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Unerhört. Die Proteste der Occupy-Wall-Street-Bewegung fanden kaum Berücksichtigung bei der Regulierung der Banken nach der Finanzkrise, kritisiert Stiglitz.

© J. Lane/p-a/dpa

Rundumschlag gegen den modernen Kapitalismus: Nobelpreisträger Joseph Stiglitz rechnet mit der Globalisierung ab

Joseph Stiglitz’ neues Buch "Der Preis des Profits" geht die Politik für ihre Markthörigkeit an – übersieht dabei aber Entscheidendes. Eine Rezension.

In „Der Preis des Profits“ beschreibt der Ökonom und Träger des Wirtschaftsnobelpreises Joseph Stiglitz die vielfältigen Ursachen des stagnierenden Wachstums, der steigenden Ungleichheit und der politischen Spaltung der USA.

Zahlreiche seiner Befunde lassen sich auch auf Deutschland übertragen: Die Lebens- und Sozialstandards stagnieren für breite Teile der Bevölkerung – für einige sinken sie gar, auch weil die Reallöhne für viele Menschen in vielen Staaten nicht gewachsen sind. Die Vermögensungleichheit steigt an, während die Chancengleichheit abnimmt. Menschen, die in Armut oder „bildungsfernen Familien“ geboren werden, haben kaum Aufstiegschancen.

Für diese Probleme macht Stiglitz eine defekte Wirtschaft verantwortlich. Sie sei durch eine Politik entstanden, die schon zu lange auf unregulierte Märkte setzt. Stiglitz nennt drei Ursachen für die dysfunktionale Wirtschaft: die falsch gestaltete Globalisierung, unregulierte Finanzmärkte und die Marktmacht großer Konzerne.

Die Globalisierung habe ihre Versprechen nicht eingelöst: Zwar wuchs die Wirtschaft in vielen Staaten, doch das Wachstum kam nur einer kleinen Anzahl von Menschen zugute und nicht der breiten Arbeitnehmerschaft. Handels- und Investitionsabkommen würden so gestaltet, dass sie einzig das Wachstum der Unternehmen ankurbeln. Sie resultierten im Abbau von Regulierungen und Verbraucherschutzstandards.

Wettlauf um niedrige Unternehmenssteuern

Das führe dazu, dass Konsumenten nicht mehr ausreichend vor unsicheren und umweltschädlichen Produkten geschützt werden könnten, so Stiglitz. Zudem führe die Globalisierung zu einem Wettlauf um möglichst geringe Unternehmenssteuern. Die Globalisierung der Finanzmärkte habe schließlich dazu beigetragen, die Ökonomien von Entwicklungs- und Schwellenländern durch hochmobile Finanzströme zu destabilisieren.

Stiglitz fordert eine bessere Steuerung der Globalisierung. Handels- und Investitionsabkommen müssten den Menschen dienen, die durch die Globalisierung begünstigte Steuerflucht müsse eingedämmt und ärmeren Ländern müsse es erlaubt werden, Generika herzustellen. Für die Verlierer der Globalisierung schlägt er eine aktive Arbeitsmarkt- und Industriepolitik vor, um neue Jobs zu schaffen. Es brauche aber auch engmaschige Sozialsysteme.

Joseph Stiglitz auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz.
Joseph Stiglitz auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz.

© Felix Hörhager/dp

In den deregulierten Finanzmärkten sieht Stiglitz eine weitere Ursache der steigenden Ungleichheit und der stagnierenden Wirtschaft. Banken, Fondsmanager und Spekulanten hätten sich auf „Kosten des Rests der Gesellschaft bereichert“. Selbst nachdem sie mit staatlichen Geldern gerettet wurden, waren sie nicht zu grundlegenden Reformen bereit.

Ganz im Gegenteil: Ein Heer von Lobbyisten hätte strenge Regulierungen verhindert und die wenigen neuen Gesetze weitestgehend rückgängig gemacht. Die Banken seien noch immer zu groß und untereinander zu vernetzt, sodass sie nicht scheitern dürfen. Das setze die Staaten unter Druck, die Banken bei der nächsten Krise erneut zu retten.

Der Finanzsektor diene nicht der Allgemeinheit: „In den ersten drei Jahren der wirtschaftlichen Erholung nach der Finanzkrise kamen 91 Prozent der Wachstumsgewinne dem reichsten einen Prozent der Amerikaner zugute.“ Durch die Fixierung auf Gewinne und Börsenkurse denke der Finanzsektor viel zu kurzfristig.

Statt die Wirtschaft – vor allem Klein- und mittelständische Unternehmen – mit Krediten zu versorgen, konzentrierten sich die Banken auf Dienstleistungen, die keinen Mehrwert generieren: spekulative Wetten, die Vergabe von Verbraucherkrediten, Fusionen und Übernahmen sowie die Unterstützung von Steuerflucht und -betrug.

Stiglitz fordert strengere Kartellgesetze

Beispiele dafür seien die Cum-Ex-Prozesse oder die zahlreichen Geldwäsche-Anschuldigungen gegen die Deutsche Bank, hier zeigten sich Gemeinsamkeiten zwischen den USA und Deutschland. Stiglitz fordert, der Staat solle stärker eingreifen und Gelder für neu gegründete Unternehmen, langfristige Investitionen, hochriskante Technologieprojekte, bankenmäßig unterversorgte Kommunen und Hypothekendarlehen bereitstellen. Als Mittel gegen kurzfristige Spekulationen schlägt er eine Finanztransaktionssteuer vor.

Die Marktmacht großer Konzerne erlaube es Anbietern, den Verbrauchern „höhere Preise abzunehmen“ und geringere Löhne zu zahlen, schreibt Stiglitz. Sie führte zur Konzentration der Einkommen bei einigen wenigen. Um Innovationen und den Wettbewerb zu fördern, fordert Stiglitz unter anderem strengere Kartellgesetze und Regulierungen, die es erlauben, geistige Eigentumsrechte zu beschneiden. Auch müssten Daten und deren Nutzung reguliert werden, denn sie trügen zur Marktmacht dominanter Konzerne bei.

Der Klimawandel fehlt

„Der Preis des Profits“ ist eine umfassende Generalkritik am derzeitigen Zustand des Kapitalismus. Stiglitz weist jedoch selbst darauf hin, dass das Buch seine früheren Werke zusammenführt. Dementsprechend vielfältig sind die Themen, die Stiglitz behandelt. Seine Erkenntnisse büßen dadurch nicht an Aktualität ein. Doch die Bündelung zahlreicher Themen geht etwas auf Kosten der inhaltlichen Tiefe.

Es hätte dem Buch aber gut getan, wenn Stiglitz ihm ein Kapitel über die wirtschaftlichen Ursachen und Folgen des Klimawandels hinzugefügt hätte. Er schreibt zwar, dass es einer CO2-Steuer bedarf, ohne die es schwer werde, die auf internationaler Ebene vereinbarten Klimaziele zu erreichen.

Auf den Raubbau an der Erde und die „größte Gefahr“ des Klimawandels geht er jedoch nur am Rande ein. Dabei stellen sich dringender denn je die Fragen: Wie sind Wachstum und Wohlstand für alle mit dem Kampf gegen den Klimawandel vereinbar? An welchen politischen Stellschrauben müsste gedreht werden, um gleichzeitig die Ungleichheit zu verringern und den Klimawandel einzudämmen? Hier wäre auch Stiglitz’ Einschätzung zu Konzepten eines Green New Deal spannend gewesen.

Nico Beckert

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