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Kambodscha: Reiskörner als Zinsen

Eine ungewöhnliche Bank hat den Menschen im kambodschanischen Dorf Daem Po bescheidenen Wohlstand gebracht.

Phnom Penh - Yeb Ouk, der Chef des Gemeinderates von Daem Po, strahlt über das ganze Gesicht. Ebenso strahlen die Frauen und Männer, die an diesem Morgen in der Gemeindehalle die Erfolge der letzten Jahre erläutern. „Uns geht es gut“, sagt die einzige Bankerin in der Runde. Mit Geld freilich hat die 52-jährige Tea Sarin wenig zu tun, die weltweite Finanzkrise berührt sie nicht. Wenn sie überhaupt davon gehört hat.

Sarin ist Chefin der Reisbank in Daem Po. Die nimmt Einlagen und gibt Kredit – aber nur in Form von Reiskörnern. Ein Prinzip, das nicht nur die Versorgung und Ernährung der 1218 Einwohner des Dorfes in der Provinz Kampot im Süden Kambodschas sichert. Sie macht die Menschen unabhängig und verbessert ihr Einkommen. Früher mussten sie bei Reis- knappheit zu Wucherzinsen Geld leihen, um Reis kaufen zu können. Heute bringt die Reisbank zusätzliches Einkommen: Die Überschüsse können verkauft werden. Zuletzt wurden mit dem Geld neue Schulmöbel angeschafft.

Ende der 90er Jahre hat die bundeseigene Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) die Reisbank in Daem Po mit auf den Weg gebracht. Martin Orth und der Franzose Jean Yves Dekeister sind an diesem Morgen gekommen, um sich ein Bild von Daem Po zu machen. Sie lassen sich den unscheinbaren Holzschober zeigen. Auf zehn etwa 40 Zentimeter hohen Betonpfeilern steht er aufgebockt unter Kokospalmen neben der Hütte von Neak Sean. So ist er geschützt vor Käfern und anderem Getier und vor der hohen Feuchtigkeit vor allem in der Regenzeit. Sean steigt ein paar Stufen hoch, öffnet das Schloss, schiebt den Riegel weg. Die Tür gibt den Blick frei auf Millionen Reiskörner. „Da liegen noch 2,4 Tonnen“, sagt Sean. Das ist genug bis zur nächsten Ernte.

Früher war das anders: Da gab es große Lücken. Die Familien verschuldeten sich, um Reis kaufen zu können und genug zu essen zu haben. „Heute haben wir immer Reis, auch dann, wenn wir nicht ernten und die Felder bearbeiten müssen“, sagt Thea Sarin. In Daem Po können sich die Familien im August Reis leihen für die Zeit, in der gepflanzt wird. Im Februar nach der Ernte müssen sie zurückzahlen – in Form von Reis.

Zwei genormte Holzboxen stehen am Schober: Die große fasst zwölf, die kleine sechs Kilo Reis. Aktuell liegt der Zinssatz für sechs Monate bei 25 Prozent: Wer zwei Boxen à zwölf Kilo Reis leiht, muss zusätzlich eine kleine Box Reis zurückzahlen. Bei den Geldverleihern waren früher zehn Prozent Zins fällig – pro Monat. Nötig ist auch eine Gruppe mit fünf Familien als Bürgen – für den Fall, dass der Reis- Schuldner zahlungsunfähig wird. „Aber das passiert praktisch nie“, sagt Sarin.

Schon wenige Jahre nachdem die GTZ den Grundstock in Form von mehreren Tonnen Reis geliefert hat, trägt sich die Reisbank in Daem Po selbst. Mehr noch: Sie produziert Überschüsse. Die Menschen haben mehr Zeit, sich um den Anbau zu kümmern. „Der Ertrag pro Ernte ist heute viel höher“, sagt Dekeister und zeigt auf die umliegenden Felder. „Heute werden pro Hektar etwa 1,4 Tonnen Reis geerntet. Früher waren es nur 650 Kilo.“

Von 1996 bis Mai 2008 unterstützte unter anderem die GTZ die Dörfer beim Aufbau neuer demokratischer Strukturen und in der Landwirtschaft. 20 Millionen Euro flossen in das Vorhaben. Heute regeln in Daem Po frei gewählte Komitees die Aufgaben in der Gemeinde, die GTZ-Experten haben sich zurückgezogen. „Der Anteil der armen Haushalte ist um ein Drittel zurückgegangen, 20 Prozent weniger Kinder sind unterernährt und 65 Prozent aller Familien verfügen heute über mehr Nahrungsmittel“, sagt Orth. Sichtbares Zeichen des bescheidenen Wohlstandes sind Fernseher in einigen Hütten. „Das Leben ist besser geworden, wir haben genug zu essen, wir haben bessere Häuser“, sagt Thea Sarin.

Die Reisbank ist aus Daem Po nicht mehr wegzudenken. Neak Sean nickt und schließt die Tür zum unscheinbaren und doch so wertvollen Schober vor seiner Hütte. Rolf Obertreis

Rolf ObertreisD

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