter aber von vornherein angehalten, den Arbeitsplatz neutral zu halten, können sie meist gut damit umgehen (siehe Kasten).

Der feste Schreibtisch mit dem gerahmten Familienfoto darauf, das ist wohl sowieso ein Auslaufmodell. Einige Unternehmensberatungen, sagt der Berliner Architekturpsychologe Riklef Rambow, weisen ihren überwiegend im Außendienst tätigen Mitarbeitern nur noch temporäre Büros zu. So spart die Firma Fläche, sorgt für einen regen Austausch unter Kollegen und flachere Hierarchien. Denn es kann gut sein, dass sich der zugewiesene Schreibtisch neben einem Vorstandsmitglied befindet, mit dem man sonst nicht in Kontakt käme.

„Diese extreme Form der Flexibilisierung wird sich aber wohl auf spezielle Branchen beschränken“, sagt Riklef Rambow. Nur für Unternehmen, die weniger orts- und zeitgebunden arbeiten, machen solche Modelle Sinn.

Coole Büros sollen den Nachwuchs locken

Die Ferienwohnungsvermittlung AirBnB versetzt ihre Mitarbeiter in Wohnstuben aus aller Welt, um sie näher an die Kunden heranzuführen – ähnlich wie die Werbeagentur Jung von Matt mit ihrem typisch deutschen „Wozi“. Das ist aber längst nicht der einzige Grund.

„Mit den spielerischen Büros möchte die IT- und Kreativbranche nicht nur die informelle Kommunikation fördern, sondern auch junge, leistungswillige Mitarbeiter anlocken“, meint Riklef Rambow. So stehen die Unternehmen in der Außenwirkung für potenzielle Arbeitnehmer als innovativer Arbeitgeber da.

Oder sie halten das Image des coolen Start-ups aufrecht, das oft längst nicht mehr der Realität entspricht. „Dieses Image funktioniert aber nur zu bestimmten Zeiten. Wenn Rationalisierungsmaßnahmen drohen oder die Mitarbeiter älter werden, wirkt eine Rutsche im Büro unpassend“, sagt Rambow.

Bei der Arbeitsplatzgestaltung treffen letztlich immer die Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufeinander, sagt der Experte. Bei der Neugestaltung von Arbeitsräumen solle der Chef die Mitarbeiter unbedingt nach ihrer Meinung fragen. Viele Menschen seien heute zum Beispiel genervt von Großraumbüros. Doch darauf werde nur selten Rücksicht genommen. „In der Regel wird die Bedeutung von Privatsphäre und Konzentration für die Leistung unterschätzt, die von Offenheit und Kommunikation von Arbeitgebern dagegen überschätzt“, weißt Rambow. Dabei gehe es nicht nur ums Wohlfühlen als Selbstzweck. Unter schlecht konzipierten Großraumbüros leide auch die Arbeitsleistung, zum Beispiel, weil man sich aufgrund des Geräuschpegels schlecht konzentrieren könne.

Ob Großraum- oder Einzelbüro, mit Rutsche oder ohne: Anna Steidle ist davon überzeugt, dass das Büro auch noch in 50 Jahren existiert, auch wenn es in den vergangenen Jahren oft totgesagt wurde. Denn als Ort des Austausches sei es nicht leicht zu ersetzen. „Auch die soziale Kontrollfunktion würde wegfallen. Das merkt jeder, der gelegentlich Zuhause arbeitet und zwischen zwei E-Mails die Waschmaschine füllt“, sagt die Psychologin.

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